Süddeutsche Zeitung

Angst ums Abendland:Allzu simple Feindbilder

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50 Prozent der Deutschen haben laut Umfragen Angst vor dem Islam. Wie im Westen krude Allianzen "den" Islam beurteilen.

Von Rudolf Walther

50 Prozent der Deutschen haben laut Umfragen Angst vor dem Islam. Daniel Bax, Journalist und Islamwissenschaftler, geht der Frage nach, ob sich Menschen vor dem Islam oder vor dem medialen Islam fürchten, wie er in Bild, Ton und Schrift täglich vermittelt wird. Lange kennzeichneten Fernsehanstalten Propagandafilme von Mörderbanden wie dem "Islamischen Staat" nicht als solche, und Zeitungsleute beziehen ihre Informationen über den Bürgerkrieg in Syrien heute noch von einer obskuren "Beobachtungsstelle für Menschenrechte" in London. Elementare begriffliche Unterscheidungen wie die von Islam und Islamismus fehlen in vielen Zeitungen. Das ist ungefähr so, wie wenn man den Ku-Klux-Klan umstandslos dem Christentum zuschlagen würde.

Bax holt historisch weit aus und informiert über die Herkunft des Begriffs "Abendland" und die Gründe für seine neuerliche Konjunktur oder über die Umstellung der Gefahren-Diagnosen in den westlichen Medien von Kommunismus auf Islam, Islamisierung und Muslime. Diese werden "für manche zum Sündenbock" und "Symbol" gemacht für optische Veränderungen im Stadtbild (Moscheen, Bartträger, Kopftuchträgerinnen), vor allem aber für den Wertewandel und die globalisierte Kultur. So entstandene und konstruierte Weltbilder erzeugen oft hybride Koalitionen, Bündnisse und Allianzen - etwa zwischen Laizisten und christlichen Fundamentalisten, Linken und Nationalisten, Feministinnen und Rechtsradikalen bei der gemeinsamen Abwehr "des" Islam.

Außer den historischen Wurzeln der Islamfeindlichkeit im Christentum und einer eingebildeten Überlegenheit der "westlichen" Kultur, die mit dem nach 1989 ausgerufenen "Kampf der Kulturen" wiederbelebt wurde, zeigt Bax an vielen Beispielen, wie Sachbücher von Islam-Experten unter dem Schutzschirm ihres Expertentums vor allem "Feindbilder" mit "rassistischen Untertönen" verbreiten.

Der europaweit virulente Rechtspopulismus hat außer regionalen und nationalen Besonderheiten überall einen gemeinsamen Zug: Er beruht nicht mehr auf Rasse oder Nation, sondern richtet sich primär und pauschal gegen "den" Islam und "die" Muslime. Es ist sehr verdienstvoll, wie Bax die Kronzeugen dafür kenntnisreich porträtiert und wie diese aus kruden Simplifizierungen Islamfeindlichkeit erzeugen. Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Hamed Abdel-Samad und andere hätten aus solcher "Islamkritik"- mithilfe angesehener Medien - ein Geschäftsmodell gemacht. Angesichts der aktuellen Ereignisse von Paris und Brüssel ein notwendiges Buch zur rechten Zeit.

Rudolf Walther ist freier Publizist. Zuletzt erschien von ihm der Essayband: "Aufgreifen, begreifen, angreifen", Münster 2013 (Oktober Verlag).

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Quelle:
SZ vom 24.11.2015
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