Afghanistan: Taliban stürmen Hotel:Das tödliche Kalkül der Gotteskrieger

Machtdemonstration der Taliban: Während der Westen vorsichtig versucht, Verhandlungen mit den Islamisten aufzunehmen, stürmt ein Terrorkommando ein Luxushotel in Afghanistans Hauptstadt Kabul. Scheitern die Friedensgespräche, bevor sie richtig begonnen haben?

Oliver Das Gupta

Kampfkulisse in Kabul: Schüsse peitschen durch die Nacht, Leuchtspurmunition zieht orangefarbene Fäden durch das Schwarz, Rotorblätter von Hubschraubern zerschneiden die Luft, Raketen schlagen ein. Das Gefecht dauert mehrere Stunden. Dann ist der Angriff auf das Kabuler Intercontinental Hotel niedergeschlagen.

Taliban Kämpfer Afghanistan

Blutiger Reigen: Taliban-Kämpfer im Distrikt Andar, Provinz Ghazni. Die Aufnahme stammt von 2009

(Foto: AFP)

Das Intercontinental liegt prominent auf einem Hügel in der Hauptstadt, es ist das älteste Luxushotel in Afghanistan. Acht Angreifer sterben an diesem Tag, ebenso viele Zivilisten und zwei Polizisten, wie afghanische Behörden berichten.

Es ist eine Machtdemonstration der Taliban: Die Islamisten bekennen sich inzwischen zu dem Angriff auf die noble Herberge. Sabiullah Mudschahid, ein Sprecher der radikalen Islamisten, schildert sogar, wie die fanatischen Angreifer bewaffnet waren: Mit Sprengstoffwesten und automatischen Waffen.

Die Nato in Kabul betont derweil, dass man Schlimmeres verhindert habe: "Es hat sich gezeigt, wie schnell wir bei solchen Angriffen reagieren", sagt ein Sprecher der Allianz zu sueddeutsche.de.

Als die Taliban das Hotel überfallen haben, hört der Deutsche Thomas Ruttig vom Thinktank Afghanistan Analysts Network eine einzelne laute Explosion. Ruttig weiß: Die Taliban sind seit langem dank zahlreichen Lecks im Behördenapparat bemerkenswert gut informiert, so auch über die Gespräche über den Abzug der westlichen Truppen in dem Hotel.

Angesichts des jüngsten Anschlages werden Parallelen gezogen zum Angriff eines Taliban-Selbstmordkommandos auf das Serena-Hotel in Kabul - das einzige Fünf-Sterne-Hotel des Landes im Januar 2008. Damals starben sieben Menschen, darunter ein norwegischer Journalist.

Attentäter durchkämmten Zimmer nach Ausländern

Die Attentäter der vergangenen Nacht suchten systematisch nach Ausländern, wie das Taliban-Sprachrohr Sabiullah Mudschahid verkündet, sie sollen Zimmer für Zimmer durchkämmt haben - offenbar ohne Erfolg.

Viele Ausländer seien nicht mehr im Intercontinental, erzählt Ruttig: Kein Wunder: Die Herberge nahm bereits 1969 seinen Betrieb auf, gehört aber seit langem nicht mehr zu der gleichnamigen internationalen Kette. Inzwischen tummeln sich dort vor allem wohlhabende Afghanen und feiern Hochzeiten.

Tatsächlich sind spektakuläre Angriffe der Islamisten keine Seltenheit, nur erregen Attacken auf Hotels, in denen Ausländer residieren, weitaus höhere Aufmerksamkeit als Morde an Lokalpolitikern oder niedergebrannte Polizeistationen.

Gleichzeitig reden und schießen

Fakt ist: Die islamistischen Aufständischen wüten ungeachtet von Friedensverhandlungen in brutaler Regelmäßigkeit im Rahmen ihrer "Frühjahrsoffensive":

[] Am 28. Januar richtet ein Selbstmordattentäter im gut bewachten Kabuler Diplomatenviertel ein Blutbad an. In einem Supermarkt eröffnet der Mann das Feuer, dann sprengte er sich in die Luft. Am Ende sind neun Menschen tot, darunter ein Kind und drei Frauen.

