Anschläge vom 11. September:Terrorhelfer wird nach Marokko abgeschoben

Lesezeit: 4 min

  • Der Terrorhelfer Mounir al-Motassadeq soll noch am Montag nach Marokko abgeschoben werden.
  • Er war Mitglied der Hamburger Terrorzelle um den Todespiloten Mohammed Atta, der eines der Flugzeuge in das New Yorker World Trade Center gesteuert hatte und saß seit knapp 15 Jahren in Deutschland in Haft.
  • Bei Motassadeq hat es bis zuletzt Zweifel gegeben, ob er etwas bereut, sich von der Tat distanziert.

Von Georg Mascolo

In den letzten Augusttagen stoppte vor dem Gefängnis im Hamburger Stadtteil Fuhlsbüttel eine Polizeikolonne mit schwer bewaffneten Spezialeinheiten. Ihr Auftrag war es, einen besonderen Häftling ins nahegelegene Polizeipräsidium zu eskortieren. Neue Fotos mussten gemacht, der Körper sorgsam auf Muttermale, Narben und Tätowierungen untersucht werden.

Identifizierungsmerkmale, die es Grenzpolizisten künftig möglich machen sollen, Mounir al-Motassadeq überall zu erkennen und seine Einreise zu verhindern. Es waren die letzten Vorbereitungen für eine seit Monaten akribisch von Hamburger- und Bundesbehörden geplante Abschiebung: Der wegen Beihilfe zum Massenmord verurteilte Terrorist - ein Unterstützer der berüchtigten Hamburger Zelle deren Mitglieder am 11. September 2001 drei der vier Flugzeuge steuerten - soll nicht nach Deutschland zurückkehren dürfen. Die formale Einreisesperre gilt bis zum 3. April 2064. Das wäre der 90. Geburtstag des Marokkaners.

Letzte Reise auf deutschem Boden

Am Montag war es soweit, SEK-Beamte holten Motassadeq erneut in Fuhlsbüttel ab, dieses Mal zu einer letzten Reise auf deutschem Boden. Auf dem Flughafen in Hamburg wartete bereits ein Hubschrauber, der den 44jährigen nach Frankfurt bringen soll. Von dort geht die Reise noch am Montag, bewacht von Bundespolizisten, zurück nach Marokko.

So jedenfalls ist es geplant. Die Nachricht von der nun laufenden Abschiebung erreichte auch die Bundesregierung. Deren heutiger Vizekanzler Olaf Scholz hatte als damaliger Hamburger Innensenator verkünden müssen, welche entscheidende Rolle eine Gruppe fanatischer al-Qaida-Anhänger aus der Hansestadt bei den Vorbereitungen des Anschlags gespielt hatte.

Bis zuletzt hatten Meldungen die Runde gemacht, die Abschiebung werde womöglich doch noch scheitern: Marokko verweigere die notwendigen Passersatz-Papiere, es gäbe Probleme mit dem Flugzeug oder der US-Geheimdienst CIA könnte Motassadeq kidnappen. Dabei lief jedenfalls bisher alles erstaunlich glatt, tatsächlich war dieser 15. Oktober sogar der erste Tag eines Zeitfensters, an dem der Häftling nach Hause gebracht werden konnte.

Die Berechnung stammt von der Bundesanwaltschaft, die einst auch das Verfahren gegen Motassadeq führte. Gleich drei Mal musste Motassadeq in Hamburg der Prozess gemacht werden, der Bundesgerichtshof hob vorherige Urteile auf. Der Student aus Marakesch war von den Anklägern als Gründungsmitglied der Hamburger Zelle und deren "Statthalter" bezeichnet worden. "Am Ende werden wir auf ihren Gräbern, den Gräbern der Juden tanzen," hatte Motassadeq laut Zeugen gesagt.

Dass die Amerikaner wichtige Erkenntnisse zurückhielten, brachte die Verfahren immer wieder an den Rand des Scheiterns: Sie stammten von dem bereits 2001 im pakistanischen Karatschi gefassten Ramzi Binalshibh, einen Freund Motassadeqs, der zum Chefplaner der Anschläge wurde. Erst 2007 wurde die Entscheidung gegen Motassadeq endgültig rechtskräftig.

Offizielles Haftende wäre für den zu 15 Jahren Haft Verurteilten eigentlich erst der 16. Januar 2019 gewesen. Aber durch ein mit einem Diplom abgeschlossenes Fernstudium an der Universität Hagen im Bereich der Elektro- und Informationstechnik - und eine Qualifizierung im Bereich Erneuerbare Energien - hatte er sich eine ganze Reihe von sogenannten Bonustagen verdient. Im Strafvollzug hätte er diese etwa für einen Hafturlaub nutzen können.

Er kickte in der Fuballmannschaft des FC Fuhlsbüttel - bei Heimspielen

So etwas ist ebenso möglich, wie begleiteter oder unbegleiteter Ausgang um Gefangene auf das Leben nach dem Gefängnis vorzubereiten. Sie sollen Freiheit üben. Für jemanden wie Motassadeq - nach wie vor weltweit die einzige wegen der verheerenden Anschläge verurteilte Person - aber sah der Vollzugsplan keinerlei Lockerungen vor. Obwohl er als gut integriert galt, keinerlei Schwierigkeiten machte und in der Fußballmannschaft FC Fuhlsbüttel kickte. Jedenfalls bei den Heimspielen.

