Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt:Anis Amri, Terrorist und Bruder

Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt: Anis Amris Vater Mustafa (li.) und Bruder Walid mit einem Portrait des mutmaßlichen Attentäters von Berlin vor dem Haus der Familie in Oueslatia, Tunesien.

Anis Amris Vater Mustafa (li.) und Bruder Walid mit einem Portrait des mutmaßlichen Attentäters von Berlin vor dem Haus der Familie in Oueslatia, Tunesien.

(Foto: AFP)

Sie erinnern sich an an einen saufenden, kiffenden, prügelnden Bruder. Geliebt haben sie ihn trotzdem. Unterwegs in Tunesien mit Geschwistern des mutmaßlichen Mörders von Berlin.

Von Tim Neshitov, Tunis

Neun Geschwister wachsen in einer kargen Gegend im tunesischen Landesinneren auf, aber nur einer von ihnen, der Jüngste, kommt mitten im Arabischen Frühling auf die Idee, sich nach Europa durchzuschlagen: Anis Amri, der mutmaßliche Mörder von Berlin. Der Jüngste ist in diesem Fall auch der Verzogene. "Anis, was möchtest du essen? Anis, gefallen dir die Schuhe?"

Weihnachten 2016 in Tunesien: Unterwegs mit drei Amri-Geschwistern, die sich an einen saufenden, kiffenden, prügelnden Bruder erinnern, den sie aber bis zuletzt doch sehr liebten. Bruder Walid, ein schmächtiger Lkw-Fahrer, hat vor Jahren versucht - und das klingt im Nachhinein besonders bitter - auch aus Anis einen Lkw-Fahrer zu machen. Damit der endlich Geld verdiente. Anis hatte aber keinen Bock.

Schwester Najma liebte Anis' Stimme, er sang für sie Volkslieder, zuletzt über Skype aus Berlin. Kurz bevor er dort zwölf Menschen umbrachte.

Halima, eine ältere Schwester, weint nur noch fassungslos: Der kleine Anis, er soll auch ihren eigenen Sohn, ihren 18-jährigen Fedi von Europa aus indoktriniert haben! Über die Telegram-App. Wie geht das? Diese Schwester fragt den Reporter: "Sie persönlich hassen ihn, oder? Ich verstehe das."

Amris Vater glaubt, das Ganze sei eine Verschwörung

Die Geschwister des Attentäters halten zusammen. Die tunesischen Behörden behandeln die Familie nicht sonderlich gut - vom Tod ihres Jüngsten haben die Amris aus dem Fernsehen erfahren. Eine offizielle Bestätigung haben sie immer noch nicht, was wiederum die Eltern, vor allem den 80-jährigen Vater, dazu veranlasst, an den Tod des Sohnes eben nicht zu glauben. Der Vater ist ein Tagelöhner, er hat nur einen Arm, arbeitet aber weiter, er fährt auf seiner Eselkutsche Gemüse aus. Er glaubt, das Ganze sei eine Verschwörung.

Walid Amri, der 30-jährige, lastwagenfahrende Bruder des Attentäters, ist der Ansprechpartner für die tunesischen Behörden. Er muss zur Kaserne der Nationalgarde, wo der Problemneffe Fedi gerade einsitzt (Fedi darf er nicht sehen, er bringt den Ermittlern nur dessen Schulsachen vorbei). Walid bemüht sich auch um die Überführung der Leiche aus Italien.

Auf seiner Fahrt ins Außenministerium in Tunis - "Werden sie uns seine Leiche zurückgeben?" - begleiten ihn die Schwestern Halima und Najma. Sie kennen den Weg nicht so gut, steigen um in das Auto des Reporters. Sie weinen und lachen in diesem Auto und bitten um Verzeihung. Und sie zeigen einige Fotos, die Anis ihnen aus Europa über Facebook geschickt hat. Unheimliche Fotos.

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