Angriff auf Afrikaner:30 Schüsse verändern den italienischen Wahlkampf

  • In der italienischen Stadt Macerata hat ein Mann aus offenbar rassistischen Gründen auf afrikanische Migranten geschossen und sechs von ihnen verletzt.
  • Der Täter hatte sich in den vergangenen Jahren immer stärker radikalisiert, er fuhr zu Kundgebungen von Forza Nuova und Casa Pound, zwei neofaschistischen Parteien.
  • Seine Nähe zur Lega - bisher Lega Nord genannt - sorgt nun, so kurz vor der Parlamentswahl, für viel Aufregung.

Von Oliver Meiler, Rom

Dreißig Schüsse verändern den italienischen Wahlkampf. Dreißig Schüsse mit rassistischem Hintergrund. In Macerata, einer beschaulichen Provinzstadt in der mittelitalienischen Region Marken, 42 000 Einwohner, hat am Samstagmorgen, fast genau einen Monat vor den Parlamentswahlen, ein junger Mann mit einer Pistole aus seinem fahrenden Auto auf Passanten mit schwarzer Hautfarbe geschossen. Gezielt nur auf Menschen aus Afrika. Dreißig Schüsse. Beim Bahnhof, in der Via dei Velini, in der Via Spalato, mitten im Zentrum. Sechs verletzte er, fünf Männer und eine Frau, zwei von ihnen schwer.

Luca Traini - so heißt der 28 Jahre alte Landschaftsvermesser aus Tolentino bei Macerata - fuhr dann zum mächtigen Denkmal für die gefallenen Soldaten der Stadt, stieg aus dem Auto, entledigte sich seiner Jacke, hüllte sich in die italienische Trikolore, stieg die Treppen des Monuments hoch, und als er oben angekommen war, drehte er sich um, streckte den rechten Arm aus zum "Saluto romano", dem Faschistengruß, und rief: "Viva l'Italia."

Die Carabinieri umstellten ihn, Widerstand leistete er nicht. Die Pistole, eine Glock, lag auf dem Beifahrersitz neben leeren Magazinen und einem Waffenschein. Traini besaß eine Lizenz für das Sportschießen, in seinem Umfeld wussten das alle. Beim Verhör gestand er die Tat. Er sagte, er habe sich für den Mord an Pamela Mastropietro rächen wollen, der habe ihm den Schlaf geraubt.

Die Mörder hatten die Leiche in Stücke zerlegt

Die 18 Jahre alte Römerin war am vergangenen Mittwoch tot aufgefunden worden, verteilt auf zwei Koffer. Die Mörder hatten die Leiche in Stücke zerlegt, gewaschen, in die Koffer gesteckt und in einen Straßengraben bei Macerata geworfen. Die Polizei verhaftete danach einen nigerianischen Drogendealer, von dem sie annimmt, dass er die Frau umgebracht hat. Pamela Mastropietro war aus einem Entzugsheim bei Macerata ausgebrochen, wahrscheinlich um sich Stoff zu besorgen. Seinen Freunden sagte Traini, er besitze ja eine Waffe, er müsse selber für Gerechtigkeit sorgen. Doch niemand nahm ihn so richtig ernst, er redete oft wirres Zeug. Auf dem Weg zur Tat trank er in einer Raststätte vor Macerata einen Kaffee, zum Barmann sagte er: "Ich fahre jetzt nach Macerata und richte ein Blutbad an." Nur Minuten später fielen die ersten Schüsse.

Noch ist nicht klar, wie es um den geistigen Zustand des Mannes steht. Ein langjähriger Freund und Betreiber eines Fitnessklubs erzählte, Traini sei in psychiatrischer Behandlung gewesen. Er habe als Borderliner gegolten, so nennen Wissenschaftler eine Persönlichkeitsstörung. Menschen, die daran leiden, haben starke Stimmungsschwankungen und sind impulsiv. Traini, sagte sein Freund, sei stolz gewesen auf den Begriff Borderliner, der hörte sich böse an. Er wuchs offenbar in schwierigen Verhältnissen auf, zuletzt lebte er bei seiner Großmutter. Arbeit fand er nur gelegentlich und dann als Rausschmeißer in Nachtclubs.

Besser bekannt als sein psychischer Zustand ist Trainis politische Gesinnung. Er trägt sie zur Schau, er hat sie sich auch auf den Leib tätowiert: Auf die rechte Schläfe ließ er sich die "Wolfsangel" stechen, ein neonazistisches und neofaschistisches Symbol, mit dem unter anderem auch "Terza Posizione" signiert, eine rechtssubversive Gruppe. Traini hatte sich in den vergangenen Jahren immer stärker radikalisiert, er fuhr zu Kundgebungen von Forza Nuova und Casa Pound, zwei neofaschistischen Parteien. Im Fitnessklub grüßte er den Erzählungen des Freundes zufolge bald nur noch faschistisch und zog in Gesprächen immer rabiater über Einwanderer her.

Traini hetzte gegen alle Migranten, ohne Unterschied

In Macerata leben 400 afrikanische Einwanderer, die meisten kommen aus Nigeria und warten darauf, dass ihr Asylantrag behandelt wird. Die, welche Italienisch lernen, erhalten Lehrstellen. Andere putzen Straßen im Auftrag der linken Gemeindeverwaltung. Und dann gibt es in Macerata, wie in anderen italienischen Städten auch, Probleme mit Drogendealern und Prostituierten aus Nigeria.

Traini hetzte gegen alle, ohne Unterschied. Irgendwann war es dem Freund vom Fitnessklub genug: Er verbot ihm den Zutritt zu seinem Klub. Im vergangenen Jahr versuchte Traini, in der Politik Fuß zu fassen. Er bewarb sich um einen Sitz im Gemeinderat von Corridonia, einer Kleinstadt in der Gegend. Sein Name stand auf einer Liste der rechtspopulistischen Lega von Matteo Salvini. Es zirkuliert nun ein Video, auf dem man Traini und Salvini mit anderen Parteigängern zusammen auf einer Wahlkampfbühne sieht. Traini gewann bei den Wahlen aber nicht eine einzige Stimme.

Seine Nähe zur Lega sorgt nun, so kurz vor der Parlamentswahl, für viel Aufregung. Kritiker werfen Parteichef Salvini vor, er schüre den Hass mit seinen ständigen Tiraden gegen Immigranten. "Wer schießt, ist ein Verbrecher", sagte Salvini, "egal, welche Hautfarbe er hat." Fügte dann aber hinzu: "Doch es ist ja offensichtlich, dass diese Immigration ohne Kontrolle der vergangenen Jahre, diese organisierte, gewollte und finanzierte Invasion zu gesellschaftlichen Konflikten führt." