Süddeutsche Zeitung

Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt:Lampedusa - Berlin - Mailand: eine Chronologie

Der mutmaßliche Attentäter Anis Amri kam über Italien nach Deutschland - dorthin flüchtete er nach dem Anschlag in Berlin. Die Ereignisse bis zu seinem Tod in Mailand.

Von Moritz Matzner

Montag - Der Anschlag

Am Montag, dem 19. Dezember, rast gegen 20 Uhr ein Lastwagen in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz im Westen Berlins. Zwölf Menschen sterben, 48 werden zum Teil schwer verletzt. Im Fahrerhaus des Lkws befindet sich die Leiche eines Mannes aus Polen, der den Wagen für eine Spedition durch ganz Europa fuhr. Der Mann wurde erschossen. Der mutmaßliche Schütze entkommt zunächst unerkannt.

Die CSU fordert eine Wende in der Ausländer- und Asylpolitik, drastische Attacken gegen Kanzlerin Merkel kommen von der rechtspopulistischen AfD.

Dienstag - Der falsche Verdächtige

Am Dienstagmorgen spricht erst NRW-Innenminister Jäger, dann die Berliner Polizei von einem terroristischen Anschlag. Es wird bekannt, dass noch am Montagabend ein pakistanischer Staatsbürger verhaftet wurde. Er steht im Verdacht, die Tat verübt zu haben. Der Mann war in einer Flüchtlingsunterkunft in Tempelhof untergebracht, die durchsucht wird. Doch die Spur erweist sich als falsch, der Mann wird auf freien Fuß gesetzt.

Am Abend wird das Brandenburger Tor in den Deutschlandfarben angestrahlt, es finden Trauerveranstaltungen statt. Zum Abschluss des Gedenkgottesdienstes sagt Berlins Regierender Bürgermeister Müller: "Liebe Berlinerinnen und Berliner, lassen Sie uns noch mehr zusammenstehen, mutig und selbstbewusst sein".

Mittwoch - Anis Amri gerät in das Visier der Ermittler

Der Tunesier Anis Amri wird als Verdächtiger genannt, Dokumente von ihm sind im Lastwagen gefunden worden. Schnell werden weitere Informationen über den mutmaßlichen Täter bekannt. Bereits 2015 hatte er sich in Deutschland aufgehalten, benutzte mehrere Identitäten. Nachdem sein Asylantrag im April 2016 abgelehnt worden war, blieb Amri zunächst "geduldet". Der Tunesier war von deutschen Behörden als Gefährder eingestuft worden und soll Kontakte zu radikalislamischen Kreisen unterhalten haben. Es liefen Ermittlungen wegen der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat". Seit Dezember dieses Jahres war Anis Amri abgetaucht. Nun fahndet das BKA öffentlich.

In Berlin finden weitere Gedenkveranstaltungen statt, auf denen auch vor Rassismus gewarnt wird.

Donnerstag - Der Verdacht erhärtet sich

In Dortmund und Duisburg gibt es Razzien, mehrere Menschen werden verhaftet. Amri gilt weiterhin als Hauptverdächtiger, im Führerhaus des Lastwagens werden seine Fingerabdrücke gefunden. Die Bundesanwaltschaft erwirkt einen Haftbefehl.

Der Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz in Berlin öffnet wieder. Bundeskanzlerin Merkel meldet sich zu Wort: "Ich bin in den letzten Tagen sehr stolz gewesen, wie besonnen die große Zahl der Menschen auf diese Situation reagiert hat".

Freitag - Tod in Mailand

Am frühen Morgen wird Anis Amri in Mailand bei einer Polizeikontrolle erschossen. Der Tunesier hatte das Feuer eröffnet und einen Beamten angeschossen, ein anderer Polizist traf Amri darauf tödlich. Die Nachricht verbreitet sich am Mittag in Deutschland. In Amris Rucksack finden die Polizisten Zugtickets, die darauf hinweisen, dass Amri aus dem französischen Chambéry über Turin nach Mailand gekommen ist.

Der RBB hatte am Donnerstagabend gemeldet, dass Amri auf Videoaufnahmen vor einem Moscheeverein in Berlin-Moabit zu sehen sei. Am Freitag erklärt das Landeskriminalamt, der Mann auf den Aufnahmen sei nicht der Attentäter.

Bundeskanzlerin Merkel zeigt sich erleichtert und verspricht, alle Sicherheitsmaßnahmen auf Verbesserungsmöglichkeiten abzuklopfen. "Wir werden jetzt mit Nachdruck prüfen, inwieweit staatliche Maßnahmen verändert werden müssen".

Am 22. Dezember 1991 wird Anis Amri in Tunesien geboren. Seit 2011 hält er sich in Europa auf. Der damals 19-Jährige kommt wie viele andere auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa in Europa an. Was dann geschieht, ist noch unklar. Berichte italienischer Medien widersprechen sich: Manche melden, er sei in ein Wohnheim auf Sizilien gekommen, dann in Catania zur Schule gegangen; andere berichten, er sei noch länger auf Lampedusa geblieben.

Klar scheint: Amri wird gewalttätig, versucht - wahrscheinlich mit anderen Geflüchteten - einen Brand zu legen. Wie die italienische Zeitung Repubblica unter Berufung auf Polizeikreise berichtet, habe Amri sich als Anführer unter "jungen Menschen islamischen Glaubens" hervorgetan. Erst in seinem Wohnheim - dann im Gefängnis. Wegen der Brandstiftung wird er zu vier Jahren Haft verurteilt, kommt in eine Vollzugsanstalt in Catania, Sizilien.

Dort verfasst der Gefängnisvorsteher eine Notiz über Amri, Adressat ist die italienische Antiterror-Abteilung. Er berichtet von Vorfällen, die als Indizien für eine "Radikalisierung und eine Unterstützung von islamistischem Terrorismus" sprechen. Auch habe es Zwischenfälle mit anderen Häftlingen gegeben. Einem christlichen Inhaftierten habe Amri gedroht: "Ich schneide dir den Kopf ab".

Als Amri 2015 in Italien aus der Haft entlassen wird, reist er weiter nach Deutschland. Dort wird sein Asylantrag negativ beschieden. Seiner Abschiebung entgeht er wohl deshalb, weil die tunesischen Behörden nicht schnell genug mit den deutschen kooperieren. Die Dokumente, die für eine Abschiebung nötig gewesen wären, kommen erst an diesem Mittwoch in Deutschland an, zwei Tage nach dem Anschlag. Aus diesen Dokumenten stammt auch das bekannt gewordene Fahndungsfoto von Anis Amri.

In Deutschland hält sich der Attentäter abwechselnd in Nordrhein-Westfalen und Berlin auf. Die Hintergründe lesen Sie hier.

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