Süddeutsche Zeitung

Ankara:Schäuble stellt Wirtschaftskontakte mit Ankara infrage

  • Schäuble sieht keinen Spielraum für eine wirtschaftliche Unterstützung der Türkei, solange der Welt-Korrespondent Deniz Yücel in Haft ist.
  • EU-Haushaltskommissar Oettinger sagte, wenn die Türkei sich weiter von den Werten Europas entferne, könne dies Folgen für die EU-Hilfen haben.
  • De Maizière warnt mit Hinblick auf die Reaktionen aus der Türkei: Wer Deutschland oder die verfassungsmäßige Ordnung beschimpfe, mache sich strafbar.

Die Niederlande verbieten zwei türkischen Ministern, in Rotterdam für das Verfassungsreferendum im April zu werben. Die Reaktionen aus Ankara: wütende Drohgebärden und Nazi-Vergleiche. Ähnlich reagierte die Türkei im Mai 2016 auf die vom Bundestag verabschiedete Armenier-Resolution, in der die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord bezeichnet werden. Und dann kam der Putschversuch im Juli und die darauffolgenden von der türkischen Regierung als "Säuberung" bezeichneten massenhaften Entlassungen und Verhaftungen von Polizisten, Lehrern, Juristen und Journalisten.

Diese politischen Entwicklungen könnten bald Konsequenzen für die Finanzhilfen der EU an das Land haben, machte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger deutlich. Die finanzielle Unterstützung zur Vorbereitung eines türkischen EU-Beitritts seien an die Verpflichtung gekoppelt, "unsere Werte zu übernehmen", sagte Oettinger den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Bislang sind für den Zeitraum von 2014 bis 2018 insgesamt 4,5 Milliarden Euro an Vorbeitritts-Hilfen im EU-Haushalt eingeplant. Wenn dauerhaft festgestellt werde, dass sich die Türkei von den Werten Europas entferne, könne dies Folgen für die Finanzhilfen haben, so Oettinger. "Ein EU-Beitritt der Türkei kommt in diesem Jahrzehnt sicher nicht, im nächsten Jahrzehnt ist er nicht absehbar, und unter einem Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist er wenig wahrscheinlich." Dennoch bleibe das Land ein Beitrittskandidat.

Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner schloss sich der Haltung ihres Parteifreundes Oettinger an. Seit Jahren werde im EU-Fortschrittsbericht kritisiert, dass die Türkei in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Religionsfreiheit nicht vorankomme. Bei ausbleibenden Fortschritten müssten die Zahlungen gekürzt beziehungsweise eingestellt werden.

Schäuble: wirtschaftliche Unterstützung für Türkei in Gefahr

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sieht - auch was Deutschland angeht - keinen Spielraum für eine wirtschaftliche Unterstützung der Türkei, solange der Welt-Korrespondent Deniz Yücel in dem Land in Haft ist. "Unter diesen Umständen ist es natürlich außergewöhnlich schwierig, daran weiterzuarbeiten", sagte Schäuble dem ZDF mit Blick auf Bitten der Türkei um engere Wirtschaftskontakte. Dies habe er auch seinem türkischen Kollegen direkt nach der Verhaftung mitgeteilt.

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière warnte die Türkei davor, bestimmte Grenzen zu überschreiten. "Ob man jetzt Einreiseverbote verhängt, das muss man klug abwägen", sagte der CDU-Politiker der ARD. Das Strafgesetzbuch setze aber klare Grenzen. "Wer die Bundesrepublik Deutschland oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft und böswillig verächtlich macht, macht sich strafbar. Dort wäre spätestens eine Grenze."

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hatte Deutschland auch am Wochenende wieder Nazi-Methoden wegen seines abgesagten Auftritts in Hamburg vorgeworfen. Die Bundesregierung hatte die Regierung in Ankara in den vergangenen Tagen mehrfach gewarnt, dass sie Nazi-Vergleiche als inakzeptabel betrachtet.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner forderte die Bundesregierung auf, Solidarität mit den Niederlanden zu demonstrieren. Gleichzeitig verlangte er eine einheitliche Linie der EU in dieser Auseinandersetzung. "Nach der diplomatischen Eskalation zwischen der Türkei und den Niederlanden ist ein Bekenntnis Deutschlands überfällig", so Lindner. Der liberale niederländische Ministerpräsident Mark Rutte handle so, wie man es von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Europa insgesamt erwarten würde.

Auch mit Deutschland war die Türkei wegen verhinderten Wahlkampfauftritte in Streit geraten. Mehrere Kommunen hatten Auftritte von türkischen Ministern abgesagt. Der türkische Präsident Erdoğan hatte Deutschland daraufhin "Nazi-Methoden" vorgeworfen.

CSU fordert Abzug der Bundeswehr aus Incirlik

Der CSU-Politiker Florian Hahn forderte deshalb einen Abzug der Bundeswehr vom Stützpunkt Incirlik im Südosten der Türkei. In der derzeitigen "aufgeheizten Atmosphäre" scheine es zunehmend unsicher, ob die türkische Regierung den Schutz der deutschen Soldaten in Incirlik "umfassend gewähren kann und will", sagte Hahn der Bild am Sonntag. Die Bundesregierung solle deshalb alle Investitionen in die Infrastruktur des Luftwaffenstützpunkts stoppen und die Verlegung der dort stationierten Tornados einleiten.

Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht unterstützte die Forderung der CSU. "Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Türkei ist es überfällig, die Tornados und die Bundeswehrsoldaten von Incirlik abzuziehen und die Waffenlieferungen an die Türkei sofort zu stoppen."

Die Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck kündigte an, einen von Erdoğan verliehenen Preis zurückzugeben. Die vom türkischen Präsideten erhobenen Vorwürfe seien "unpassend und geschichtsklitternd", kritisierte sie in einem Brief an den türkischen Staatschef. "Die deutsche Gesellschaft hat sich intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandergesetzt." Aus Protest gegen die Politik Erdoğan gebe sie deshalb den ihr vor zwölf Jahren in Istanbul verliehenen türkischen Freundschaftspreis zurück.

Die SPD warnt unterdessen davor, den Konflikt mit Erdoğan eskalieren zu lassen. "Es ist gefährlich, wenn wir uns von Erdoğan in diese Eskalationsspirale hineinziehen lassen", sagte Aydan Özoğuz (SPD), Beauftragte der Bundesregierung für Integration. "Auch wenn es angesichts der Töne aus Ankara schwerfällt: Wir müssen kühlen Kopf bewahren, eine Zuspitzung nutzt nur den Hardlinern."

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