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Anschläge von Norwegen: Anders Behring Breivik:Die kranke Welt eines Massenmörders

Die Tat des mutmaßlichen Massenmörders von Norwegen hat eine schier unfassbare Dimension: In West-Europa ist es das größte Attentat seit den Selbstmord-Anschlägen auf die U-Bahn von London im Jahr 2005. Aus welchem Dunstkreis kann eine solche Wahnsinnstat entstehen? Was weiß man über Anders Behring Breivik? Ist er ein Psychopath oder ein Rechtsextremist mit Zielen? Eine Spurensuche.

Lars Langenau

One person with a belief is equal to the force of 100 000 who have only interests.

So lautet der einzige Twitterbeitrag von Anders Behring Breivik. Er stammt vom 17. Juli und heißt übersetzt: "Eine einzelne Person mit einer Überzeugung ist so mächtig wie Hunderttausende, die nur Interessen verfolgen." Es ist ein Zitat des britischen Philosophen und Ökonom John Stuart Mill, der im 19. Jahrhunderts einen radikalen Freiheitsbegriff vertrat.

Nur fünf Tage nachdem er dieses Zitat online stellte, soll der Norweger mehr als achtzig Jugendliche in einem Ferienlager kaltblütig ermordet und eine Bombe im Osloer Regierungsviertel gezündet haben. Mindestens 92 Menschen verloren ihr Leben.

Bei Facebook zeigt Breivik ein Foto von sich: blond, blaue Augen, kantiges Gesicht. Es ist offenbar das Gesicht eines Massenmörders, gegen den die norwegische Justiz inzwischen offiziell ermittelt. Ein 32 Jahre alter Mann, der hinter den schwersten Anschlägen in Norwegen seit dem Zweiten Weltkrieg steckt. Das Facebook-Profil ist mittlerweile gelöscht.

Breivik wird der Durchführung von Terrorakten beschuldigt. Die norwegische Zeitung Verdens Gang berichtet, der Mann habe rund zehn Wochen vor den Anschlägen vom Freitag sechs Tonnen Kunstdünger bestellt, der für den Bau von Bomben verwendet werden kann. Er konnte das, weil er in der Landwirtschaft tätig war. Auf seinem Facebook-Profil nennt er sich Director at Beivik Geofarm. Ein Journalist der Zeitung Aftenposten sagt im Deutschlandfunk, der Mann sei vor einigen Wochen in ein Dorf übergesiedelt und habe sich dort als Gemüsebauer registrieren lassen. Er habe dort auch ein Laboratorium zur Sprengstoffherstellung eingerichtet.

Fernsehbilder zeigen einen Bauernhof in Rena nördlich von Oslo. Im Handelsregister steht, er baue dort Gemüse, Melonen und Rüben an. Zuvor hatte Breivik eine Wohnung in einem viergeschossigen Wohnhaus im Westen Oslos bewohnt. Er soll unverheiratet und kinderlos sein.

Jagen als Hobby

Doch wieso, warum, weshalb konnte es zu dieser Tat kommen? Vielleicht sollte die Aufmerksamkeit auch den Opfern dienen, nicht dem mutmaßlichen Täter. Aber man will verstehen, zumindest ansatzweise, was einen jungen Mann zu so einer Tat getrieben haben könnte. Eine Spurensuche im Netz.

Breivik hat sein mittlerweile gesperrtes Facebook-Profil erst fünf Tage vor der Tat angelegt. Er gibt sich als Single aus. Nichts über seine Familie, dafür gibt er Einblick in sein Ich.

Bei Facebook nennt er als seine Hobbys: Computerspiele ("World of Warcraft"; "Modern Warfare 2"), Bodybuilding - und Jagen. Tatsächlich soll er legal zwei Waffen besessen haben, meldete die norwegische Nachrichtenagentur NTB, und habe einem Schützenverein angehört.

Breivik bezeichnet sich in seinem Profil als Christ und als konservativ. Er nennt seinen Lieblingsfußballclub, seine favorisierte Musikrichtung (Klassik und Vocal Trance) und listet ein paar seiner Lieblingsbücher und Autoren auf: Zu finden sind dort neben John Stuart Mills "On Liberty" große Literaten und Philosophen wie Shakespeare, Machiavelli, Hobbes, Homer, der amerikanische Psychologe und Philosoph William James, Kants "Kritik der reinen Vernunft" und Adam Smiths "Der Wohlstand der Nationen", George Orwells "1984" bis zu "Krieg und Frieden" von Leo Tolstoi.

Zudem schätzt er laut seines Profils den martialischen Film "300" des Kampfes der Spartaner gegen die Übermacht der Perser, der Spielfilm "Gladiator" und TV-Serien wie beispielsweise über den ebenso durchgeknallten wie liebenswerten Massenmörder "Dexter".

Als Aktivitäten nennt er unter anderem die Gründung und Entwicklung von Organisationen, Lesen und Schreiben sowie Reisen, Feiern - und Freimaurerei. Sein Interesse gelte politischen Analysen. Und diese offenbar in eine Richtung: der rechten. Der extremen Rechten.

