Süddeutsche Zeitung

Ankara:In der Türkei putscht das Militär

Die Streitkräfte behaupten am Freitagabend, die Macht übernommen zu haben. Premier Yıldırım spricht von einem "versuchtem Staatsstreich". Präsident Erdoğan soll sich in Sicherheit befinden.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Die Türkei rutscht ins Chaos ab. Am Freitagabend hat das türkische Militär einen Putsch gegen die islamisch-konservative AKP-Regierung unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan begonnen. In der Hauptstadt Ankara und in Istanbul fuhren gepanzerte Fahrzeuge auf, Kampfhubschrauber und Jets stiegen auf. Medienberichten zufolge wurden in Ankara auch Schüsse gehört. Die türkischen Streitkräfte teilten mit: "Das Militär hat die Regierung übernommen."

In einer am späten Freitagabend verbreiteten Erklärung hieß es, damit sollten die demokratische Ordnung erhalten und Menschenrechte geschützt werden. Priorität habe die Rechtsstaatlichkeit. Die Beziehungen zum Ausland würden unverändert weiter beibehalten.

Kurz zuvor hatte der türkische Premier Binali Yıldırım im Fernsehen erklärt, Teile des Militärs hätten einen Aufstand gestartet. Man könne nicht von einem Putsch sprechen. Lediglich Teile des Militärs würden einen Aufstand wagen. Die türkische Nation werde aber nicht zulassen, dass sich das Land von der Demokratie abwende. Yıldırım hatte erklärt, die türkische Polizei werde gegen den Putsch vorgehen. Alle Polizisten seien zum Einsatz gerufen worden. Allerdings kam es zunächst nicht zu schwereren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Militär. Doch berichteten Journalisten von Schüssen in die Luft in Ankara, etwa am Gebäude des Geheimdienstes und in Istanbul auf der Brücke. CNN Türk meldete, Präsident Recep Tayyip Erdoğan sei in Sicherheit.

Der Putsch hatte gegen 22 Uhr begonnen. In Istanbul hatten Soldaten damit begonnen die beiden Bosporusbrücken, die den asiatischen und europäischen Teil verbinden, für Autos aus Richtung Asien zu sperren. Fernsehsender zeigten Soldaten, die mit gepanzerten Fahrzeugen den Weg verstellten und schwer bewaffnete Soldaten. In Istanbul haben die Streitkräfte dem türkischen Fernsehen zufolge das Gouverneursamt besetzt und die Rundfunkzentrale des staatlichen Fernsehens.

Der Putsch kommt überraschend. Seitdem die islamisch-konservative AKP im Jahr 2002 in der Türkei an die Macht kam, hatte die von Erdoğan gegründete Partei damit begonnen, den Einfluss des Militärs zurückzudrängen. In der Geschichte der jungen Republik hatten die Streitkräfte immer wieder die Macht an sich gerissen, wenn das Land innenpolitisch auseinanderzubrechen drohte. Lange Zeit schien es so, dass Erdoğan den Machtkampf gegen das Militär für sich entschieden zu haben glaubte. Vor einigen Wochen hatte Erdoğan sogar begonnen, wieder auf die Streitkräfte zuzugehen.

Seit einem Jahr allerdings haben die Spannungen im Land stetig zugenommen. Erdoğan strebt nach mehr Macht. Per Verfassungsänderung will er mehr Einfluss bei sich im Präsidentenpalast bündeln und die Regierung schwächen.

In einem ersten Schritt hatte er Ahmet Davutoğlu vor wenigen Monaten aus dem Amt gedrängt und mit Yıldırım einen treuen Gefolgsmann an der Spitze der Regierung installiert. Dieser hatte keinen Zweifel daran gelassen, Erdoğan zu mehr Macht verhelfen zu wollen. Oppositionspolitiker werden von einer zunehmend gleichgeschalteten Justiz verfolgt. Pressefreiheit und freie Meinungsäußerungen sind in den vergangenen Wochen erheblich eingeschränkt worden.

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Quelle:
SZ vom 16.07.2016
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