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Angriff auf Kölner Oberbürgermeisterin:Das Urteil gegen den Reker-Attentäter ist in diesen Zeiten erstaunlich

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Das Gericht erkennt in dem Angriff auf die heutige Kölner Oberbügermeisterin keine niedrigen Beweggründe - Frank S. habe ja nichts für sich gewollt. Eine fragwürdige Haltung.

Von Annette Ramelsberger, Düsseldorf

Die Welt ist für viele Menschen sehr einfach zusammengesetzt. Sie beruht auf drei Grundannahmen. Erstens: Sie selbst haben Recht. Zweitens: Die anderen sind alle dumm, korrupt und kriminell. Und, drittens: Deswegen müssen diese Leute weg. Diese drei Leitsätze sind das große Credo des Internet-Diskurses und sie sind das Fazit vieler Tresen-Debatten. Dumm nur, dass die Welt nicht so einfach ist.

Auch der Attentäter, der am Tag vor der Oberbürgermeisterwahl in Köln der Kandidatin Henriette Reker in den Hals gestochen hat, wurde von diesen drei Leitsätzen getrieben. Und er kam sich dabei sogar noch heroisch vor. Für Deutschland wollte er die Tat angeblich vollbringen, um die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung anzuprangern. Dass man auch mit Worten diskutieren, streiten, argumentieren kann, ganz ohne Gewalt - das schien ihm einfach zu mühsam.

Als könne man mit einem Streich die Welt verändern

Allein ist der Täter mit dieser Haltung nicht. Und das umfasst nicht nur die, die gerne die Stammtisch-Plattitüde bemühen: "Steckt alle Politiker in einen Sack, haut drauf, es trifft keinen Falschen."

Auch in manch intellektuell verbrämten Fragebögen wird Prominenten die Frage gestellt, was sie tun würden, wenn sie einen Tag lang Deutschland regieren könnten - als könne man an einem Tag, mit einem Streich die Welt verändern. So ist das in Computerspielen, so ist das im Film und im Märchen.

Im wahren Leben, in der Demokratie, funktioniert es so einfach nicht. Hier muss diskutiert, verhandelt, hier müssen Kompromisse geschlossen werden. Gewalt ist kein Diskussionsbeitrag. Und der Stich in den Hals einer wehrlosen Politikerin ist keine politische Tat, sondern ein feiges Verbrechen.

So hat das auch das Oberlandesgericht Düsseldorf gesehen, das den Attentäter von Henriette Reker am Freitag zu 14 Jahren Haft verurteilt hat. Er habe versucht, ein Klima der Angst in Deutschland zu erzeugen und damit das Verhalten von Politikern zu beeinflussen. Aber das Gericht sah in dem Angeklagten statt eines politisch fanatisierten Attentäters einen sozial isolierten, einsamen Menschen, der sich im Internet verführen ließ. Einer, der eher krank ist, denn verbohrt. Und den nicht niedrige Beweggründe trieben, weil er ja nichts für sich wollte.

Diese Haltung des Gericht ist erstaunlich in Zeiten, in denen sich selbsternannte Heimat-Schützer dazu aufschwingen, im Namen ihrer angeblichen Angst vor Überfremdung Gewalt auszuüben - gegen Politiker, denen sie das Lebensrecht absprechen.

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