Laut Medienberichten soll Breivik Kontakte zur rechtsextremen Szene in Norwegen unterhalten haben. So zitiert die Zeitung Verdens Gang einen Freund des Verdächtigen, demzufolge Breivik vor einigen Jahren zum Rechtsextremisten wurde und in Internetforen nationalistische Ansichten vertrat. Inzwischen ist klar, dass Breivik früher Mitglied der rechtspopulistischen Fortschrittspartei FrP und seiner Jugendbewegung war. Der Tatverdächtige sei zwischen 1999 und 2006 FrP-Mitglied gewesen, teilt die Partei inzwischen selbst mit. Zwischen 2002 und 2004 habe er eine verantwortliche Stellung innerhalb der Jugendorganisation FpU innegehabt.

Laut der in Stockholm ansässigen Expo-Stiftung, die rechtsextreme Aktivitäten überwacht, ist er seit 2009 in dem schwedischen Naziforum "Norddisk" angemeldet. Auf dem Internet-Portal ist ein breites Rechtsaußen-Spektrum vertreten - von Abgeordneten der rechtspopulistischen Schwedendemokraten bis hin zu Neonazis. Der Guardian berichtet, Breivik habe Kontakt zu antiislamischen Gruppen in Großbritannien gehabt.

Laut der Tageszeitung Dagbladet ist Breivik Mitglied der Johannes-Freimaurerloge St. Olaus T.D Tre Søile sei, in der er den dritten Grad erworben habe. Überprüfen lässt sich diese Informationen bislang jedoch nicht.

Wohl aber, dass er auf anderen Forumseiten seine Meinung vertrat und sich als entschiedener Gegner der Vorstellung outete, Menschen unterschiedlicher Herkunft könnten friedlich zusammenleben. Und, dass er extrem islamfeindlich ist.

So soll der mutmaßliche Attentäter norwegischen Medienberichten zufolge vor den Anschlägen ein 1500 Seiten umfassendes "Manifest" verfasst und im Internet veröffentlicht haben. Wie die Nachrichtenagentur NTB berichtete, soll es unter dem Titel "2083. A European Declaration of Indepence" unter dem Pseudonym Andrew Berwick veröffentlicht worden sein. Es handele unter anderem von "Rassenkrieg" und der Frage, wie Europa sich von Zuwanderern befreien könne. Als letzter Eintrag sei vermerkt: "Ich glaube, dies ist der letzte Eintrag, den ich schreibe, Es ist jetzt Freitag, der 22. Juli, 12.51." Gut zweieinhalb Stunden später detonierte im Osloer Regierungsviertel die Bombe.

Auch auf der Internetseite document.no finden sich unter dem Namen Anders B. dutzende islamfeindliche und nationalistische Einträge - alle wortgewandt. Demnach teilt Breivik die Welt in Multikulturalisten und kulturkonservative Menschen. In den schon älteren Einträgen wird Multikulturalismus als "kultureller Marxismus" und eine "anti-europäische Hassideologie" bezeichnet. Das würde die Linke vertreten und Ziel der Linken sei es, die europäische Kultur, die Nationalstaaten und das Christentum zu zerstören. Er warnt vor "Überfremdung", die allerdings schon längst Realität sei, da sie sozialistische Politiker Hand in Hand mit Journalisten herbeigeführt hätten.

Kulturkonservative, zu denen sich der Autor selbst zählt, würden dagegen als Rassisten abgestempelt - was genauso schlimm sei wie Judenverfolgung und Inquisition. "Wie viele Tausende von Europäer müssen sterben, wie viele Hunderttausend europäische Frauen vergewaltigt und Millionen ausgeraubt werden, bevor Sie verstehen, dass Multikulturalismus und der Islam nicht funktionieren?", schreibt er. Zieht über verweichlichte norwegische Männer her und das den Kindern in der Schule kein Stolz mehr auf Norwegens Geschichte beigebracht werde.

Ein Eintrag wendet sich gegen norwegische Alternative und Antifa-Gruppen, die die politisch Konservativen bewusst terrorisierten. Genannt werden sie - in Anspielung auf die Hitler-Jugend - die "Stoltenberg-Jugend". Als "Stoltenberg-Jugend" könnte man auch die sozialdemokratische Jugendorganisation empfinden, deren Treffen er nun offenbar mit einem Blutbad ein Ende setzte.

Er wolle nicht über die Motive der Attentate spekulieren, hat der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg tief betroffen erklärt. Norwegen habe Probleme mit Rechtsextremen. "Aber verglichen mit anderen Ländern würde ich nicht sagen, dass wir ein großes Problem mit ihnen haben."

