Anklage im NSU-Prozess:Das blasse Gesicht des Terrors

Die Botschaft von Bundesanwalt Diemer ist klar: Hier sitzt kein naives Frauchen, sondern eine Terroristin, eine bis ins Mark braun gefärbte Täterin. In der Anklageschrift beschreibt er Beate Zschäpe als eine Art Geschäftsführerin des NSU. Die zeigt sich von alledem unbeeindruckt - und schweigt.

Aus dem Gerichtssaal von Annette Ramelsberger

NSU-Prozess

Die Angeklagte Beate Zschäpe im Verhandlungssaal des Münchener Oberlandesgerichts.

(Foto: dpa)

Dieser Mann ist überzeugt davon, dass die Frau vor ihm nicht nur das nette Mädel ist, die ihren beiden Freunden die Wäsche wusch, die Spaghetti kochte und das Bett wärmte. Dass da nicht ein naives Frauchen sitzt, das hineingezogen wurde in die Untaten des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU - weil sie sich verliebt hatte in ihre Männer, weil sie sich dann gebunden fühlte an sie, weil sie Angst hatte, ihre "Familie" zu verlieren.

Sondern dass hier eine Terroristin sitzt, eine bis ins Mark braun gefärbte Täterin. Dass sie wusste, dass die "einzige Zweckbestimmung" des NSU "die Tötung von Menschen war". Dass sie das wollte und den NSU mitbegründete. Und dass sie deswegen gleichberechtigt die zehn Mordanschläge des NSU mitplante, die zwei Sprengstoffanschläge und die 15 Banküberfälle. Eine von drei Mördern, drei Verschwörern, drei Rassisten. Aber die einzige, die das Ende des NSU überlebt hat. Die Frau, von der Bundesanwalt Herbert Diemer spricht, sitzt da und sieht ihn aufmerksam an. Sie hört zu. Still, unbewegt.

Diemer hat russische Spione angeklagt und linke Autonome. Er tut das meist unaufgeregt, in fast väterlichem Ton. An diesem Dienstag wurde er auf eine Geduldsprobe gestellt. Dreimal hat er verlangt, endlich die Anklage verlesen zu dürfen. Dreimal hat er auf den Beschleunigungsgrundsatz gepocht.

Nun endlich, es geht schon auf 16 Uhr zu, kann er die Anklage gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten verlesen, gegen die Frau, die mit ihren beiden Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 13 Jahre im Untergrund lebte. Und auch jetzt bleibt Diemers Stimme ruhig, selbst als er beschreibt, wie er Beate Zschäpe sieht: als eine Art Geschäftsführerin des NSU, die zu "jeder einzelnen Tötung und zu jedem einzelnen Raubüberfall einen eigenen, arbeitsteiligen und gleichwertigen Beitrag" leistete. Bei ihr lieferten laut Anklage Mundlos und Böhnhardt das Geld ab, das sie bei ihren Banküberfällen erbeuteten. Sie verwaltete die Kasse, sie gab dem Mitangeklagten Holger G. 10 000 Mark, zu treuen Händen.

Die freundliche "Liese", die immer ein nettes Wort für die Nachbarn hatte

Sie, sagt Diemer, war die Legende für die Männer, wenn sie zu ihren Taten aufbrachen. Die freundliche "Liese", die immer ein nettes Wort für die Nachbarn parat hatte. Und immer eine Erklärung dafür, warum ihre Männer gerade nicht da waren. Sie habe ihnen den Rückzugsraum gesichert. Und einmal, beim Mord am türkischen Imbissbesitzer Ismail Yasar in Nürnberg, soll sie sogar selbst dabei gewesen sein. Sie wurde in einem Edeka-Markt direkt neben dem Tatort gesehen.

Zschäpe sitzt ganz ruhig. Sie ist viel stiller heute als am ersten Tag. Sie schäkert nicht, sie lächelt nicht. Sie schaut unbewegt vor sich hin, sehr blass, den Kopf schräg gelegt, in einem grauen Hosenanzug. Sie hat noch nicht einmal ihren Namen gesagt, als Richter Götzl sie fragte. Nun aber hört sie Diemer aufmerksam zu.

Zschäpe kümmerte sich nach Erkenntnissen des GBA auch darum, dass Böhnhardt einen falschen Führerschein erhielt und die Gruppe eine neue Waffe. Und sie soll beim Paulchen-Panther-Video geholfen haben, mit dem sich der NSU zu seinen Taten bekannte. Ihr Fingerabdruck wurde auf einem der dafür verwendeten Zeitungsausschnitte gefunden. Und als ihre Freunde aufgeflogen waren, soll sie die Wohnung in Brand gesetzt und die Bekennervideos verschickt haben. Zschäpe sitzt da, sie sieht nicht gelassen aus, eher nachdenklich. Jetzt stützt sie den Kopf auf ihre Hand.

