Anschläge in Paris:Frankreich nach dem Terror: Es lebe die Republik

Reactions After Europe's Deadliest Terror Assaults In A Decade

Trauernde Französinnen auf der Place de la République in Paris.

(Foto: Bloomberg)

Paris sei ein Fest des Lebens, heißt es, und die Terroranschläge sind ein Anschlag auf dieses Leben. Sie können Frankreich beeindrucken, dem Land aber nicht die Seele rauben.

Kommentar von Stefan Ulrich

Paris sei ein Fest fürs Leben, hat Ernest Hemingway bekundet, weil er als junger Amerikaner hier schreiben, feiern, debattieren und lieben durfte. Vielleicht ist das die schönste Hommage, die der Stadt gehalten wurde.

Und vielleicht ist hier auch ein Grund dafür zu finden, warum der islamistische Terror Paris so hartnäckig heimsucht. Erst Anfang des Jahres die Attentatsserie, die der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einem koscheren Supermarkt galt.

Nun im November, da die Terroristen ein neues Ziel fanden: jedermann. Jedermann, der sich am Freitagabend an der Seine entspannen und unterhalten wollte, bei einem Fußballspiel, in einem Restaurant, einer Bar oder beim Rockkonzert. Ein Fest fürs Leben eben.

Das Leben aber, auch das eigene, gilt den Jüngern des Todes nichts; und das feierfreudige Paris ist ihnen ein Sündenbabel, das vernichtet werden muss.

Die erste Attacke im Januar haben die Franzosen und deren Präsident François Hollande beeindruckend erwidert. Sie sammelten sich um den Slogan "Je suis Charlie", um ihre offene Gesellschaft, um Toleranz und Meinungsfreiheit zu verteidigen. Und sie marschierten, begleitet von vielen Menschen aus aller Welt, durch ihre Hauptstadt, um den Terroristen zu zeigen: Ihr werdet uns nicht unterkriegen.

Die Frage, warum es wieder Frankreich trifft, ist schnell beantwortet

Seitdem ist viel geschehen. Frankreich bombardiert nun auch in Syrien die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die Sicherheitsgesetze wurden verschärft, Polizei und Geheimdienste gestärkt. Die Republik wollte sich wappnen gegen ihren Feind - jetzt hat er wieder zugeschlagen, entsetzlicher denn je.

Die Attentäter haben die Stadt des Lichts verdunkelt und das Land der Aufklärung terrorisiert. Wenn je ein Lehrbuch der asymmetrischen Kriegsführung geschrieben werden sollte, kann dies darin als Beispielfall gelten.

Die Frage, warum es schon wieder Frankreich trifft, ist schnell beantwortet. Das Land, das die Menschenrechte auf dem Schild führt, aber auch robust eigene Interessen wahrnimmt, intervenierte zuletzt in etlichen islamischen Ländern, in Libyen, Mali, im Irak und in Syrien.

Es ist für die Islamisten die verhasste Kolonialmacht, die sich 1916 im Sykes-Picot-Abkommen mit Großbritannien Teile des Osmanischen Reichs unterwarf. Außerdem leben im heutigen Frankreich Millionen Muslime, von denen sich viele sozial ausgegrenzt fühlen.

Der Terror wird diesem Land seine Seele nicht rauben

Der Islamische Staat sieht da Missionspotenzial. Schließlich widerspricht der ganze Ideenfundus der Franzosen und ihrer Republik der Doktrin des "Kalifen" Abu Bakr al-Bagdadi und seines Islamischen Staats. Hier das Ideal des freien Zusammenlebens freier Menschen, dort die totale Unterwerfung unter den Willen Allahs, den ausgerechnet der IS zu kennen vorgibt.

Es ist ein Kampf zweier Konzepte, die in der Geschichte immer wieder aufeinanderprallen: hier die offene Gesellschaft - da der Totalitarismus, sei es in der Gestalt des Faschismus und Nazismus, des real existierenden Kommunismus, eines, wie bei den Kreuzzügen, fanatisierten Christentums oder eben des gewalttätigen Islamismus.

Die offene Gesellschaft kann diesen Kampf nur gewinnen, wenn sie ihre Feinde nicht nachäfft, zum Beispiel als totaler Überwachungsstaat, sondern offen bleibt. Das ist die Herausforderung, vor der die USA in ähnlicher Lage nach den Attentaten vom 11. September 2001 mehrfach versagt haben.

Das wäre das Ende des Rechtsstaats

Alle Freunde der Franzosen können nur hoffen, dass Frankreich diese Herausforderung so bravourös meistert wie im Januar. Präsident Hollande wirkt in solchen Ausnahmesituationen maßvoll und entschlossen.

Andere scheinen dagegen - menschlich verständlich - die Nerven zu verlieren. Etwa Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der den "totalen Krieg" gegen den Terrorismus ausruft, was auf eine gefährliche Spur führt. Oder der Philosoph Pascal Bruckner, der fordert, das Land der Menschenrechte solle Verdächtige künftig wie Schuldige behandeln und einsperren. Das wäre das Ende des Rechtsstaats.

Die Anschläge vom 13. November 2015 werden die französische Politik umtreiben. Wahrscheinlich wird der national-populistische Front National unter Marine Le Pen davon profitieren. Frankreich wird noch weniger Flüchtlinge aufnehmen als in jüngster Zeit, und die Muslime werden noch mehr unter Vorurteilen leiden.

Die Gefahr, dass Marine Le Pen französische Präsidentin wird, bleibt jedoch gering. Zum einen, weil die Franzosen - die Verallgemeinerung sei erlaubt - ein Volk der Vernunft sind. Zum anderen, weil bei ihnen das Mehrheitswahlrecht gilt. Das heißt: Bei einer Stichwahl, zu der es bei der Präsidentschaftswahl 2017 kommen wird, werden sich viele linke, liberale und rechte Wähler für den Gegenkandidaten Marine Le Pens entscheiden.

Der Terror kann Frankreich beeindrucken, dem Land aber nicht seine Seele rauben. Und Paris? Paris bleibt immer Paris.

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