[] Fünf in Polizei- und Armeeuniformen gekleidete Selbstmordattentäter stürmen am 19. Februar eine Filiale der Kabul Bank in der Stadt Dschalalabad. Bei der anschließenden mehrstündigen Schießerei sterben zahlreiche unbewaffnete Zivilisten. Von den Angreifern konnte lediglich ein Mann gefasst werden, der angeblich Pakistaner war.

[] Am 18. April eröffnet im afghanischen Verteidigungsministerium in Kabul ein Taliban-Schläfer in Uniform der Streitkräfte das Feuer auf Kameraden. Zwei Soldaten und der Täter sterben. Laut einer Stellungnahme der Taliban galt der Anschlag dem französischen Verteidigungsministers Gerard Longuet, der sich zum Zeitpunkt des Anschlags jedoch nicht im Gebäude befand.

[] Ein Attentäter dringt am 21. Mai in Kabul in eines der besten und größten Krankenhäuser Afghanistans ein und sprengt sich im Speisesaal in die Luft: Sechs Studenten sterben, Dutzende werden verletzt.

[] Ein Selbstmordattentäter verübt am 28. Mai einen Anschlag auf ein Treffen zwischen der Bundeswehr und örtlichen Autoritäten im Gouverneurssitz der Provinz Tahar. Sieben Personen sterben, darunter der Polizeikommandeur für Nordafghanistan und zwei deutsche Soldaten. Der deutsche Generalmajor Markus Kneip wird verletzt.

[] Ein Mann verübt mit seinem mit Sprengstoff beladenen Auto am 25. Juni einen verheerenden Anschlag auf ein Krankenhaus in der Provinz Lohar. Bei der Explosion sterben mindestens 35 Menschen, das Spital wird komplett zerstört.

Die furchtbare Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Der Angriff auf das Intercontinental reiht sich insofern ein in den blutigen Reigen. Es ist war as usual am Hindukusch. Nur dringt der Schrecken immer seltener in die westliche Welt im Jahr 10 der westlichen Intervention.

Das Paradoxe: Gleichzeitig zum Terror laufen Friedensverhandlungen zwischen den Taliban auf der einen Seite und der westlichen Allianz sowie der afghanischen Regierung auf der anderen Seite. Präsident Hamid Karsai trompetete unlängst die Nachricht heraus, später bestätigte auch der scheidende US-Verteidigungsminister Robert Gates, dass es solche Gespräche gäbe, allerdings im Anfangsstadium.

Weitere Anzeichen für "Tauwetter": Die UN führen die Taliban und die Terrortruppe al-Qaida nicht mehr auf einer gemeinsamen Liste, US-Präsident Barack Obama verkündete den Rückzug von mehr als 30.000 GIs aus Afghanistan - ein Teil vom Rückzugsplan der Isaf, zu dem man unlängst erst in Kabul tagte. Im Hotel Continental.

Keiner traut dem anderen

Zucken die Friedensfühler nach dem Anschlag auf das Hotel nun zurück? Setzen die Taliban doch lieber auf Gewalt, denn auf Verhandlungen?

Die Antwort lautet wohl: Sie setzen auf beides.

Die militanten Islamisten gefallen sich einerseits darin, mit spektakulären Aktionen Macht zu demonstrieren und gleichzeitig in die Medien zu kommen. Andererseits gibt es tatsächlich Kontakte zu verschiedenen Taliban-Fraktionen, sogar zu Führer-Gestalt Mullah Omar. Das Kalkül: Durch die Gewalt erhöht man den Verhandlungsdruck.

Die westliche Allianz verfolgt eine ähnliche Doppelstrategie: Sie jagt und tötet die selbsternannten Gotteskrieger, auch, um die Taliban an den Verhandlungstisch zu bomben. "Es wird gleichzeitig geredet und geschossen", sagt Afghanistan-Experte Ruttig zu sueddeutsche.de, "es gibt eine Eskalation von beiden Seiten." Keiner traue dem anderen über den Weg.

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