Libyen - Rückoberung von Bani Walid:Gaddafis langer Schatten

Die Rückoberung von Bani Walid zeigt: Gaddafis Getreue brauchen Gaddafi nicht, um zu den Waffen zu greifen. Auch nach dem Tod des libyschen Diktators bekämpfen sie den neuen Staat. Doch zurückerobern werden sie ihn kaum.

Sonja Zekri

Vier Monate nach dem Tod Muammar al-Gaddafis soll, so heißt es, in Libyen wieder die grüne Flagge wehen. Nicht überall, eigentlich nur in Bani Walid, einem Ort bei Tripolis. Bani Walid ist für seine Nibelungentreue zu den Gaddafis bekannt. Saif al-Islam, der Sohn des "Bruder Führers", versteckte sich hier. Selbst als das Ende des Gewaltherrschers unausweichlich war, konnten die Rebellen den Ort nicht einnehmen. Er wurde nach Verhandlungen übergeben.

Libyen - Rückoberung von Bani Walid: Anhänger des libyschen Diktators Gaddafi kämpfen auch nach dessen Tod gegen den neuen Staat und die Kämpfer des Nationalen Übergangsrates (im Bild mit den Füßen auf einem Gaddafi-Porträt), die den jahrzehntelang herrschenden Despoten stürzten.

Anhänger des libyschen Diktators Gaddafi kämpfen auch nach dessen Tod gegen den neuen Staat und die Kämpfer des Nationalen Übergangsrates (im Bild mit den Füßen auf einem Gaddafi-Porträt), die den jahrzehntelang herrschenden Despoten stürzten.

(Foto: AFP)

Und nun wehen hier grüne Fahnen, brandneue zumal, in einem wahrscheinlich kurzlebigen Triumph über die schwachen Herrscher in Tripolis. Gaddafis Getreue brauchen Gaddafi nicht, um zu den Waffen zu greifen, lautet die Botschaft, sie brauchen nicht einmal dessen Sohn Saif al-Islam, der als möglicher Bannerträger einer Konterrevolution galt, aber nun in einem libyschen Gefängnis neutralisiert ist. Gaddafis Gefolgsleute werden den neuen Staat immer bekämpfen.

Zurückerobern werden sie ihn kaum. Das liegt weniger an der neuen libyschen Armee, die diesen Namen noch gar nicht verdient. Eines fernen friedlichen Tages soll sie Dutzende Milizen absorbieren, die den Sieg über das Regime erkämpft haben. Noch aber sind es vor allem diese wilden Bewaffneten, die einander fast so wenig trauen wie den Resten des alten Regimes. 1500 Kämpfer halten sich für die Rückeroberung Bani Walids aus den Händen des revanchistischen Warfalla-Stammes bereit.

Aber Bani Walid ist ja nur eine Krise der neuen Führung, und vielleicht nicht einmal die schlimmste. Ein halbes Jahr nach dem Sturm von Tripolis gerät sie auf ureigenem Boden unter Beschuss. In Bengasi, der Wiege des Aufruhrs, schleuderten aufgebrachte Menschen, darunter Invaliden des Krieges, Granaten auf den Sitz des Übergangsrates und leere Flaschen auf den Vorsitzenden Mustafa Abdel Dschalil, Gaddafis einstigen Justizminister.

Der Vizepräsident des Rates, der Jurist Abdel Hafis Ghoga, der nach einem denkwürdigen Treffen mit Gaddafi den Aufstand in Bengasi vor einem Jahr mit angestoßen hatte, ist nach einem Angriff an der Universität der Stadt zurückgetreten. Ausgerechnet Bengasi.

Ghoga spricht von einem "Klima des Hasses", vor einem "Abgrund" warnt Dschalil, während die empörten Libyer mehr politische Transparenz fordern, einen Ausschluss der alten Gaddafi-Kader, einen schnelleren Wiederaufbau, auch ein anderes Wahlgesetz für die geplante Abstimmung zum Nationalkongress im Juni. Das jetzige sieht nur zehn Prozent Frauen vor und kein Stimmrecht für Auslandslibyer.

Wie auch immer sich die Kritik im Detail entkräften lässt - die Kluft zwischen der noch immer durch keine Wahl legitimierten Führung und dem befreiten Volk war nie größer. Auch die Freunde von gestern werden kritischer gesehen: Qatar beispielsweise, die ehrgeizige Golfmonarchie, hatte geholfen, Gaddafis Panzer abzuschießen, aber nun vermuten viele, der Emir habe nur den Islamisten den Weg bereiten wollen.

Vielleicht ist es nur menschlich, dass die Geduld umso geringer ist, je höher der Preis eines Umsturzes war. Ratschef Dschalil hat um zwei Monate für die Regierung gebeten, manchen kommt das wie eine Ewigkeit vor. Und allem Anschein nach waren die Versicherungen, sobald erst das politische Gesamtkunstwerk Gaddafis in Trümmern liege, werde man das Blatt neu beschreiben, doch zu euphorisch.

Die gute Nachricht immerhin lautet: Libyen bleibt ein Sonderfall. Aus Libyen lassen sich weder Argumente für eine internationale Intervention finden, weil etwa der Aufruhr in Syrien völlig anders verläuft, noch müssen andere Länder nach dem Tyrannensturz bislang einen ganzen Staat neu schaffen. Ohnehin ist der Modellcharakter der einzelnen Aufstände begrenzt. Was für Tunesien funktioniert, kann in Jordanien scheitern. Gaddafis Schatten ragt nicht über Libyen hinaus, hier aber reicht er weit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: