Anschläge in Norwegen:Attentäter Breivik plädiert auf "nicht schuldig"

Er hat den Massenmord gestanden, bekennt sich aber nicht schuldig: Bei seinem Haftprüfungstermin hat der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik ausgesagt, er habe mit dem Bombenanschlag von Oslo und der Ermordung von Jugendlichen sein Land vor Islam und Marxismus schützen wollen. Im Gerichtssaal spricht er von "zwei weiteren Zellen". Hat Breivik doch Komplizen?

Anders Behring Breivik, der mutmaßliche Mörder von 76 Menschen in Norwegen, hat bei seinem ersten Haftprüfungstermin am Montag auf "nicht schuldig" plädiert. Das sagte der zuständige Richter in Oslo. Zum Motiv habe er angegeben, er habe sein Land gegen Islam und Marxismus verteidigen wollen. Das Gericht schickte ihn für acht Wochen in Untersuchungshaft.

In den ersten vier Wochen darf der 32-jährige Breivik weder Besuch bekommen noch Briefe schreiben oder empfangen. Außerdem ist ihm in dieser Zeit der Kontakt zu Medien verboten. Er wird rechtspsychiatrisch untersucht.

Von dem Attentäter gehe weiter ein großes Risiko aus, hieß es auf der Pressekonferenz des Gerichts. Der Norweger wollte der sozialdemokratischen Arbeiterpartei größtmöglichen Schaden zufügen. Das gab er nach Gerichtsangaben beim Hafttermin in Oslo an. Sie sei für die massenhafte Einwanderung von Muslimen verantwortlich und habe dafür bezahlen müssen. Breivik sagte ferner, er habe mit den Anschlägen "ein kräftiges Signal" an das Volk geben wollen.

Besonders mysteriös ist die Äußerung Breiviks, es gebe noch "zwei weitere Zellen in unserer Organisation". Weitere Einzelheiten aus der Verhandlung wollte der Gerichtssprecher aber nicht mitteilen.

Der erste Haftprüfungstermin des geständigen Attentäters wurde nach etwa einer halben Stunde beendet.

Breivik war am Montagnachmittag in dem Gericht in Oslo eingetroffen. Der staatlichen Nachrichtenagentur NTB zufolge wurde der er durch den Keller in das Gerichtsgebäude gefahren und anschließend in den Gerichtssaal gebracht. Ein Sicherheitsbeamter bestätigte die Angaben.

Beim Eintreffen vor dem Osloer Stadtgericht griffen Jugendliche das Auto mit dem mutmaßlichen Attentäter Breivik an - sie traten gegen den schwarzen Jeep. Zahlreiche Menschen vor dem Gericht riefen "Verräter" und "Mörder" und andere Beschimpfungen, als das Auto vorfuhr. Auch sein Anwalt Geir Lippestad wurde laut Guardian beschimpft.

Die Anhörung Breiviks fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das hatte das Gericht zuvor entschieden. Eine öffentliche Anhörung in Anwesenheit des Verdächtigen könne die Ermittlungen und die Sicherheit beeinträchtigen, sagte Richter Kim Heger.

Der Attentäter hatte sich zuvor eine öffentliche Sitzung gewünscht. Über Anwalt Lippestad hatte er mitgeteilt, er wolle seine Motive für die beiden Anschläge öffentlich erklären, bei denen er am Freitag mindestens 76 Menschen getötet hatte.

Zudem hatte er den Wunsch geäußert, "in Uniform" vor dem Richter erscheinen zu dürfen. Er wisse nicht, um welche Uniform es sich handele, sagte sein Anwalt. In seinem von ihm selbst im Internet veröffentlichten, sogenannten "Manifest" hatte Breivik geschrieben, dass er die Zeit nach einer möglichen Festnahme als "Propagandaphase" nutzen wolle.

Üblicherweise kann Untersuchungshaft für bis zu vier Wochen verhängt werden. Die Polizei will aber ausnahmsweise eine achtwöchige Untersuchungshaft beantragen, um mehr Zeit für die Aufklärung der Hintergründe der Anschläge zu haben. Die U-Haft kann aber auch bis zu einem Prozessbeginn verlängert werden.

Der mutmaßliche Attentäter hatte am Freitag auf der Fjordinsel Utøya ein Blutbad unter etwa 700 Teilnehmern eines sozialdemokratischen Jugendlagers angerichtet. Dabei tötete er mindestens 68 Menschen. Die Beamten fürchten, dass noch weitere Opfer entdeckt werden könnten. Kurz vor dem Attentat auf der Insel im Tyrifjord starben mindestens acht Menschen durch eine offenbar von Breivik platzierte Autobombe im Osloer Regierungsviertel.

