Süddeutsche Zeitung

Angriff auf den Libanon:"Israel verstößt gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit"

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Der Beschuss zivilier Ziele im Libanon könne als Verbrechen gegen die Menschenrechte betrachtet werden, sagt Louise Arbour, UN-Hochkommissarin für Menschenrechte. Ähnliche Kritik kommt vom Internationalen Roten Kreuz.

Bis Mittwoch, so hat der libanesische Ministerpräsident Fuad Saniora erklärt, sind mehr als 320 Menschen Opfer der israelischen Luftangriffe geworden - die allermeisten Zivilisten. Etwa 1000 Personen wurden verletzt. Und rund 500.000 sind aus ihren Wohnungen und Häusern geflohen.

Allein gestern starben nach Angaben libanesischer Krankenhausärzte 72 Menschen ums Leben - die höchste Opferzahl seit Beginn der Kampfhandlungen vor einer Woche.

Siniora wirft Israel vor, sein Land in die "Hölle" zu führen, da vor allem die Infrastruktur und Zivilisten getroffen würden. Dagegen werde der Hisbollah "kein Schaden zugefügt".

Der Ministerpräsident forderte einen sofortigen Waffenstillstand und dringende humanitäre Hilfe, für die sichere Korridore eingerichtete werden müsse. Der internationalen Gemeinschaft warf Siniora vor, nicht alles in ihrer Macht Stehende zu tun.

Israel hat die Zahl der eigenen Todesopfer mit 29 angegeben. So starben am Mittwoch zwei Kinder in Nordisrael, als von der Hisbollah-Miliz aus dem Libanon abgefeuerte Raketen unter anderem in Nazareth einschlugen, zwölf Menschen wurden verletzt.

Heftige Kritik an Israel kommt nun von den UN. Louise Arbour, die Hochkommissarin für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen hat erklärt, der Beschuss ziviler Ziele im Libanon, in Israel, im Gaza-Streifen und im Westjordanland könnte als Verbrechen gegen die Menschenrechte betrachtet werden.

"Das humanitäre Völkerrecht ist eindeutig"

"Das humanitären Völkerrecht ist eindeutig bezüglich der Verpflichtung, während Kampfhandlungen Zivilisten zu beschützen", erklärte Arbour nach Informationen der New York Times.

Die selben Verpflichtungen gelten für die internationalen Strafgesetze, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit definieren.

"Die wahllose Bombardierung von Städten zielt auf absehbare und nicht akzeptable Weise auf Zivilisten", heißt es in einer Stellungnahme ihres Büros.

Ähnliche Kritik kommt vom Internationalen Roten Kreuz. Israel habe gegen das "Prinzip der Verhältnismäßigkeit" verstoßen. Dieses verbietet Angriffe, bei denen die zu erwartenden Schäden im Verhältnis über die Bedeutung der militärischen Ziele hinausgehen.

Das selbe gelte jedoch auch für die Hisbollah, die Siedlungen im Norden Israels mit Raketen beschießt.

Die unterschiedlichen Opferzahlen auf Seiten der Israelis einerseits und der Palästinenser und Libanesen andererseits sowie die Bombardierung ziviler Infrastruktur im Libanon und im Gaza-Streifen war bereits Gegenstand heftiger Kritik aus Frankreich und der Europäischen Union. So forderte der EU-Außenbeauftragte Javier Solana bei einem Besuch in Jerusalem das sofortige Ende des "Blutbads im Libanon".

Doch Israel ist nicht bereit, tote Zivilisten, Soldaten und Milizangehörige gegeneinander aufzurechnen.

Die israelischen Regierungsvertreter bekräftigten vielmehr ihre Forderungen für eine Einstellung der Militäroperation im Libanon: Die Freilassung von zwei von der radikal-islamischen Hisbollah verschleppten israelischen Soldaten, die Einstellung des Raketenbeschusses durch die radikalen Islamisten sowie ihre Entwaffnung und Entfernung aus dem Süden des Libanons.

Die Regierung wehrt sich aus ihrer Sicht gegen eine Bedrohung durch den Iran, Syrien und die von diesen Staaten unterstützte Hisbollah im Libanon sowie die palästinensische Hamas. Auch ziele man im Gegensatz zur Hisbollah und der Hamas nicht auf Zivilisten, erklärte etwa Israels Außenministerin Tzipi Livni.

