Treffen der G-7-Außenminister:Crashkurs im Krisenmanagement

Lesezeit: 4 min

Lady in Red: In Liverpool hat Annalena Baerbock ihren ersten großen Auftritt als Außenministerin auf internationalem Parkett. Ihr selbst erscheint es "wie ein Sprung ins kalte Wasser". (Foto: PHIL NOBLE/AFP)

In Liverpool ist Annalena Baerbock mit den Konflikten der Welt konfrontiert. Wenn Deutschland 2022 den G-7-Vorsitz übernimmt, will die deutsche Außenministerin die Klimaerhitzung stärker zum Thema machen.

Von Paul-Anton Krüger, Liverpool

Japans Außenminister Yoshimasa Hayashi hatte eine Überraschung für seine G-7-Kollegen parat: Er setzte sich an den weißen Flügel von John Lennon und spielte "Imagine". Gastgeberin Liz Truss, die britische Ressortchefin, hat Samstagabend zum Arbeitsdinner im Beatles-Museum von Liverpool geladen, eine willkommene Abwechslung zu den dicht getakteten Sitzungen. Teambuilding für die Chefdiplomaten - vier der sieben sind weniger als drei Monate im Amt, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erst wenige Tage. Doch die Gruppendynamik funktioniert. Ein exzellenter Pianist sei der Japaner, heißt es am Morgen danach.

Während sich John Lennon in dem Song noch eine Welt ohne Länder vorstellten, haben die Minister es mit den harten Realitäten der Staatenwelt und ihrer Ordnung zu tun. Im Mittelpunkt: Die akute Frage, wie sie die Souveränität und territoriale Unverletzlichkeit der Ukraine bewahren und eine befürchtete Invasion Russlands abwenden können. Greifbares Ergebnis ist eine gemeinsame Erklärung, in der die sieben wichtigsten westlichen Industriestaaten am Sonntag gemeinsam mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell den Aufmarsch russischer Truppen "verurteilen", ebenso wie die "aggressive Rhetorik" von Kreml-Chef Wladimir Putin.

Es ist ein Zeichen der Geschlossenheit, wie auch Baerbock betont, das hinausgeht über die Nato. Es sind die wirtschaftlich führenden Demokratien der Welt, die gemeinsam klarmachen, dass "jede weitere militärische Aggression gegen die Ukraine massive Konsequenzen und ernsthafte Kosten" für Moskau bedeuten werde. Mit dem Statement kann auch die neue deutsche Außenministerin zufrieden sein. Es bekräftigt die Unterstützung der G-7-Staaten für die "Bemühungen Frankreichs und Deutschlands", die volle Umsetzung des Minsker Abkommen zu erreichen und so den Konflikt in der Ostukraine beizulegen.

Annalena Baerbock in Polen
:Starke Freundschaft, unbequeme Themen

Mit Polen fühlt sich Außenministerin Annalena Baerbock besonders verbunden. Dennoch sind die Differenzen mit Warschau bei ihrem Antrittsbesuch deutlich zu erkennen.

Von Paul-Anton Krüger

Paris und Berlin hatten die Vereinbarung von 2015 zwischen Russland und der Ukraine vermittelt. Nach einem Vorstoß von Joe Biden stand diesem Normandie-Format ein Bedeutungsverlust bevor. Der US-Präsident hatte Verhandlungen zwischen dem Kreml und den USA sowie einigen ausgewählten wichtigen Nato-Partnern ins Spiel gebracht - und Empörung bei den Alliierten in Osteuropa verursacht.

Kennenlern-Marathon mit den neuen Kollegen

Letztlich wäre Putin so seinem Ziel näher gekommen, dass die früheren Supermächte die geopolitische Ordnung Europas unter sich ausmachen - und die Europäer allenfalls als Zuschauer am Tisch sitzen. In Liverpool war dem Vernehmen nach von diesem US-Vorstoß nicht mehr die Rede. Die G-7-Außenminister betonten dagegen das Recht aller souveränen Staaten, ihre eigene Zukunft zu bestimmen. Sie wiesen damit Putins Forderung ab, die Nato müsse ihre Zusage für eine Beitrittsperspektive der Ukraine kassieren.

Für Baerbock ist das Treffen in Liverpool ein Crashkurs zum Verhandlungsstand in einer Reihe internationaler Krisen und zugleich ein Kennenlern-Marathon mit ihren Kollegen. Ihr US-Kollege Tony Blinken nimmt sich viel Zeit. "Ich bin bewusst ins kalte Wasser gesprungen", sagt sie. Angesichts der Corona-Pandemie hätte sie wohl innerhalb des nächsten halben Jahres nicht so viele Außenminister treffen können wie jetzt in Liverpool. Denn neben den G-7-Staaten sind auch Australien und Südkorea mit ihren Chefdiplomaten zugegen, die Minister des asiatischen Staatenverbundes Asean sind am Sonntag per Video zugeschaltet.

Noch bevor die Asean-Kooperation auf der Agenda steht, schlagen Baerbocks Äußerungen zu den parallel laufenden Verhandlungen über das Atomabkommen mit Iran in Wien große Wellen. Die Zeit für eine Vereinbarung laufe ab, sagte Baerbock. Der weitere Ausbau des iranischen Nuklearprogramms mache die Lage "sehr, sehr schwierig". Teheran habe "massiv Vertrauen verspielt".

