Für Annalena Baerbock ist Brüssel die letzte Station ihrer fünftägigen Antrittstournee als Außenministerin. Am Montag steht der Rat für Auswärtige Angelegenheiten auf dem Programm, das monatliche Treffen der EU-Außenminister. Den Abend zuvor hat sie genutzt für ein längeres Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die sie im Berlaymont-Gebäude empfing, dem Sitz der Kommission. Die beiden kennen sich aus gemeinsamen Zeiten im Bundestag und sind per Du. Auch wenn sie verschiedenen Generationen angehören, verbinden sie doch ähnliche Erfahrungen, die sie als Frauen gemacht haben auf dem Weg in Spitzenämter in der Außen- und Sicherheitspolitik.
Die Themen bei dem vertraulichen Gespräch waren dieselben, die auch die Debatten der 27 EU-Ressortchefs am Montag auf der anderen Seite der Rue de la Loi bestimmen und zuvor schon das Treffen der G-7-Außenminister in Liverpool. Es dominiert die Krise um den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine und die Frage, wie man damit umgehen soll. Bevor Baerbock den Sitzungssaal betritt und mit Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian und anderen neuen Kollegen für Fotos posiert, erklärt sie vor Journalisten, sich für eine schlagkräftigere europäische Außenpolitik einsetzen zu wollen. "Ein starkes Europa darf sich nicht bei außenpolitischen Fragen von der Einstimmigkeit schwächen lassen", warnt die Grüne in Übereinstimmung mit dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung, die das bestehende Vetorecht für jedes EU-Mitglied in der Außenpolitik abschaffen will. Man dürfe sich nicht mit der "Summe des kleinsten gemeinsamen Nenners" zufriedengeben, sagt Baerbock.

Scholz in Warschau:Übung im Kanzlerspagat
Nord Stream 2, Reparationen und der Streit um Rechtsstaatlichkeit in der EU - als Kanzler hat Scholz schon eine Menge erlebt, doch die ganze Schwere des Amtes bekommt er das erste Mal bei seinem Antrittsbesuch in Polen zu spüren.
EU will enge Koordinierung mit USA und Großbritannien
Wie weit die Positionen und Rhetorik aber auch bei zentralen Fragen oft auseinanderliegen, bekommt Baerbock eindrucksvoll vorgeführt: Während sich der Litauer Gabrielius Landsbergis überzeugt gibt, dass "Russland einen umfänglichen Krieg gegen die Ukraine vorbereitet" und von einem "beispiellosen Ereignis - wahrscheinlich seit dem Zweiten Weltkrieg" spricht, fordert der Österreicher Alexander Schallenberg nach seinem Kurz-Intermezzo als Bundeskanzler "ein Abrüsten der Worte und der Taten von beiden Seiten". Der Außenbeauftragte Josep Borrell kündigt unterdessen an, dass die EU eventuelle Wirtschaftssanktionen möglichst eng mit den USA und Großbritannien abstimmen werde.
Konkrete Beschlüsse über Maßnahmen, die Präsident Wladimir Putin von militärischen Aktionen oder gar einer Invasion in der Ukraine abhalten sollen, waren nicht erwartet worden. Vorab wurde in Brüssel mehrfach betont, dass man sich vorbereite, zügig handeln zu können. 2014, nachdem Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektierte, hätten die EU-Mitglieder schnell reagiert, betont ein hochrangiger Diplomat: "Das letzte Mal dauerte es nur 72 Stunden, um die schwerwiegendsten Finanzsanktionen in der Geschichte der EU zu beschließen."
Russland zeigt sich hingegen unbeeindruckt von den Warnungen des Westens. Vizeaußenminister Sergej Rjabkow droht am Montag mit militärischen Maßnahmen, sollten die USA und die Nato keine Sicherheitsgarantien abgeben: Moskau verlangt, dass das Militärbündnis nicht weiter nach Osten expandieren und keine Waffensysteme nahe der russischen Grenze aufstellen darf. Diese Forderung hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg umgehend zurückgewiesen.
Wie jeden Monat ist die Tagesordnung auch bei Annalena Baerbocks erstem Ministertreffen übervoll: Vor dem informellen Mittagessen mit Katars Außenminister zum Thema Afghanistan geht es um die Beziehungen der EU zu den afrikanischen Ländern und die angespannte Lage auf Zypern; anschließend um die Krisen in Belarus und Äthiopien. Die Außenminister verhängen Sanktionen gegen acht Mitglieder der russischen Söldnergruppe "Wagner", die etwa in der Ukraine, in Libyen, Syrien sowie der Zentralafrikanischen Republik aktiv ist. Diese dürfen nicht mehr in die EU einreisen, zudem werden eventuelle Konten eingefroren. Auch wird drei russischen Energiefirmen verboten, Handel in der EU zu treiben - diese seien nämlich als Tarnfirmen von Wagner anzusehen. Der Kreml bestreitet jegliche Beziehung zu dieser Söldner-Gruppe, als deren Chef der Milliardär und Putin-Vertraute Jewgenij Prigoschin gilt. Dieser steht bereits auf der Sanktionsliste der EU, weil er das Waffenembargo gegen Libyen missachtet hat.
Vor ihrem Rückflug nennt Baerbock die Lage in Bosnien-Herzegowina "besorgniserregend" und die von Serbenführer Milorad Dodik betriebenen Abspaltungsbemühungen "inakzeptabel". Deshalb habe sie dafür geworben, das bestehende Sanktionsregime jetzt "gegenüber Herrn Dodik" zu nutzen.
Seit ihrer Vereidigung habe sie mehr Außenminister getroffen als Mitarbeiter des eigenen Hauses gesehen, witzelte Baerbock auf der Reise. Das Ministerium kennenzulernen, darauf will sie sich bis Weihnachten konzentrieren. Nicht ohne an diesem Dienstag der Stockholm-Initiative für nukleare Abrüstung in Schwedens Hauptstadt einen Besuch abzustatten - das Thema ist ihr wichtig.