Süddeutsche Zeitung

Israel:Bombenanschläge in Jerusalem

Zwei Explosionen an Bushaltestellen fordern einen Toten und 22 Verletzte. Die Anschläge wecken die alten Traumata aus den Intifada-Zeiten.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Der Bombenterror ist zurückgekehrt nach Jerusalem und mit ihm die Angst. Bei zwei offensichtlich koordinierten Explosionen an zwei Bushaltestellen im morgendlichen Berufsverkehr wurde am Mittwoch ein Mensch getötet, mindestens 22 wurden verletzt. Zu den Anschlägen bekannte sich zunächst niemand, doch mehrere militante Palästinensergruppen priesen die blutige Tat als "natürliche Antwort" auf Israels Besatzung. Die Detonationen verschärfen die ohnehin seit Monaten angespannte Lage im nahöstlichen Konfliktgebiet und wecken alte Traumata aus den Zeiten der Zweiten Intifada in den Jahre 2000 bis 2005.

Israel hat in den vergangenen Monaten eine neue Welle von Terrorangriffen erlebt, zumeist mit Messern oder Schusswaffen. Doch dieser Angriff hat eine neue Qualität: Anders als die bisherigen Taten, die von einzelnen Attentätern ausgeführt wurden, erfordert der Bombenbau Planung und eine gewisse terroristische Infrastruktur. Die beiden laut Polizei nahezu identischen Sprengsätze waren offenbar in Taschen versteckt worden und wurden den ersten Erkenntnissen zufolge im Abstand von 30 Minuten ferngezündet. Um die Zahl der Opfer zu vergrößern, waren sie mit Nägeln und Metallteilen gespickt. Der Tote ist ein 16-jähriger Schüler einer Jerusalemer Religionsschule.

Premierminister Jair Lapid rief am Mittag eine Krisensitzung der Polizei- und Armeespitze ein

Die Tat sendete Schockwellen durch Israel. "Einen solchen Terroranschlag haben wir seit Jahren nicht mehr erlebt", sagte Polizeichef Yaakov Schabtai. Er rief die Bewohner Jerusalems zu erhöhter Wachsamkeit bei verdächtigen Objekten auf. Alarmiert zeigten sich auch die politischen Kreise, in denen nicht allzu weit von den Tatorten entfernt gerade über die Bildung einer neuen, rechts-religiösen Regierung verhandelt wird. Der scheidende Premierminister Jair Lapid rief am Mittag eine Krisensitzung der Polizei- und Armeespitze ein. Sein designierter Nachfolger Benjamin Netanjahu besuchte die Verletzten am Nachmittag im Krankenhaus.

Als erster Politiker am Anschlagsort zeigte sich der Rechtsradikale Itamar Ben-Gvir, der in der künftigen Regierung als Polizeiminister vorgesehen ist. Er nutzte die Gelegenheit zu scharfen Worten. "Wir müssen dem Terrorismus einen sehr, sehr, sehr hohen Preis abverlangen, wir müssen zu gezielten Tötungen zurückkehren", forderte er. Zudem kündigte er an, die Bedingungen für palästinensische Häftlinge in den Gefängnissen verschärfen zu wollen, "die Party dort" müsse beendet werden. Vor allem müsse nun so schnell wie möglich eine rechtsgerichtete Regierung gebildet werden, "der Terror wartet nicht".

Auf die vielen Anschläge seit dem Frühjahr reagierte die israelische Armee mit harter Hand

Solche Worte ebenso wie Reaktionen von Seiten der Palästinenser lassen eine weitere Eskalation befürchten. Ein Sprecher der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas erklärte, "die nächsten Tage werden herausfordernd und schwierig für den Feind sein. Die Zeit ist gekommen für die Bildung von Zellen, die sich über ganz Palästina verbreiten und bereit sind zur Konfrontation".

Auf die vielen Anschläge seit dem Frühjahr reagierte die israelische Armee mit harter Hand und fast täglichen Razzien in den Palästinensergebieten. Auf israelischer Seite wurden dabei in diesem Jahr 26 Tote gezählt, auf palästinensischer sind es nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums bereits 140. Zudem wurden mehr als 2000 Palästinenser festgenommen. Die US-Regierung hat kürzlich eindringlich beide Seiten zur Zurückhaltung aufgerufen.

Für Empörung sorgte zudem am Mittwoch in Israel die Nachricht von einem Leichendiebstahl aus einem Krankenhaus in Dschenin im Westjordanland. Dort war ein israelischer Staatsbürger nach einem Verkehrsunfall eingeliefert worden. Berichten zufolge hatten sich bewaffnete Palästinenser des Leichnams bemächtigt in der Annahme, der Tote sei ein im Geheimen operierender israelischer Soldat gewesen. Tatsächlich aber ist es ein 18-jähriger Schüler aus der arabischsprechenden drusischen Minderheit.

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