Anschläge in Paris:Wir müssen uns verteidigen

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In einem Einschussloch im Restaurant "La Belle Equipe" hängt eine Rose. Dazu ein Zettel mit der Frage: "In wessen Namen?" (Foto: AFP)

Der Terror in Paris hat eine neue Stufe erreicht: Er soll unser tägliches ziviles Leben in offenen Gesellschaften unmöglich machen. Plädoyer für eine leidenschaftliche Gegenwehr.

Gastbeitrag von Asmus Trautsch

Frankreich und Europa stehen unter einem Schock, der sich mit der Geschwindigkeit digitaler Medien in die Welt ausgebreitet hat. Schrecken, Solidaritätsbekundungen, bereitwillige Schuldzuweisungen, während wir noch nicht sicher wissen, wer genau die Angreifer waren - auch wenn alles für eine Verbindung zum IS spricht. Die Ungewissheit stellt kriminalistisch gesehen einen Mangel und politisch eine Gefahr dar, denn schon schießen Spekulationen hoch und Forderungen werden laut, wo Reflektion angebracht wäre.

Reflektion böte eine Chance, etwas Wichtiges über unsere Reaktion zu begreifen. Als am 22. Juli 2011 in Oslo das Bürogebäude des Ministerpräsidenten angegriffen wurde und kurz danach 69 junge Menschen auf der Insel Utøya ermordet wurden, zitierten Medien und soziale Netzwerke sogleich Drohungen von Dschihadisten gegen Norwegen und sammelten Indizien - bis sich der Rechtsradikale Anders Behring Breivik als Einzeltäter herausstellte.

Nun, in Paris, spricht alles für Täter mit islamistischem Hintergrund, und doch greift dasselbe Schema wie in Oslo und zuvor in New York, Madrid, London, Mumbai, Ankara und Beirut - Terror hat unabhängig von der Ideologie der Täter dieselbe Wirkung. Tote, Verletze, auf Jahre traumatisierte Menschen, als Reaktion weltweite Solidarität, und dazu Angst, Aggression, Ratlosigkeit, Apathie. Bei einigen klammheimliche oder offen zur Schau getragene Schadenfreude.

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Einer der Attentäter wurde inzwischen als Franzose identifiziert, aber welches Netzwerk wirkt im Hintergrund? Und was hat die Festnahme eines möglichen Terrorhelfers bei Rosenheim mit ihnen zu tun? Ein Überblick über die bisherigen Spuren.

Zwei Seiten einer Medaille

Islamistischer Terror und faschistischer, religiöser Fanatismus und Rechtsradikalismus, arabischer und westlicher Nationalismus: Sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Rhetorisch stehen sie sich wie Antipoden gegenüber, doch dialektisch betrachtet stützen sich die Feinde des liberalen Westens und die Feinde der "Islamisierung des Abendlandes" gegenseitig auf fatale Weise.

Wem nützt es denn mehr, wenn nun der Front National bei den Wahlen in Frankreich zulegt? Wenn Muslime in Frankreich es noch schwerer haben als bisher? Wenn die Extremisten die Stimmung radikalisieren und die Macht des Dialogs in der Mitte schwindet? Je polarisierter, desto leichteres Spiel haben Dschihadisten, um junge Frustrierte für ihre Ideologie zu gewinnen, denen dann mörderischer Fanatismus einen Halt verspricht und der Terror einen effektiven Kanal für aufgepeitschte Aggression.

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Am Tag danach ist Paris eine Stadt vor schwarzem Hintergrund. Das Land ist schwer getroffen - und rückt zusammen.

Und wer gewinnt am ehesten Zulauf nach solchen Attacken? Wer profitiert politisch von der Angst vor dem "bösen Fremden"? Haben die Rechtspopulisten nicht schon immer gewusst, welche Religion nicht zu Europa gehört, aus welchen Ländern die Feinde kommen, welche Hautfarben eine Gefahr indizieren? Wenn sie nun auf geschlossene Grenzen und homogene Nationen dringen, werden sie Resonanz finden. Schon jetzt ist bei den üblichen Verdächtigen in den sozialen Netzwerken Genugtuung zu verspüren.

Rechtspopulisten wie religiöse Fanatiker werden so zu Komplizen im Kampf gegen eine offene Gesellschaft. Letztere ist es, die wir zu verteidigen haben, wenn wir unser Selbstverständnis nicht auf die Abwehr des Andersartigen gründen wollen. Darum geht es nun, nach einem Anschlag wie in Paris.

Abschottung ist keine Lösung

Wie viel soziale Freiheit wollen wir? Wie sehr wollen wir in einer vernetzten Weltgesellschaft Sinn und Perspektive finden? Wollen wir so leben, dass wir mit anderen sprechen, diskutieren, forschen, schaffen, feiern, reisen, lieben, ohne von mentalen wie staatlichen Grenzen behindert zu werden? Wie wollen wir die Probleme der Menschheit lösen, wenn wir uns abschotten?

Zur Erinnerung: In zwei Wochen findet die nächste Weltklimakonferenz statt. In Paris.

Es gilt, klare Allianzen einzugehen und auch aus der Perspektive der Toleranz deutlich Grenzen zu markieren, Grenzen gegenüber jenen, die unser Miteinander rhetorisch, politisch oder terroristisch torpedieren. Eine offene Gesellschaft braucht ausdrücklichen Widerstand gegen Kräfte, die eben dieser Gesellschaft ihre Grundlage nehmen wollen, indem sie Aggression und Angst schüren.

Der einfache Weg ist nicht der richtige

Dieser Widerstand muss öffentlich und leidenschaftlich sein. Und so naheliegend der Gedanke für die Nicht-Extremen dieser Gesellschaft ist, so schwierig ist er umzusetzen. Denn eine lebendige, friedliche, tolerante Gesellschaft der Vielfalt ist nicht so einfach zu erreichen wie das Gegenteil. Einfacher ist es, die Probleme von Bagdad bis Oslo, von New York bis Palmyra immer auf religiöse oder ethnische Gegensätze zurückzuführen.

Wer eine weltoffene Gesellschaft will und am Ende auf eine Weltgesellschaft hofft, braucht Ernsthaftigkeit im Umgang mit solchen Krisen. Eine, die sich Tag für Tag im öffentlichen Vernunftgebrauch zu zeigen hat - darunter verstand Immanuel Kant das, was Aufklärung und eine aufgeklärte Gesellschaft ausmacht. Sei es auf Facebook, auf der Straße, in den Flüchtlingslagern oder in der Politik. Nur dann schaffen wir es, die moralischen, rechtlichen, ökologischen und politischen Probleme anzugehen, die mit jedem Terroranschlag wieder akut werden.

An Tagen wie diesen sollten wir der Opfer und ihrer Angehörigen gedenken - und uns vornehmen, schwierige, aber richtige Unterscheidungen zu treffen statt einfache, aber falsche. Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Religionen oder Kulturen, sondern zwischen offenen, pluralen, modernen Gesellschaften und ihren Feinden. Egal, von welcher Seite diese kommen.

Asmus Trautsch ist Schriftsteller, promovierter Philosoph und lehrt an der TU Dresden.

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