Bundesfamilienministerin Anne Spiegel:"Sie tut sich selbst auch keinen Gefallen"

Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) bei einem Besuch im Ahrtal im Oktober 2021

Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) bei einem Besuch im von der Flut getroffenen Ahrtal im Oktober 2021.

(Foto: Thomas Frey/dpa)

Auch nach ihrer Entschuldigung fordert die Union, Familienministerin Spiegel müsse zurücktreten. Aus der Spitze der Ampelkoalition kommt bisher wenig Hilfe - und manche fragen sich, ob Politik unbarmherzig sei. Die Reaktionen.

Von Kassian Stroh

CDU und CSU halten an ihrer Rücktrittsforderung fest, der Koalitionspartner FDP gibt sich zurückhaltend, aus der Spitze von SPD und Grünen ist öffentlich nichts zu hören, auch keine Solidaritätsbekundung. Am Tag nach dem emotionalen Auftritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne), in dem sie ihren Urlaub nur kurz nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz rechtfertigte, ist es im politischen Berlin erstaunlich still - ganz anders als in den sozialen Netzwerken. Die wichtigsten Reaktionen:

CSU-Generalsekretär Stephan Mayer erneuerte seine Forderung nach dem Rücktritt der Ministerin. "Ich glaube, auch wenn man Frau Spiegel gestern erlebt hat, ich glaube, sie tut sich selbst auch keinen Gefallen, wenn sie weiterhin darauf beharrt, im Amt zu bleiben", sagte er am Morgen im Deutschlandfunk. "Die Frage ist, ob sie ihr Amt als Bundesfamilienministerin jetzt so ausüben kann, wie es auch gerade angesichts der derzeitigen Herausforderungen erforderlich ist." Diese Frage betreffe unmittelbar auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), es gehe um die Handlungsfähigkeit des Kabinetts. Spiegel ist seit Dezember Bundesfamilienministerin in der Koalition aus SPD, Grünen und FDP.

Mayer sagte, er habe "persönlich Verständnis" für die "private Situation" der Ministerin. Es sei anerkennenswert, dass sie Fehler eingeräumt und sich entschuldigt habe. "Die Frage, die sich stellt, ist nur die, weshalb sie offenkundig die Unwahrheit gesagt hat, als sie behauptet hat, sie hätte während ihres Urlaubs an den Kabinettssitzungen in Rheinland-Pfalz teilgenommen. Das ist aus meiner Sicht nicht erklärlich."

In der Kritik steht Spiegel wegen eines vierwöchigen Frankreich-Urlaubs nach der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021. Sie war damals rheinland-pfälzische Umweltministerin und Vize-Ministerpräsidentin. Am Sonntagabend hatte sie den Urlaub als Fehler bezeichnet und mit einer familiären Ausnahmesituation begründet. Zugleich räumte sie ein, dass sie sich, anders als ursprünglich mitgeteilt, nicht aus den Ferien zu den Sitzungen des Kabinetts zugeschaltet hatte.

Ihren Rücktritt fordern deshalb auch andere Unionspolitiker. Das müsse man tun, "wenn man nur einen Hauch Anstand hat", schreibt Tilman Kuban auf Twitter. Kuban ist Bundesvorsitzender der Jungen Union, der Nachwuchsorganisation von CDU und CSU. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer schreibt bei Twitter: ",Jetzt muss ich es noch irgendwie abbinden' - der Satz zeigt, dass Auftritt von #AnneSpiegel null authentisch war. Ihrer Familie wünsche ich von Herzen alles Gute. Politisch hat sie - trotz Überforderung - immer weitere immense Aufgaben übernommen."

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), damals Spiegels Vorgesetzte, sagte, Ministerinnen und Minister müssten sich einen Urlaub nicht durch die Staatskanzlei genehmigen lassen. Sie müssten nur ihre Vertretung durch einen Staatssekretär oder eine Staatssekretärin sicherstellen. "Das ist auch erfolgt." Dreyer fügte hinzu: "Insofern war sie vertreten im Kabinett."

Der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gibt sich zurückhaltend, stützte Spiegel aber nicht. "Das müssen jetzt andere bewerten, welche möglichen Schlussfolgerungen sich daraus ergeben sollten", sagte Djir-Sarai am Morgen den Sendern RTL/ntv. Ob sie dem Amt gewachsen sei, hätten die Grünen zu beurteilen. "Sie werden über diese Dinge reden, der Bundeskanzler muss sich mit dieser Frage beschäftigen - wird er auch tun - das ist nicht etwas, was ich machen muss."

Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich bisher nicht. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte, er arbeite "eng und vertrauensvoll mit ihr zusammen". Spiegels Statement habe ihn bewegt und betroffen gemacht. "Was die Zusammenarbeit angeht, so schätzt der Bundeskanzler ihre Arbeit", fügte Hoffmann hinzu.

Jutta Paulus, Europaabgeordnete der Grünen aus Rheinland-Pfalz, nimmt Spiegel in Schutz: Nicht sie sei für die Toten im Ahrtal verantwortlich: "Untersuchungsausschuss hat zweifelsfrei festgestellt, dass Landesamt für Umwelt gewarnt, Kreis Ahrweiler aber nicht reagiert hat", scheibt Paulus auf Twitter. "Gegen Landrat laufen Ermittlungen. Zuständig für Katastrophenschutz ist Innenministerium, nicht Umweltministerium." Spiegel habe sich darum gekümmert, dass "Wasser, Strom schnell wieder fließen. Was genau hat sie versäumt? Konkret?"

Eine der Fragen, die in den sozialen Medien heftig diskutiert wird, ist die, ob Berufspolitik unmenschlich und brutal sei - dazu äußern sich nur wenige Betroffene, auf Twitter aber Spiegels Staatssekretär Sven Lehmann (Grüne), zugleich Queer-Beauftragter der Bundesregierung: An Spiegels Beispiel werde "auch verhandelt, wie menschlich Politik sein darf. Politiker*innen sind Menschen. Menschen können Fehler machen oder in harten Abwägungen Entscheidungen treffen, die sie später bereuen. Wer in der Politik keine Maschinen will, bekommt Menschen."

Keine Rücktrittsforderungen erhob am Montag Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Er sieht in der Angelegenheit aber einen Glaubwürdigkeitstest für SPD und Grüne. Diese hätten "sich hier in Nordrhein-Westfalen in der letzten Woche moralisch sehr hoch aufgeschwungen und über Ursula Heinen-Esser gerichtet", sagte Wüst. "Die müssen jetzt klarstellen, ob diese Ansprüche unabhängig vom Parteibuch gelten oder nur dem Wahlkampf geschuldet waren." Heinen-Esser (CDU) hatte nach massiver Kritik der Opposition im Land ihr Amt am Donnerstag niedergelegt, nachdem bekanntgeworden war, dass sie wenige Tage nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 mit weiteren Regierungsmitgliedern auf Mallorca den Geburtstag ihres Ehemannes gefeiert hatte.

Den Fall Spiegel wolle er nicht weiter kommentieren, sagte Wüst. Generell müsse es aber möglich sein, "dass auch Menschen mit einer Familie, auch mit kleinen Kindern Politik machen können", bekräftigte der Vater einer kleinen Tochter. "Ich glaube, wir sind alle gut beraten, dieses Spannungsfeld Familie/Politik nicht übermäßig zu belasten." Dabei müssten manchmal allerdings Entscheidungen getroffen werden, die für die Familie belastend seien.

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