Norwegens Geheimdienst PST war bereits im März auf Breivik aufmerksam geworden - weil er in Polen Chemikalien gekauft hatte, die auch für Bomben verwendet werden können. Er habe die Stoffe für eine Summe von 120 Kronen (15 Euro) gekauft und sei deshalb auf entsprechenden Listen aufgetaucht, bestätigte Janne Kristianen, die Chefin des Dienstes. Dies sei aber nicht ausreichend für eine aktive Überwachung gewesen.

Grausame Geschosse

Nach Angaben eines Chirurgen setzte Breivik auf Utøya zudem sogenannte Dumdumgeschosse ein - spezielle Projektile, die im Körper des Getroffenen deformieren oder zerplatzen und besonders schwere innere Verletzungen anrichten. "Diese Projektile sind mehr oder weniger im Innern des Körpers explodiert", sagte Colin Poole, Chefarzt der Chirurgie am Ringriket-Krankenhaus in der nordwestlich von Oslo gelegenen Stadt Honefoss: "Diese Projektile fügten inneren Schaden zu, der absolut entsetzlich ist."

Norwegens Polizei verteidigt sich unterdessen gegen den Vorwurf, bei dem Massaker auf der Insel Utøya zu spät eingegriffen zu haben. Der Osloer Polizeichef Anstein Gjengedal sagte im TV-Sender NRK, die Antiterroreinheit "Delta" sei am Freitag sofort nach dem ersten Alarmruf trotz der vorherigen Bombenexplosion im Osloer Regierungsviertel in Gang gesetzt worden: "Wir waren schnell da."

Breivik hatte für seinen Angriff auf die etwa jugendlichen Teilnehmer des sozialdemokratischen Ferienlagers eine Stunde Zeit - erst dann wurde er festgenommen. Die Eliteeinheit der Polizei war in Autos aus dem 45 Kilometer entfernten Oslo gekommen. Sie verlor nach Angaben mehrerer Medien auch Zeit, weil beim Übersetzen auf die kleine Fjordinsel Utøya ein Bootsmotor streikte.

Gjengedal rechtfertigte die Entscheidung für Autos statt Hubschrauber als Transportmittel: "Es war einfach das Schnellste." Der als Transportmittel einzig denkbare Hubschrauber des norwegischen Militärs habe außerhalb Oslos gestanden und wäre deshalb erst später eingetroffen. "Wir haben mehrere Jahre lang um einen eigenen Transporthubschrauber gebeten, aber ohne Erfolg", sagte der Polizeichef von Norwegens Hauptstadt. Der einzige Überwachungshubschrauber der Polizei war für einen schnellen Flug nach Utøya nicht einsetzbar, weil das gesamte Personal Ferien machte.

Der Polizei zufolge hat der Attentäter seine Taten neun Jahre lang geplant. Erste Verhöre sollen ergeben haben, dass Breivik nicht alle seine Pläne umsetzen konnte. So wollte er bei dem Massaker auf der Insel Utøya offenbar auch die frühere Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland ermorden.

Seit dem Frühjahr hatte Breivik sechs Tonnen Kunstdünger zusammengekauft, der zur Herstellung von Bomben geeignet war. Der Hobbyschütze hatte über Netzwerke im Internet Kontakte in die rechte Szene. Er soll nun auf seinen Geisteszustand untersucht werden. "Es ist ausgesprochen schwer für mich, eine vernünftige Zusammenfassung von dem zu geben, was er in dem Verhör gesagt hat", so Verteidiger Lippestad.

Auch die Polizei äußerte sich am Sonntagabend zurückhaltend zum Motiv des geständigen Attentäters. Sie stieß im Internet auf eine etwa 1500 Seiten lange Hassschrift des Mannes. Passagen seines Manifests soll Breivik fast wortgetreu von dem amerikanischen "Unabomber" Ted Kaczynski übernommen haben, der bei einer Serie von Briefbombenanschlägen in den USA von den siebziger bis in die neunziger Jahre drei Menschen getötet und zahlreiche verletzt hatte.

Breivik übernahm Abschnitte, die sich auf den ersten Seiten von Kaczynskis Manifest finden, ohne wie bei anderen Zitaten auf den Urheber hinzuweisen. In einer Passage, in der sich der Amerikaner über das "Minderwertigkeitsgefühl" der Linken ausließ, ersetzte Breivik den Begriff "Linksradikalismus" durch "Multikulti" beziehungsweise "Kulturmarxismus". Mindestens ein Absatz ist wortwörtlich wiedergegeben: "Feministinnen sind verzweifelt bemüht zu beweisen, dass Frauen genauso stark und fähig sind wie Männer. Sie werden eindeutig von der Furcht geplagt, dass Frauen NICHT so stark und fähig sein könnten wie Männer."

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Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Artikel war von 93 Toten die Rede. Am Montag hat jedoch die norwegische Polizei ihre früheren Angaben korrigiert: Demnach wurden auf der Insel Utøya 68 Menschen getötet, bislang war von 86 Toten die Rede gewesen. Dagegen stieg die Zahl der Toten bei dem Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel von sieben auf acht.

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