"Rechtspopulismus senkt die Hemmschwelle"

Doch auch vor den Anschlägen vom Freitag war der norwegischen Polizei immerhin bewusst, dass die Rechtsextremen im Land Auftrieb erhalten. 2010 habe es verstärkt Aktivitäten rechtsextremer Gruppen gegeben, hieß es in einem Bericht des Sicherheitsdienstes der norwegischen Polizei. Außerdem könne das Erstarken anti-islamischer Gruppen zu einer "verstärkten Polarisierung und Störungen führen, insbesondere während oder im Zusammenhang mit Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen". Allerdings hieß es noch Anfang des Jahres in einem weiteren Bericht, rechtsextreme und linksextreme Gruppen stellten wie in den Jahren zuvor keine ernsthafte Gefahr für die norwegische Gesellschaft dar.

"Er kam aus dem Nichts", sagt dementsprechend ein Polizist. Der Verdächtige hatte in seiner Polizeiakte nur Einträge wegen kleinerer Vergehen. "Er war nicht auf unserem Radar und wäre er in einer Neo-Nazi-Gruppe in Norwegen aktiv gewesen, hätten wir ihn auf dem Radar gehabt", sagt der Polizist. Trotzdem könnte es sein, dass er von der rechtsextremen Ideologie inspiriert worden sei. In den 90er-Jahren führten Neo-Nazi-Gruppen in Skandinavien eine Reihe von Morden und Überfällen durch. Doch seitdem verhielten sie sich ruhig. "Sie haben ein Führungsdefizit. Wir haben diese Gruppen ziemlich gut unter Kontrolle", fügt er hinzu.

Auch der Rechtsextremismus-Forscher der Freien Universität Berlin, Hajo Funke, bezeichnet es als ungewöhnlich, dass ausgerechnet Norwegen Ziel eines offenbar rechtsextremistisch motivierten Anschlags geworden ist. "Der Rechtsextremismus in Norwegen ist relativ schwach ausgeprägt", sagt Funke zur Nachrichtenagentur dapd. Funke wies allerdings darauf hin, dass es mit der norwegische Fortschrittspartei FrP eine Formation gebe, die bis zu 25 Prozent der Wähler erreichen könne. Diese sei zwar "nicht unmittelbar verantwortlich für solche Gewalttaten, aber das kann das Klima anheizen", sagte Funke. "Jede Form von Rechtspopulismus senkt die Hemmschwelle für solche vermutlichen Einzeltäter".

Auf einschlägigen Internetseiten deutscher Neonazis wird auch über die Tat spekuliert: "Einen größeren Bärendienst hätte der Attentäter seiner Sache - dem Kampf gegen die Überfremdung und Islamisierung seiner norwegischen Heimat und Europas insgesamt - nicht erweisen können", heißt es da etwa oder "Was für ein Wahnsinn, aus (berechtigter) Sorge um sein Land Angehörige des eigenen Volkes abzuschlachten. Mögen die Getroffenen auch noch so links-gutmenschlich verblendet gewesen sein, sie bleiben doch seine Landsleute." Offenbar weil Breivik in vielen Medienberichten als fundamentalistischer Christ bezeichnet wird, fällt es ihnen leicht, Breivik den mutmaßlichen Massenmörder als "Psychopathen" zu abzustempeln.

Analog zu Oklahoma City?

Als Psychopath wurde allerdings auch versucht, Timothy McVeigh abzukanzeln. Er war es, der 1995 den bislang letzten rechtsextremen Anschlag einer dermaßen großen Dimension in der US-Stadt Oklahoma ausführte. Damals kamen 168 Menschen ums Leben, als McVeigh den Sprengstoff in einem Laster vor einem Regierungsgebäude zündete. Psychopath war McVeigh nicht, aber überzeugter Rechtsextremist.

Tatsächlich könnte das Blutbad in Norwegen die paramilitärische Szene in Europa wieder stärker ins Licht rücken. Denn ein Jahrzehnt nach den al-Qaida-Anschlägen vom 9/11 hat sich auf dem Kontinent eine neue Bedrohung entwickelt. In vielen westeuropäischen Städten beobachten die Sicherheitsbehörden besorgt, wie sich rechtsextreme Einstellungen verbreiten und von einer giftigen Mischung aus anti-muslimischen Reflexen, Widerstand gegen das Zusammenleben mit Einwanderern und wachsenden wirtschaftlichen Nöten genährt werden. Und was wäre, wenn sich eine Verbindung von Breivik zu Vertretern rechtspopulistischer Parteien nachweisen ließe?

Sollten sich die Hinweise auf das Motiv des Attentäters erhärten, sei die Botschaft nicht zu unterschätzen, sagt Hagai Segal, ein Experte für Sicherheitspolitik an der New York University in London, zu der Nachrichtenagentur Reuters. "Ein solcher rechtsextremer Angriff wäre in Europa und ganz sicher in Skandinavien beispiellos. "Das wäre das hiesige Gegenstück zu Oklahoma City: der Anschlag einer Einzelperson mit extremen regierungsfeindlichen Ansichten und Verbindungen zu bestimmten Gruppen, gegen die Regierung gerichtet und mit dem Ziel eines Regierungsgebäudes oder einer Regierungsinstitution."

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