Angststarre in Berlin:Nach der Wahl ist vor der Wahl

Die Landtagswahl gilt nicht als Fingerzeig, sondern eher als Wink mit dem Zaunpfahl für die Bundestagswahl im Herbst 2006 - und Rot-Grün erwartet ein Wahl-Desaster.

Von Nico Fried

Den 22. Mai behandeln die Berliner Parteien wie einen politischen Tag des jüngsten Gerichts. Seit Wochen wird jegliche Zuckung in der Hauptstadt danach beurteilt, in welcher Verbindung sie wohl zu der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen stehen könnte.

Die taktischen Spielchen seit dem Job-Gipfel im Kanzleramt dienen - leicht durchschaubar - auf jeder Seite vorrangig dem Ziel, sich als treibende Kraft im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu präsentieren.

Auch der Showdown im Visa-Untersuchungsausschuss mit dem Auftritt von Joschka Fischer Ende April steht ganz im Zeichen des Wahlkampfes. Derart fixiert ist das politisch-publizistische Dauerkonklave auf den 22. Mai, dass selbst bei Themen wie der Diskussion über eine Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China den Akteuren nicht zuletzt innenpolitische Motive aninterpretiert werden.

Doomsday in Düsseldorf. Die Landtagswahl gilt allgemein nicht als Fingerzeig, sondern eher als Wink mit dem Zaunpfahl für die Bundestagswahl im Herbst 2006. Dabei befindet sich die Opposition derzeit deutlich im Vorteil. In den Umfragen ist von einer rot-grünen Aufholjagd nichts mehr zu sehen.

Im Gegenteil: Der Vorsprung von CDU und FDP wächst wieder, sowohl in Nordrhein-Westfalen wie auch im Bund. Zwar reicht es für Schwarz-Gelb auch bei einem Sieg in NRW nicht zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat. Dennoch wäre die Bundesregierung praktisch matt gesetzt - und aufgrund zu erwartender Panik wohl auf Monate hinaus mit sich selbst beschäftigt.

"Keine positive Botschaft"

Im Regierungslager herrscht Ratlosigkeit. Seit Monaten arbeiten die Landes-SPD, das Willy-Brandt-Haus und das Kanzleramt eng zusammen. Ministerpräsident Peer Steinbrück war auch bei den Vorbereitungen des Job-Gipfels und der jüngsten Regierungserklärung des Kanzlers stets zugegen.

Eine zündende Idee, wie das drohende Desaster abzuwenden sein könnte, ist dabei nicht herausgekommen. "Wir haben zur Zeit einfach keine positive Botschaft anzubieten", sagt ein Regierungsmann. Und er prophezeit, dass die Wahl in NRW sogar schon vorzeitig verloren sein könnte, wenn die nächste Arbeitslosenzahl nicht unter der Fünf-Millionen-Marke liegt.

Schon kommende Woche allerdings muss die Koalition beweisen, dass das Gerede vom rot-grünen Zerfall verfrüht sein könnte. Am Donnerstag steht im Bundestag die Wahl des neuen Wehrbeauftragten an - normalerweise ein Routinetermin. Doch in der SPD-Fraktion gibt es Vorbehalte gegen den von Franz Müntefering favorisierten Kandidaten Reinhold Robbe.

Bei der geheimen Abstimmung ist Kanzlermehrheit erforderlich, also eine Mehrheit nicht nur aller anwesenden, sondern aller existierenden Bundestagsabgeordneten. Schon wenige Abweichler könnten Müntefering eine dramatische Niederlage bereiten und die rot-grüne Regierungsfähigkeit insgesamt in Frage stellen.

Selbst wenn sich die Koalition zusammenrauft, hält der Terminplan bis zum 22. Mai aber noch ausreichend Unkomfortables bereit: Die Steuerschätzung liegt an, bei der wegen der anhaltenden wirtschaftlichen Flaute neue Negativ-Schlagzeilen drohen. Zudem muss die Regierung ihre Wachstumsprognose aktualisieren - und die Richtung zeigt, wie es aussieht, fast mit Sicherheit deutlich nach unten.

CDU und FDP können sich das Treiben gelassen anschauen. Die eigenen inhaltlichen Debatten sind zugunsten eines geschlossenen Erscheinungsbildes hintangestellt und auch Personalquerelen sind nicht mehr zu erwarten: Selbst wenn noch ein Häuflein Skeptiker Angela Merkel als Kanzlerkandidatin verhindern wollte, würde wohl keiner die Verantwortung auf sich nehmen, dafür einen Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen aufs Spiel zu setzen.

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