Süddeutsche Zeitung

Anschläge in Norwegen:Wie virtueller Hass zu echtem Terror wird

Anders Behring Breiviks "Manifest" mag krude sein, es ist aber nicht kruder und aggressiver als das, was auf islamfeindlichen Internetseiten diskutiert wird. Vom virtuellen Kampf im weltweiten Netz zum echten Terror - das ist das beunruhigend Moderne, das sich im Massaker von Utøya offenbart. Deshalb muss man den Hasspredigern dort, im Internet, entgegentreten.

Matthias Drobinski

Im Letzten gibt es keine Antwort auf die Frage, warum einer unschuldige Menschen tötet im festen Glauben, Gutes zu tun. Es gibt keine wirkliche Erklärung für die Mischung aus höchster Rationalität und tiefstem Wahnsinn, die Anders Behring Breivik trieb, die Mischung aus pervertierter Religion und Menschenverachtung.

So, wie es letztlich keine Erklärung gibt, warum vor zehn Jahren junge Männer Flugzeuge ins World Trade Center steuerten, wie es im Letzten keine Erklärung gibt für das Böse in der Welt. Das macht die Grenzen aller Erklärungen bewusst. Es ersetzt aber nicht den Blick auf die Wurzeln, Ursprünge und Begründungen des Terroristen - egal, welchen Namen Gottes er missbraucht.

Rassistisch und ausländerfeindlich motivierte Morde hat es immer gegeben, hier aber hat einer in noch nicht dagewesener Brutalität aus Hass gegen den Islam getötet, gegen die multikulturelle Gesellschaft, gegen alles, was er als links und marxistisch und "politisch korrekt" empfand. Breiviks 1500 Seiten umfassendes "Manifest" mag krude und wirr sein, es ist aber in weiten Teilen nicht kruder, wirrer und aggressiver als das, was seit Jahren mit steigender Intensität auf den islamfeindlichen Internetseiten in Europa diskutiert wird.

Er war nicht alleine

Über Jahre hat der Mann aus Norwegen dort mitgeredet, ohne aufzufallen, viele hundert Seiten aus der Begründung seines Kampfes sind geklaut, kopiert von anderen Autoren der anti-islamischen, nationalen, sich als Kreuzritter fühlenden Bloggerszene.

Der Mann war ein Einzeltäter, ein Psychopath. Aber er war nicht alleine. Am Sonntag heißt es zum Beispiel im Forum der deutschen Anti-Islam-Seite "politically incorrect" (die sich natürlich von der Gewalt distanziert): "Das Manifest an sich liest sich ausgezeichnet" - mit den Morden aber habe Breivik "mehr Schaden angerichtet, als er sich vorstellen kann". Die Gemeinde ist erschrocken, nicht so sehr darüber, dass da einer virtuellen Hass zu konkreten Morden hat werden lassen, sondern darüber, dass man nun strategisch in der Defensive ist.

Vom virtuellen Kampf im weltweiten Netz zum echten Terror, das ist das beunruhigend Moderne, das sich im Massaker von Oslo offenbart. Da hat einer über Jahre sich sein Weltbild aus Versatzstücken aus dem Internet zusammengebaut, es verfeinert, mit anderen diskutiert, als ginge es für oder gegen ein Tempolimit auf Autobahnen. Nach der Tat hat er das Netz als weltweites Propagandainstrument genutzt. Es hat ihn niemand gestoppt, weil es niemanden gab, der ihn stoppen konnte.

Über den Stammtisch ist viel hergezogen worden, über seine Intoleranz und über den alkoholtriefenden Satz: "Die sollte man alle . . ." Aber am Ende hat dann doch jemand dem heißesten der Sporne die Hand schwer auf die Schulter gelegt und gesagt: Junge, lass gut sein. Im Internet fehlt das. Dort verschwimmen die Realitätsebenen, verschwindet der Einzelne, von dem niemand weiß, ob er nur redet oder schon Bomben baut. Auch das macht die Forderungen nach neuen Gefährderdateien so hilflos: Einer wie Breivik wäre durch alle Raster geschlüpft.

Die Art des Mediums bestimmt die Art der Botschaft, diese These hat der Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan schon 1967 aufgestellt - das gilt auch für den Terrorismus im Internetzeitalter. Der Terrorist braucht Medien, damit sich Angst und Schrecken verbreiten, er braucht Stilisierungen und Heroisierungen, um Nachahmer zu finden und Aufmerksamkeit für seine Motive.

Die Anarchisten des 19. Jahrhunderts nutzten illustrierte Zeitungsberichte, die palästinensischen Gewalttäter des Münchner Olympia-Attentats von 1972 setzten auf Fernsehbilder; der Terrorist des Internetzeitalters stilisiert sich über Facebook und Youtube-Videos. Das Netz bietet unendliche Freiheit und Toleranz, aber eben auch die Einengung und die Spirale des von allen sozialen Filtern befreiten Hasses. Du bist nicht allein mit deinen Mordgelüsten, wie du es am Stammtisch wärest. Und immer gibt es einen, der weiter geht als du.

Von der virtuellen zur echten Gewalt, das hat es auch in Deutschland vor kurzem gegeben, nicht einmal fünf Monate ist es her. Ein 21 Jahre alter Mann aus dem Kosovo hat da am Frankfurter Flughafen zwei Menschen erschossen, Soldaten der US-Armee. Auch er hatte im Internet hassen gelernt, auf den Webseiten islamistischer Gruppen, den in der Szene beliebten Prediger Pierre Vogel eingeschlossen, der natürlich Gewalt ablehnt und es ganz schrecklich fand, wie der Mann der guten Sache schadet. Auch er war einer dieser unauffälligen Einzeltäter, die dann doch nicht allein sind. Bisher war diese Form der Radikalisierung die Domäne der islamischen Hass- und Gewaltprediger mit ihren Dschihad-Propagandavideos. Nun zeigt sich: Die neue Gefahr ist interreligiös.

Immer schon war eine Gesellschaft durch Terroristen umso leichter zu verletzen, je freiheitlicher sie war, in Norwegen wird das besonders klar. Der Einzeltäter aus der Unkenntlichkeit des Netzes verschärft dieses Problem. Ein Grund mehr, den Hasspredigern dort entgegenzutreten, ihren einfachen Weltbildern, ihrer Abwertung des Anderen bis ins Untermenschliche. Egal, welcher Religion sie angehören.

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Quelle:
SZ vom 26.07.2011/segi
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