Süddeutsche Zeitung

Anschläge in Norwegen:Verteidiger Lippestad - eine seltsame Wahl

Geir Lippestad ist Sozialdemokrat und engagiert sich für Völkerverständigung, er ist Teil jener offenen Gesellschaft, der Anders Behring Breivik den Krieg erklärte - dennoch wollte der Attentäter ihn als Verteidiger. Jetzt ist er der gefragteste Jurist Norwegens.

Gunnar Herrmann, Oslo

Der Anruf aus dem Polizeihauptquartier muss Geir Lippestad überrascht haben. Anders Behring Breivik, kurz zuvor als mutmaßlicher Massenmörder auf Utøya festgenommen, wolle ihn als Verteidiger verpflichten, erfuhr der 46-jährige Anwalt am Samstag. Es war eine seltsame Wahl. Und Lippestad macht bei Interviews keinen Hehl daraus, dass er zunächst zögerte. "Klar, das ist ein Auftrag und eine Tat, für die es keinen Vergleich gibt", sagte er dem Fernsehsender NRK. "Und es gibt mehrere Aspekte, derentwegen ich erst einmal genau nachgedacht habe."

Ein solcher Aspekt dürfte sein, dass Geir Lippestad Sozialdemokrat ist, gelegentlich Aufträge für die Regierung übernimmt, und sich für Völkerverständigung engagiert. Unter anderem ist er der Vorsitzende von Youth for Understanding Norwegen, einem Verein, der internationalen Schüleraustausch organisiert, um junge Menschen mit fremden Kulturen in Kontakt zu bringen.

Lippestad ist also selbst aktiver Teil jener offenen Gesellschaft, der Breivik den Krieg erklärt. Auf den ersten Blick ist es unbegreiflich, warum der mutmaßliche Terrorist, der eine Bombe im Regierungsviertel zündete und anschließend auf Utøya gezielt junge Sozialdemokraten ermordete, sich ausgerechnet so einen Verteidiger wünscht. Er wisse auch nicht, warum Breivik ihn gewählt habe, sagte Lippestad, als er jetzt mit schwarzer Krawatte im Fernsehstudio saß.

Ein Grund könnte sein, dass der Anwalt im Jahr 2002 den rechtsradikalen Mörder Ole Nicolai Kvisler verteidigt hat. Der Neonazi hatte gemeinsam mit seiner Freundin und einem Kumpanen aus der rechten Szene den 15-jährigen Benjamin Hermansen auf offener Straße niedergestochen. Der offensichtlich rassistisch motivierte Mord - Hermansens Vater stammte aus Ghana - löste im ganzen Land Empörung aus. Möglicherweise ist Breivik damals auf Lippestad aufmerksam geworden. Kvisler wurde vom Gericht zu 15 Jahren Haft verurteilt, die zweite Instanz erhöhte die Strafe auf 17 Jahre.

Abgesehen davon ist Lippestad nicht so sehr für Strafprozesse bekannt. Auf der Internetseite seiner Kanzlei ist zu lesen, dass er sich unter anderem auf Eigentumsrecht, Arbeitsrecht und Wirtschaftskriminalität spezialisiert. Für die Regierung leitet Lippestad eine Projektgruppe, die sich mit "Universellem Design" beschäftigt, also mit der Frage, wie öffentliche Gebäude behindertengerechter gestaltet werden können. Lippestad war früher einmal Generalsekretär im norwegischen Verband der Hörgeschädigten, dessen Mitgliedern er heute noch gratis juristischen Beistand anbietet.

Für diese Dinge wird ihm aber in den kommenden Monaten nur wenig Zeit bleiben. Nachdem er die Verteidigung Breiviks übernommen hat, ist er der gefragteste Jurist Norwegens. Wenn man ihn auf seinem Handy anruft, sagt eine Computerstimme: "Die Mailbox dieses Anschlusses ist voll." Im Fernsehen erläuterte Lippestad seine Entscheidung: "Es ist ein wichtiges demokratisches Prinzip, dass ein Angeklagter ein Recht auf Verteidigung hat. Und es ist die Aufgabe eines Anwalts, diesen Job zu machen. Also habe ich ja gesagt."

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SZ vom 27.7.2011/afis
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