Aber bei Motassadeq hat es bis zuletzt Zweifel gegeben, ob er etwas bereut, sich von der Tat distanziert. Meist schweigt er zu dieser Frage. "Mein Leben ist ruiniert," rief er im letzten Prozess einmal mit brechender Stimme. "Ich habe nie zu dieser Gruppe gehört." Als von Gesetzes wegen geprüft wurde, ob Motassadeq nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe entlassen werden könnte, schaltete die Justiz eigens den bekannten Psychiater Norbert Leygraf ein.

Motassadeq aber bestritt nicht nur weiter die Tat - sondern brachte kein einziges bedauerndes oder distanzierendes Wort zustande. Das galt auch für seinen Besuch in einem al Qaida-Trainingscamp, den er im Prozess eingeräumt hatte. Motassadeq mache es unmöglich festzustellen, was er wirklich denke, entschied das Hanseatische Oberlandesgericht.

So blieb er bis beinahe bis zum letzten Tag hinter Gittern und die Karlsruher Strafverfolger errechneten den Korridor für die Entlassung. Um ihn bei einer unwahrscheinlichen - wenn auch nicht unmöglichen - Wiedereinreise nach Deutschland sofort inhaftieren zu können, griffen die Juristen zu einem Trick: Offiziell bleiben bei der jetzigen Rechnung noch einige Wochen noch zu verbüßender Haft übrig. Motassadeq könnte an jeder europäischen Grenze sofort sistiert werden.

Freude in den Hamburger Sicherheitsbehörden über die Abschiebung

Dass er allerdings überhaupt zurück will, ist wohl unwahrscheinlich. 2004 wurde er bereits ausgewiesen, der Vollzug aber bis zum Ende der Haft ausgesetzt. Motassadeq zog damals noch gegen die Entscheidung vor Gericht und verlor. Jetzt aber gab es keinerlei Versuche seines Anwalts, die Abschiebung durch juristische Mittel zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Motassadeq schien nur noch nach Marokko zu wollen. Dort leben sein Vater, seine Frau und die beiden Kinder, die ihn während der Haft auch immer wieder besuchten.

Nicht nur aus symbolischen Gründen ist die Freude in den Hamburger Sicherheitsbehörden über die erfolgreiche Abschiebung groß. Zwar spielt der 11. September heute in der neuen Jihadisten-Generation praktisch keine Rolle mehr. Die meisten IS-Anhänger wissen nicht einmal, wer Motassadeq ist. Aber der Marokkaner gilt als Charismatiker, niemand konnte sicher einschätzen, welche Rolle er in der Hamburger Islamisten-Szene gespielt hätte. Wäre Motassadeq geblieben, wäre seine Einstufung als Gefährder unvermeidlich gewesen. Polizei und Verfassungsschutz hätten sich um ihn kümmern müssen.

Hamburg jedenfalls ist dabei, zumindest einen vorläufigen Schlussstrich unter das Kapitel des 11. Septembers zu ziehen. Jedenfalls solange kein anderes Mitglied aus der Motassadeq-Clique auftaucht: Bei Binalshibh ist es ausgeschlossen, er sitzt in dem berüchtigten US-Gefangenenlager auf Guantanamo ein, wo der Versuch eines Militärgerichtes, über das Jahrhundertverbrechen zu verhandeln, immer mehr zu einem Desaster wird.

Der Motassadeq-Freund wurde nach seiner Festnahme auf Anweisung der CIA-Zentrale gefoltert, obwohl er bereits redete. Heute behaupten seine Anwälte, er sei psychisch schwer gestört. Mohammed Haydar Zammar, der so etwas wie der Entdecker der Hamburger al Qaida-Rekruten ist, kann die Bundesanwaltschaft nichts nachweisen. Ohnehin sitzt er derzeit in einem kurdischen Gefangenenlager. Zammar hatte sich dem IS angeschlossen.

Bleiben allerdings die mutmaßlichen Mitverschwörer Zakariya Essabar und Said Bahaji, die sich kurz vor den Anschlägen aus Deutschland absetzten. Gemeinsam mit den untergetauchten RAF-Terroristen stehen sie bis heute auf der Liste der meistgesuchte Personen. Ihr Aufenthaltsort ist unbekannt, auch ob sie überhaupt noch leben. Tauchen sie allerdings irgendwann noch einmal auf, dann heißt der Ort für die Inhaftierung und Gerichtsverhandlung Hamburg.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusTerroranschläge vom 11. September 2001
:Der Prozess

15 Jahre nach 9/11 wollen die USA den Hamburger Boten von Osama bin Laden aburteilen. Doch das Tribunal offenbart vor allem, wie Amerika aus einem Täter ein Opfer gemacht hat.

Von Lena Kampf, Georg Mascolo und Nicolas Richter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: