Ein Stuhl ist ein Stuhl, und zwei Stühle sind zwei Stühle. Wenn aber jemand auf den einen Stuhl einen Zettel mit dem Namen Friedrich Merz gelegt hat und direkt auf den Stuhl daneben einen Zettel mit dem Namen Annegret Kramp-Karrenbauer, dann erzählen die beiden Stühle eine kleine Geschichte.
Die CDU-Vorsitzende hat schon vor einiger Zeit zugesagt, bei der Deutsch-Amerikanischen Konferenz der Atlantikbrücke ein paar grundsätzliche Worte zum Thema "Stärkung transatlantischer Abwehrbereitschaft in ungewissen Zeiten" zu sprechen. Gastgeber ist Friedrich Merz, der über das Thema eine Menge zu sagen weiß, was er in seiner Bewerbungsrede um den CDU-Vorsitz im Dezember ohne den gewünschten Erfolg getan hat. Die Konstellation ist also für den rund um den Reichstag vorherrschenden Geschmack ohnehin schon hübsch. Noch schöner wird sie durch das Timing. Es floriert gerade jene K-Frage (ob Kramp-Karrenbauer Kanzlerin kann), die Merz in vollkommener Unschuld am Vortag als "völlig irre Diskussion" abgetan hat.
Er freue sich, begrüßt Merz also die "liebe Annegret", dass sie sich bereit erklärt habe, "deine Sicht der Dinge vorzutragen über unsere westliche Allianz und was du darüber denkst, wie wir in der Zukunft vorgehen sollen". Das klingt zum einen so, als beabsichtige Merz, sich gleich ein paar Notizen zu machen, um die Sache im Anschluss mit dem Prüfling noch einmal geduldig durchzugehen, und zum anderen so, als habe man noch nie etwas von dieser Sicht der Dinge der CDU-Vorsitzenden gehört. Das stimmt natürlich nicht. Tatsache aber ist, dass ihr europapolitisches Antwortschreiben an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Vertretung der Kanzlerin in Berlin nicht viel mehr Eindruck hinterlassen hat als in Paris. Und zwei außenpolitische Auftritte hat sie jüngst aus Gesundheitsgründen sehr kurzfristig abgesagt. Als unbeantwortet gilt in Berlin bislang jedenfalls, ob Kramp-Karrenbauer Außenpolitik kann. Also Kanzlerin.
Den Beginn ihrer Rede legt die CDU-Vorsitzende dann zumindest so an, wie sie es - sollte es dazu kommen - auch beim Antrittsbesuch in den USA machen könnte. Sie spricht über ihren Vater, Jahrgang 1927, der als Schüler zur Wehrmacht eingezogen wurde und gegen Kriegsende in US-Kriegsgefangenschaft kam. "Eigentlich ein Glücksfall", habe der Vater dazu gesagt. Nicht nur, weil ihm nach einer Verwundung von US-Soldaten das Leben gerettet worden sei, sondern weil er "Vergebung und Freundschaft und den Wert der Demokratie" erfahren habe. Es folgt eine Rede, in der Kramp-Karrenbauer sich zur transatlantischen Partnerschaft bekennt und Donald Trump eher zaghaft kritisiert.
Den US-Präsidenten verteidigt sie gegen die Gleichsetzung mit autoritären Staatschefs wie dem Russen Wladimir Putin und dem Türken Recep Tayyip Erdoğan. Wenn die drei "in einem Atemzug" genannt würden, so sei das "eine Äquidistanz, die nicht hinzunehmen ist". An der Politik der US-Regierung könne vieles kritisiert werden, was in den USA von der Opposition auch getan werde. Der entscheidende Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und Russland sei, "dass Journalisten in den USA ihre Arbeit unbeeinträchtigt machen können, während sie in Russland in Schauprozessen vor Gericht gestellt werden".
Als unbeantwortet gilt in Berlin bislang, ob die CDU-Chefin Außenpolitik kann. Also Kanzlerin
In ihrer Rede mahnt Kramp-Karrenbauer "europäisches Selbstbewusstsein" an und fordert, die "systemische Herausforderung" durch China anzunehmen. Beim Klimaschutz, appelliert Kramp-Karrenbauer, sei die transatlantische Partnerschaft "eminent wichtig". Man solle sich daher "nicht auseinandertreiben lassen über die Frage des Pariser Klimaschutzabkommens". Aus den USA stammten schließlich wichtige Innovationen für den Klimaschutz, das sei besser als "Untergangsszenarien und Verbotsphantasien". Im Streit über die Höhe der Verteidigungsausgaben bekräftigt die CDU-Vorsitzende ihr Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Es gehe um die Frage, "ob Deutschland ein verlässlicher Partner ist, der das, was er einmal zugesagt hat, auch verlässlich einhält". Der Bundestag habe überdies die Verantwortung, dass Soldaten im Einsatz so ausgestattet seien, dass sie "gesund aus diesem Einsatz zurückkommen können".
Ob die Menschen von der Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben zu überzeugen seien, wird später der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen gefragt. Sicher, antwortet der, nötig sei "nur ein bisschen Führung". Kramp-Karrenbauer ist da schon weg.