Ein symptomatischer Prozesstag: Der Tag der Widerreden und Rangeleien

Es war eigentlich nicht der Tag der Bundesanwaltschaft, stundenlang hatten die Verteidiger ihre Anträge gestellt. Es ist ein Tag, wie er symptomatisch werden könnte für diesen Prozess: der Tag der Widerreden, der Rangeleien. Um das erste Wort, um das letzte Wort, darum, wer das Sagen hat. Zwischen Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer und Richter Manfred Götzl knistert es. Es ist eine Szene wie so viele an diesem Tag. Heer hat ums Wort gebeten. Götzl entgegnet: "Mir ist noch nicht klar, um was es gehen soll, Herr Rechtsanwalt Heer. Können Sie kurz sagen, um was es geht?"

Heer: "Ich beabsichtige nicht, immer um das Wort zu bitten."

Götzl: "Doch das werden Sie aber müssen."

Heer: "Da haben wir einen Dissens."

Götzl: "Aber ich habe die Sitzungsgewalt."

Erst spät bekommt Bundesanwalt Diemer das Wort. Er hatte mit seinen Kollegen ein Jahr lang an der Anklage gearbeitet. 480 Seiten ist sie lang, verlesen hat er nur die Essenz, den Anklagesatz von 35 Seiten.

Diemer sagt, wie die Täter vorgingen, unmaskiert, immer zu zweit, wie sie ihren Opfern in den Kopf schossen, von vorn. Arglos seien die Opfer gewesen und nur deswegen zu Opfern geworden, weil sie fremdländisch aussahen. Beate Zschäpe hört, wie Enver Simsek getötet wurde, wie Ismail Yasar getötet wurde, wie Theodoros Boulgarides getötet wurde. Es geht immer weiter, eine Liste von zehn Namen, von zehn Taten. Sie hört, wie und wo die Schüsse trafen. Wie Mehmet Kubasik durch einen Schuss durchs rechte Auge getötet wurde. Unten im Saal sitzt seine Tochter Gamze und schaut Zschäpe an. Dann die Sprengstoffanschläge von Köln, wo zehn Zentimeter lange Nägel die Menschen trafen. Die Christstollendose, die eine Frau lebensgefährlich verletzte. Die getötete Polizistin. Dann die 15 Raubüberfälle. Zschäpe hat die Hände gefaltet und in den Schoß gelegt.

Zschäpe wird mit Paragrafen überschüttet. Paragraf 129a, Bildung einer terroristischen Vereinigung. Paragraf 211 (Mord) und das in zehn Fällen, dazu Mordversuch in 22 Fällen, und die Paragrafen 224 (Gefährliche Körperverletzung), 249, 250 und 251 (Raub, schwerer Raub und Raub mit Todesfolge). Dazu die Paragrafen 253 und 255 (Erpressung und räuberische Erpressung). Und natürlich Paragraf 308 (Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion). Außerdem noch die Paragrafen 306a und b (Schwere und besonders schwere Brandstiftung) - Zschäpe hatte die eigene Wohnung angezündet. Bei ihr, so die Bundesanwaltschaft, würden sogar die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung vorliegen - das bedeutet, sie käme auch nach Absitzen einer langen Strafe nicht frei.

Auch der Zwillingsbruder ein überzeugter Rechtsradikaler

Bei den anderen Angeklagten ist die Anklage überschaubarer: Ralf Wohlleben, der ehemalige NPD-Funktionär, und Carsten S., der Aussteiger, werden der Beihilfe zu neun Morden beschuldigt - Wohlleben soll die Pistole "Ceska" in Auftrag gegeben haben, mit der neun Menschen getötet wurden, Carsten S. soll die Waffe überbracht haben. Holger G. ist nur wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Und Zschäpes alter Vertrauter André E., der sie bis zuletzt im Untergrund besucht hatte, wird beschuldigt, Beihilfe geleistet zu haben: zum versuchten Mord, zur Sprengstoffexplosion, zur gefährlichen Körperverletzung, zum Raub. Und natürlich habe Andre E. die terroristische Vereinigung NSU unterstützt, sagt Diemer.

Andre E. scheint guter Dinge, er lacht seinem Zwillingsbruder Maik zu, der auf der Besuchertribüne sitzt, auch der ein bekannter, ein überzeugter Rechtsradikaler - beide tragen das gleiche schwarze AC/DC-Shirt, die gleiche Sonnenbrille, den gleichen Vollbart. Hier gewinnt das Wort Familienbande eine ganz spezielle Bedeutung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: