Süddeutsche Zeitung

Anhörung und Einreiseverbote:Doppelschlag gegen Orbán

Nach dem Umbau von Verfassung und Staatswesen rüttelt Viktor Orbán weiter an den Grundfesten der ungarischen Demokratie. Seine Fidesz-Partei kontrolliert Justiz, Medien, Großunternehmen und Kommunen. Streit mit der EU kalkulierte der Premier dabei ein - doch nun sind auch noch die USA verärgert.

Ein Kommentar von Cathrin Kahlweit

Die Ruhe ist vorbei. Eine Weile war Ungarn vom Radar der Europäischen Union verschwunden gewesen. Zu viele andere Krisen, Konflikte und Kriege mussten bewältigt werden, als dass sich EU-Kommission oder Parlament auch noch um die Vorgänge in Viktor Orbáns Machtbereich kümmern wollten. Und wenn man nicht so genau hinschaute, dann mochte es tatsächlich so erscheinen, als hätten der Premier und seine Fidesz-Partei nach dem Fundamentalumbau von Verfassung und Staatswesen davon abgelassen, an den Grundfesten der ungarischen Demokratie zu rütteln.

Aber das schien nur so zu sein. Während die Regierungspartei bei Parlaments-, Europa- und Kommunalwahlen von einem Sieg zum anderen eilte, wurde die Gesellschaft einer schleichenden Fideszisierung unterzogen. Überall sitzen Orbáns Leute. Sie kontrollieren Bildung und Kunst, Großunternehmen und Kommunen, Medien und Justiz. Die Ökonomie wird Schritt um Schritt renationalisiert, ausländische Unternehmen verlieren an Einfluss oder werden ganz zum Rückzug gezwungen, Nichtregierungsorganisationen mundtot gemacht. Und weil in den kommenden dreieinhalb Jahren keine Wahlen anstehen in Ungarn, könnte das auch so weitergehen.

Budapest provoziert Konflikt mit EU

Aber nun gibt es einen Doppelschlag samt neuem diplomatischen Krieg. Die USA haben ein Einreiseverbot gegen eine Reihe hoher Beamter und Personen aus dem engsten Umfeld von Orbán erlassen. Der Vorwurf: Korruption. Und in Brüssel ist für Dienstag eine Anhörung angesetzt. Thema: Ungarns neues Bodengesetz. Dieses erklärt alle vor Mai 2014 abgeschlossenen Nutzungsrechte ausländischer Landpächter rückwirkend für nichtig; die Inhaber von Nießbrauchsrechten werden aus den Grundbüchern gestrichen. Selbst langfristige Verträge, die vor dem EU-Beitritt Ungarns nach damaligem Recht völlig legal abgeschlossen wurden, können nunmehr einseitig gekündigt werden. Ausländische Bauern und Investoren fühlen sich hinterrücks enteignet, die EU-Kommission beklagt einen Angriff auf die Freizügigkeitsregeln im Binnenmarkt.

Man darf das Vorgehen der USA und der EU nicht in einen Topf werfen. Der Konflikt um das Bodengesetz war von ungarischer Seite einkalkuliert. Die Kommission musste und würde intervenieren, so viel war schon bei der Verabschiedung des Gesetzes klar, dem ein langer Streit mit Nachbarländern wie Österreich vorausgegangen war. Gut möglich, dass Budapest am Ende, wie so oft, einen Teilrückzieher macht und das Gesetz zumindest ein wenig abmildert.

Washington will Orbán erziehen - oder gar bestrafen

Anders sieht die Sache bei den Korruptionsvorwürfen aus den USA gegen Finanzbeamte und Regierungsvertreter aus. Diese kommen überraschend, und sie haben laut ungarischen Medien durchaus Hand und Fuß. Aber der Hintergrund der Attacke dürfte ein anderer sein. In Washington ist man schwer verärgert über Orbáns öffentlich geäußerte Sympathie für Wladimir Putins Russland und seine Kritik an den Sanktionen - und sauer über die Einschüchterung der ungarischen Zivilgesellschaft durch Razzien und Strafverfahren gegen Nichtregierungsorganisationen. Einreiseverbot und Korruptionsvorwürfe riechen daher nach einer Erziehungs-, wenn nicht gar nach einer Strafmaßnahme.

Orbán wird gegenüber seinen Anhängern beide Konflikte zu seinen Gunsten zu nutzen versuchen, wie er das immer tut: Ungarn als Opfer ausländischer Mächte und er selbst als Kämpfer gegen gierige Spekulanten. So inszeniert er sich gern. Brüssel beuge sich wie immer der "Lobby starker Geschäftsinteressen", heißt es auch jetzt. In Ungarn kommt Orbán damit nicht nur durch, sondern gut an. Wer den Machtmissbrauch in Ungarn stoppen will, braucht einen langen Atem.

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SZ vom 20.10.2014/fran/dd
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