Süddeutsche Zeitung

Anklage gegen Verena Becker:Weil es nie zu spät ist

33 Jahre nach dem Mord an Siegfried Buback wird sich Verena Becker vor Gericht verantworten müssen. Was auch immer das Urteil sein wird: Der Fall wird Geschichte schreiben.

Heribert Prantl

Es ist eine kühne Anklage. Die Mordanklage gegen Verena Becker ist kühn, weil sie von den in der Anklageschrift aufgeführten Beweismitteln nicht getragen wird. An keiner Stelle wird dargelegt, welcher konkrete Tatbeitrag der Ex-Terroristin angelastet wird.

Die Bundesanwaltschaft weicht auf die mental-diffuse Ebene aus, um Mittäterschaft zu begründen: Becker habe den Mord an Generalbundesanwalt Buback als eigene Tat gewollt. Das ist nichts wesentlich Neues. Mit dieser Begründung hätte man Becker (bei ihr ist 1977 die Mordwaffe gefunden worden) schon viel früher anklagen - und eine Verurteilung jedenfalls wegen Beihilfe erreichen können. Mehr ist auch jetzt nicht zu erwarten.

Der Mord an Buback ist 33 Jahre her. Drei Terroristen (Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt) sind als Mörder verurteilt worden. Wer von ihnen was getan hat, ist nicht geklärt; wer ansonsten beteiligt war, auch nicht. Es gibt Ungereimtheiten, man wartet noch immer auf deren Aufklärung; dafür ist es nie zu spät. Womöglich ist die wackelige Anklage ein Vehikel für Aufklärung (die deswegen erschwert ist, weil geheime Verschlusssachen vernichtet wurden).

Becker ist wegen anderer Verbrechen verurteilt worden; die Ermordung Bubacks blieb damals auf Betreiben der Bundesanwaltschaft ausgeklammert, weil die Schuld daran damals neben den anderen Taten angeblich nicht ins Gewicht fiel. Becker wurde nach zwölf Jahren Haft 1989 begnadigt. Anders als Nazi-Täter, die erst nach Jahrzehnten gefasst und bestraft wurden, hat Becker lange Strafe verbüßt. Darf nun noch einmal hohe Strafe verhängt und vollstreckt werden? Wie lange? Der Fall Becker wird Rechtsgeschichte schreiben.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2010/dana
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