Prozess in Frankfurt wegen Genozid in Ruanda:Die dunkle Vergangenheit des vorbildlichen Nachbarn

Vor einem deutschen Gericht wird ein Mann wegen des Völkermords in Ruanda angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, die Ermordung von mehr als 3700 Tutsi befohlen zu haben. Er lebte gut integriert in Hessen.

M. Kolb

Lange Zeit galt die Familie R. aus dem ostafrikanischen Ruanda als Musterbeispiel für gelungene Integration. Gemeinsam mit seiner Ehefrau und den drei Kindern lebte Onesphore R. in einem Vorort von Frankfurt am Main: Man engagierte sich in der Kirchengemeinde, die älteste Tochter hat bereits Abitur gemacht und die Ehefrau Celine machte nach Recherchen der Berliner tageszeitung ein Praktikum im Kindergarten.

Völkermord-Prozess gegen Onespohre R.

Er steht vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt am Main vor Gericht: Der Ruander Onespohre R. Ihm wird zur Last gelegt, für den Tod von mindestens 3730 Landsleuten verantwortlich zu sein.

(Foto: dpa)

Sprachprobleme hatte das Familienoberhaupt nicht, als er mit seinen Angehörigen 2002 in die Bundesrepublik flüchtete: Er hatte in den achtziger Jahren mit einem Stipendium des Landes Rheinland-Pfalz in Trier Straßenbau studiert.

Später kehrte er nach Ruanda zurück und übernahm dort das Amt des Bürgermeisters in der Gemeinde Muvumba. Seine Frau, die sich laut taz damals noch Solina nannte, besaß eine Kneipe, in der sich R. mit Hutu-Extremisten getroffen haben soll.

In Muvumba spielten sich die Ereignisse ab, weshalb der 54-Jährige heute vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt erscheinen muss: Die Karlsruher Bundesanwaltschaft legt ihm zur Last, zwischen dem 11. und 15. April 1994 drei Massaker gegen Angehörige der Tutsi-Minderheit koordiniert und befohlen zu haben und so für den Tod von mindestens 3730 Landsleuten verantwortlich zu sein.

Die Anklageverlesung dauerte nur wenige Minuten. "Getragen vom Hass gegen Tutsis" habe sich der damals 37-Jährige als führender Hutu-Milizionär auch selbst an den Völkermordtaten beteiligt, trugen die Ankläger vor.

Zudem soll sich R. selbst an Pogromen der Hutu-Milizen beteiligt haben. Im Falle einer Verurteilung droht ihm lebenslange Haft.

Hunderttausende Tote in wenigen Wochen

Der Völkermord in Ruanda gilt als eines der schlimmsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts: 1994 wurden in knapp dreineinhalb Monaten mindestens 800.000 Menschen getötet, die meisten von ihnen gehörten der Tutsi-Minderheit an oder waren gemäßigte Hutu. Die Opfer wurden oft mit Macheten niedergemetzelt, in der Öffentlichkeit erschossen oder bis in Kirchen oder Sümpfe verfolgt.

Die Wurzeln des Konflikts liegen in der Geschichte Ruandas: Die bis 1962 das Land beherrschenden Belgier stützten sich vor allem auf die Tutsi als wichtigste Schicht, was den Neid vieler Hutu weckte. Als Auslöser für den Völkermord gilt das Attentat auf den zu den Hutu gehörenden Präsidenten Juvénal Habyarimana, dessen Flugzeug am 6. April 1994 beim Landeanflug auf Kigali mit einer Rakete abgeschossen wurde. Radikale Hutu-Milizen lasteten den Mord der Tutsi-Minderheit an und riefen zu Vergeltung auf.

Das Morden wurde erst beendet, als die Ruandische Patriotische Front (Front Patriotique Rwandais) von Paul Kagame das Land eroberte. Der Tutsi Kagame regiert das Land von der Größe Brandenburgs bis heute und wurde zuletzt 2010 von den knapp zehn Millionen Einwohnern mit 93 Prozent der Stimmen als Präsident im Amt bestätigt.

Der Frankfurter Prozess ist eine Premiere: Erstmals wird ein Mann in Deutschland wegen des Völkermords in Ruanda angeklagt. Möglich wird dies durch das sogenannte Weltrechtsprinzip, das es Staaten erlaubt, Kriegsverbrecher an ihrem Wohnort vor Gericht zu stellen. Auf diesen Grundsatz beriefen sich auch die britischen Behörden, als sie den chilenischen Diktator Augusto Pinochet 1999 in London verhafteten. Seit 2002 können Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt worden - für die Zeit zuvor sind weiterhin die nationalen Gerichte zuständig.

Zur Vorbereitung der Anklage recherchierten deutsche Staatsanwälte 2009 auch in Ruanda - sie scheinen sich nun sicher, R. seine Vergehen nachweisen zu können. Der Ruander war bereits im Dezember 2008 in Untersuchungshaft genommen worden, nachdem ihn Interpol ein Jahr zuvor zur Fahndung ausgeschrieben hatte.

Komplizierte Aufarbeitung

Eine Auslieferung nach Ruanda lehnte die deutsche Justiz jedoch ab, da R. dort kein faires Verfahren garantiert sei. Im Mai 2009 musste er wieder freigelassen werden, weil der BGH die damals vorliegenden Zeugenaussagen als "nicht ausreichend" gewertet hatte. Seit Juli 2010 sitzt R. erneut in Haft.

Völkermord-Prozess gegen Onespohre R.

Er galt in seiner hessischen Gemeinde als bestens integriert: Der 54-jährige Onespohre R.

(Foto: dpa)

Wie kompliziert die juristische Aufarbeitung der Materie ist, verdeutlichen die Rahmendaten des Prozesses: Der 5. Strafsenat des OLG Frankfurt hat bereits jetzt 45 Prozesstermine anberaumt und 50 Zeugen geladen. Völkerrechtsexperten wie der Kölner Professor Claus Kreß weisen auf die Schwierigkeiten des Nachweises von Völkermord hin.

Der Jurist sagte der Tageszeitung Die Welt: "Dem Angeklagten muss nachgewiesen werden, dass er mit der Absicht gehandelt hat, eine ganz bestimmte Bevölkerungsgruppe - rassisch, religiös, ethnisch oder national - im physischen Sinne zu zerstören." Laut Kreß könnten die Ermittlungen in einem Land mit kaum vorhandener Infrastruktur oder anderen Rechtsstandards sehr komplex sein.

Traumatisierte Zeugen

Auf ähnliche Punkte verweist auch Natalie von Wistinghausen, die Verteidigerin des Ruanders: Bei der Ermittlung und Strafverfolgung herrschten in Ruanda andere Standards als in Deutschland, zudem seien viele Zeugen traumatisiert oder seien selbst wegen Verbrechen im Rahmen des Bürgerkriegs verurteilt.

Laut Welt stellt die Juristin, die von 2004 bis 2006 am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda im tansanischen Arusha tätig war, nicht in Frage, dass die fraglichen Massaker im Mai 1994 stattgefunden haben - ungeklärt sei aber die Beteiligung des Angeklagten, der sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert habe. In der taz sprach von Wistinghausen aber von der "schweren psychischen Belastung" ihres Mandanten. Kurz nach Prozessbeginn erreichte die Verteidigerin bereits eine Unterbrechung, indem sie Einsicht in Dokumente der Karlsruher Bundesanwaltschaft beantragte.

Der Fall in Frankfurt wird auch deswegen aufmerksam verfolgt werden, weil er möglicherweise Rückschlüsse auf ein zweites Verfahren erlaubt: Im Dezember hatte die Bundesanwaltschaft bekanntgegeben, dass sie vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen die beiden Ruander Ignace M. und Straton M. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung Forces Démocratiques de la Libération du Rwanda (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas, FDLR) erhoben habe.

Den beiden, die seit November 2009 inhaftiert sind, wird vorgeworfen, per Telefon von Deutschland aus die Hutu-Miliz FDLR befehligt haben, die seit den neunziger Jahren von der Demokratischen Republik Kongo aus versuchte, das Nachbarland Ruanda zu destabilisieren. M. hatte im Jahr 2000 sogar politisches Asyl erhalten und galt an seinem Wohnort Mannheim ebenfalls als bestens integriert: Er spricht fließend Deutsch und hat sich mit einer Arbeit in Wirtschaftswissenschaften über "Geldnachfrage in Südafrika" promoviert.

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