"Viele Zivilisten haben Katjuschas unter ihren Betten liegen"

Da die Milizen in Gaza und im Libanon unter die Zivilisten mischen, müssten diese manchmal "den Preis dafür bezahlen, Terroristen Zuflucht zu gewähren". Im Libanon, so erklärte Livni laut New York Times, könnten einige der zivilen Opfer der Hisbollah nahe stehen und ihnen helfen.

Viele Zivilisten im Südlibanon, so zitierte Livni israelische Geheimdienstinformationen in der US-Zeitung, hätten Katjuschas und andere Raketen unter ihren Betten liegen.

Betroffen von den Kriegsfolgen sind jedoch mit Sicherheit nicht nur Militante oder ihre Helfershelfer. Schließlich sind innerhalb des Landes inzwischen mehr als eine halbe Million Menschen auf der Flucht.

Ausländer und Libanesen mit ausländischen Pässen versuchen zu Zehntausenden, aus dem Land zu kommen. Im Süden Libanons, wo die israelische Armee mit Bodentruppen gegen Stellungen der radikal-islamischen Hisbollah- Miliz vorgeht, sind rund 15 000 Menschen durch die Kämpfe von jeglicher Versorgung abgeschnitten.

Wie ein Mitarbeiter des libanesischen Roten Kreuzes aus der Region telefonisch mitteilte, sind darunter auch Schwerverletzte, die nicht versorgt werden könnten.

UN bitten um Korridor für Verletzte

"Wir habe die Israelis gebeten, zumindest unsere Autos nach Blida und Rmeish durchzulassen, um die Kranken und Verwundeten herauszuholen - ohne Reaktion", sagte der Helfer. Auch mehrere Libanesen mit deutschen, britischen und kanadischen Pässen, die in den Ortschaften festsitzen, hätten keine Chance, ihre Botschaften zu erreichen.

Unicef und WHO forderten inzwischen einen sicheren UN-Korridor für den Transport von Verletzten und Hilfsgütern. Dies sei "zwingend notwendig, um unnötiges Sterben und Leiden abzuwehren", heißt es in einer in Genf, Beirut und New York veröffentlichten Erklärung der beiden UN-Organisationen.

Tausende Deutsche auf der Flucht

Auch viele Ausländer sitzen trotz aller Evakuierungsmaßnahmen noch immer im Libanon fest.

Mit drei Flugzeugen vom Typ Airbus A-310 will die Luftwaffe deutsche Libanon-Flüchtlinge in die Heimat zurück bringen. Ziele der am Morgen gestarteten Maschinen sind die syrische Hauptstadt Damaskus sowie Adana in der Türkei, weil der Flughafen der libanesischen Hauptstadt Beirut nach Bombenangriffen nicht mehr nutzbar ist.

Mit den Flugzeugen ist es möglich, fast 500 deutsche Staatsbürger auszufliegen, wie die Bundeswehr mitteilte. Die Rückkehr des ersten Flugzeugs nach Köln-Wahn ist Nachmittag gegen 16.30 Uhr vorgesehen.

Auch die Lufthansa wollte heute mit einem Sonderflug nach Damaskus in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt die Evakuierung unterstützten. Von Frankfurt am Main starte ein Airbus A300-600 mit 280 Sitzplätzen, sagte ein Lufthansasprecher.

Tausende Flüchtlinge haben auf dem Landweg bereits Syrien oder mit dem Schiff die rund 160 Kilometer entfernte Insel Zypern erreicht. So hatten sich gestern etwa 2300 Deutsche in Buskonvois auf den Weg in die syrische Hauptstadt Damaskus oder in die Türkei gemacht.

In Zypern kamen rund 20 Schiffe mit Flüchtlingen an, darunter mehr als 900 US-Bürger auf einem gecharterten Kreuzfahrtschiff. Zypern forderte inzwischen mehr Hilfe seitens der EU, um des Andrangs Herr zu werden

Die US-Armee hat inzwischen Spezialeinheiten in den Libanon gesandt, um die insgesamt 25.000 US-Bürger aus dem Land zu bringen. Es ist das erste Mal seit über 20 Jahre, dass US-Soldaten wieder im Libanon im Einsatz sind.

Die USA hatten sich nach einem blutigen Anschlag mit über 240 Toten auf das Hauptquartier der US-Marines am Beiruter Flughafen 1984 aus dem Libanon zurückgezogen. Den Anschlag hatte damals nach US-Erkenntnissen die Hisbollah verübt.

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