Mit einer derart klaren Ansage hatte die iranische Delegation in der österreichischen Hauptstadt wohl nicht gerechnet. Gastgeberin Liz Truss legt am Sonntag nach. Es sei "die letzte Chance für Iran, mit einer ernsthaften Lösung an den Verhandlungstisch zu kommen", sagte die britische Außenministerin. Man werde nicht zulassen, dass Iran sich in die Lage versetze, eine Atombombe zu bauen.

Ein überraschend deutliches Signal an Iran

Die politischen Direktoren aus den Außenministerien in London, Paris und Berlin stimmten sich am Wochenende in Liverpool ab, auch mit der US-Delegation. Zu Beginn der Woche ist in Wien ein weiteres Treffen mit dem iranischen Chefunterhändler Ali Bagheri Kani geplant. Sollten keine substanziellen Fortschritte erzielt werden, könnten die Außenminister bereits im Laufe der Woche vor der Entscheidung stehen, ob die Verhandlungen noch weitergeführt werden sollen - es wäre die nächste Krise, die Baerbock mit managen muss.

Zumindest am Abschlusstag will die Ministerin auch eine positive Botschaft senden. Sie wolle die Herausforderungen in einem Miteinander, basierend auf gemeinsamen Werten und Standards, angehen, sagte Baerbock. Im Mittelpunkt stehe, dass man nicht gegen andere agiere, sondern dafür werbe, "in Zukunft eine globalisierte Wirtschaft auf Regeln des internationalen Rechts, eines fairen Miteinanders und auch der Menschenrechte zu gestalten". Sie betont die Zusammenarbeit auch mit Staaten aus dem indopazifischen Raum.

Baerbock über Nord Stream 2
:"Diese Pipeline kann so nicht genehmigt werden"

Die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 erfülle Vorgaben des europäischen Energierechts nicht, sagte die Außenministerin. Nicht alle in der Ampelkoalition dürften darüber glücklich sein.

Mit ihnen soll es eine gemeinsame Infrastrukturfinanzierung geben, die G-7-Staaten müssten ihre verschiedenen Initiativen besser verknüpfen und nach "Leitlinien der Nachhaltigkeit, Menschrechte und Zukunftsfähigkeit" ausrichten. Baerbock will diesen Staaten ein alternatives, ein besseres Angebot machen zur neuen Seidenstraße, mit der China Infrastrukturprojekte finanziert und sich zugleich politischen Einfluss erkauft. Damit setzt die Grünen-Politikerin, wenige Wochen bevor Deutschland turnusgemäß den Vorsitz übernimmt, zumindest im Ton andere Akzente als Liz Truss, die sich gegen die "erpresserischen Wirtschaftspraktiken" Pekings wendet. "Sehr besorgt" seien die G-7-Staaten, sagte sie am Sonntagmorgen.

Zu einem diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele, wie ihn die USA angekündigt haben, finden die G-7-Staaten keine gemeinsame Haltung. Italien hat damit ein Problem, weil das Land die Spiele 2026 ausrichtet. Auch Frankreich ist nicht überzeugt, will eventuell seinen Sportminister entsenden. Baerbock, die großen Wert legt auf Menschenrechte, will vor allem eine gemeinsame Haltung in der EU herbeiführen - und vermeidet vorerst eine klare Positionierung.

Dinner bei den "Beatles", Lunch im Stadion

Klarer skizzierte Baerbock da schon die Schwerpunkte, die sie sich für den eigenen G-7-Vorsitz vorgenommen hat. Zum einen werde sie die Klimakrise enger mit der Sicherheitspolitik verknüpfen. Die Erwärmung der Atmosphäre sei ein starker Treiber für Konflikte weltweit, sagte Baerbock. Zudem wolle Deutschland einen "vorausschauenden Multilateralismus stärken", damit international nicht erst gehandelt werde, wenn Krisen schon da seien. Darüber hinaus wolle sich Deutschland auch für eine stärkere Widerstandsfähigkeit der Demokratien etwa gegen Cyberattacken oder Desinformationskampagnen einsetzen.

Zum Motto des deutschen G-7-Vorsitzes erhebt sie dann noch die Vereinshymne des FC Liverpool. "Ein starkes Miteinander" sei auch der Leitspruch dieser Stadt im Norden Englands, und dies müsse auch das Motto der Gruppe der sieben führenden Industriestaaten sein. Liverpool sei schließlich "Home of the Reds", die Heimat des "sehr bekannten Fußball-Klubs mit einem sehr bekannten Trainer", wie Baerbock es mit Blick auf Jürgen Klopp formuliert. "You'll Never Walk Alone" sei auch die Leitlinie des deutschen G-7-Vorsitzes; dass wir "diese Welt nur gemeinsam und nicht alleine gestalten können", sagte Baerbock, bevor sie zum abschließenden Lunch entschwindet. Dazu hatte Liz Truss wiederum in das Stadion an der Anfield Road geladen, wo der FC Liverpool spielt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Annalena Baerbock
:"Das ist der Job einer Außenministerin"

Was hält Putin davon ab, in der Ukraine einzumarschieren? Wie umgehen mit China und Iran? Die G-7-Außenminister besprechen die Krisen die Welt - und nicht nur Annalena Baerbock ist neu im diplomatischen Geschäft.

Von Paul-Anton Krüger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: