Süddeutsche Zeitung

Annegret Kramp-Karrenbauer:Einmischen - auch mal mit Ellenbogen

"Eitelkeit und Egoismus sind schlechte Begleiter": Annegret Kramp-Karrenbauer wird heute voraussichtlich zur Ministerpräsidentin des Saarlandes gewählt. Die Nachfolgerin von Peter Müller wirkt häufig brav und etwas glanzlos. Doch das täuscht, sie hat enormes Durchsetzungsvermögen. Das wird sie auch brauchen.

Marc Widmann

In diesen Tagen rollt mal wieder eine Welle der Existenzangst durchs kleine Saarland. "Wir leben deutlich über unsere Verhältnisse", konstatiert eine Gruppe prominenter Saarländer, die sich "Zukunftsinitiative Saar" nennt, darunter einige ehemalige Minister von CDU wie SPD. Harte, unpopuläre Sparmaßnahmen seien dringend nötig, wenn man nicht bald vom ungeliebten Mainz aus regiert werden wolle.

Das eine oder andere Ministerium könne man ruhig auflösen und die überflüssigen Landkreise im kleinsten Flächenland der Republik sowieso, befinden die alten Herren - es gehe schließlich um alles: um die saarländische Eigenständigkeit.

Der dramatische Appell verdeutlicht recht anschaulich, was da auf Annegret Kramp-Karrenbauer zukommt. An diesem Mittwoch soll die 49-jährige Sozialministerin im Saarbrücker Landtag zur neuen Regierungschefin gewählt werden, als Nachfolgerin von Peter Müller; mit Abweichlern bei der Abstimmung rechnet niemand. Nach der Zeremonie wartet dann sogleich ein beachtlicher Berg von Problemen auf die CDU-Politikerin.

Nicht allein die sogenannte Haushaltsnotlage, bestehend aus zwölf Milliarden Euro Schulden, die ihre Vorgänger aufgetürmt haben. Sie muss auch ein Experiment zusammenhalten: das bundesweit erste Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und der im Saarland kaum berechenbaren FDP. Und sie muss ihren Christdemokraten wieder das Gefühl von Stärke vermitteln, der Unmut ist hörbar über die dominante Rolle der Grünen in der Koalition.

Heikle Missionen ist die Politikerin aus Püttlingen allerdings gewohnt. Als sie vor elf Jahren die erste Innenministerin der Republik wurde, nachdem ihr Vorgänger über eine Affäre gestürzt war, gaben ihr manche nicht lange: Die Stimmung war verdorben, der Ton im Ministerium barsch. Und dann diese junge Frau? Die kaum Erfahrung hatte?

Die brave Ministerin

Kramp-Karrenbauer stürzte sich mit Eifer in die Aufgabe, sie redete ausgiebig und mit allen, besuchte fast jeden Polizeiposten im Land und erwarb sich den Respekt der Männerriege. Als Belohnung musste sie anschließend im Bildungsministerium die Schulen reformieren, auch das überstand sie schadlos.

Heute verwaltet sie den Sozial-Etat und spart schon mal bei Behindertenwerkstätten. Trotzdem steht sie in einer Beliebtheitsumfrage mit Abstand an der Spitze, mehr als die Hälfte aller Saarländer sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Selbst in der Linkspartei loben sie manche als "brave Ministerin", was nur ein bisschen hämisch gemeint ist.

In den Wochen vor ihrer Wahl reiste AKK, wie viele sie nennen, durchs Land. Sie nannte die Reise ihre "Zuhörtour", und im Gegensatz zu manch anderem Politiker hört sie den Bürgern tatsächlich zu. Sie wirkt in solchen Momenten recht unkompliziert, nahbar, obwohl sie schon elf Jahre regiert. Sie verzichtet auf große Gesten und großes Pathos, das Ausladende einiger ihrer Vorgänger ist ihr fremd. "Eitelkeit und Egoismus sind schlechte Begleiter", sagt sie.

Auch ihre Reden sind eher glanzlos, für manche zu nüchtern, weshalb sie seit neuestem einen Image-berater engagiert hat, der sich um etwas mehr Feuer in ihren Zeilen bemüht. Doch täuschen ihre bisweilen etwas farblosen Auftritte: Sie verdecken, dass da eine ehrgeizige Frau seit Jahren ziemlich konsequent an ihrer Karriere arbeitet. Eine Frau, die durchaus auch die Ellenbogen ausfährt, um ihr Revier zu verteidigen, wie Kabinettskollegen berichten.

In die Bundespolitik wird sich Kramp-Karrenbauer wohl öfter einmischen als ihr zuletzt nur noch wenig engagierter Vorgänger. Sie hält Ruhe nicht für die oberste Pflicht von CDU-Mitgliedern, im Gegenteil. "Wir müssen wieder eine Partei sein, die Spaß am Disput hat", rief sie im Mai bei ihrer rundum harmonischen Wahl zur CDU-Landeschefin. "Querdenker und Widerstandsköpfe - herzlich willkommen bei uns!" Sie verspricht, dass sie sich selbstbewusst einmischen werde; nicht nur, wenn es ums kleine Saarland geht.

Dabei wird sie die Tradition der saarländischen CDU fortsetzen: Die ist sozial eingestellt, eher links, eher auf der Seite der kleinen Leute, von denen es viele gibt, hier am Rand der Republik. Viele besitzen hier ein kleines Häuschen, die Eigenheimquote ist nirgendwo höher, sagt Kamp-Karrenbauer gern. In dieses Land passt die Frau aus Püttlingen recht gut, die mit beiden Beinen "fest auf dem Boden der Wirklichkeit steht", wie Vorgänger Peter Müller lobt.

Schon vor ihrer Wahl erzählt Kramp-Karrenbauer munter von ihren Positionen, die den Konservativen in der CDU überhaupt nicht gefallen. Dass sie offen ist für einen gesetzlichen Mindestlohn, verkündet sie immer wieder, und dass sie es für einen Skandal hält, wie viele Menschen "trotz zwei bis drei Jobs ihre Familie nicht ernähren können".

In solchen Momenten klingt sie fast so, als wäre sie bei den Sozialdemokraten. Es ist durchaus denkbar, dass Kramp-Karrenbauer künftig zu einer wichtigen Stimme des sozialen Flügels der CDU wird, der seit der Abwahl von Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen eher dünn besetzt ist.

Wider die Heimchen am Herd

Dazu passt, dass sie Steuersenkungen im Bundesrat auf keinen Fall zustimmen will, falls den Bundesländern dann weniger Geld bleibt. Und dass sie keinerlei Lust hat, bei der Familienpolitik zurück in die fünfziger Jahre zu fallen: "Wenn wir heute als Volkspartei auch von Frauen gewählt werden wollen, brauchen wir eine Politik, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Mittelpunkt stellt und nicht das Heimchen am Herd", sagte sie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Man darf das getrost als Breitseite gegen alle verstehen, die derzeit die CDU wieder konservativer machen wollen, gegen die Erwin Teufels in der Partei. Man darf es aber auch als Statement in eigener Sache verstehen.

Bei Kramp-Karrenbauers in Püttlingen gibt es schon lange kein Heimchen am Herd mehr. Während die Frau regiert, kümmert sich auch mal ihr Ehemann um den Haushalt und die drei Kinder. Er ist Ingenieur im letzten Bergwerk an der Saar, und er wird im kommenden Jahr erleben, wie seine Ehefrau bei der Schließung seiner Arbeitsstätte eine Abschiedsrede hält. Vielleicht sogar eine feurige.

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Quelle:
SZ vom 10.08.2011/gal
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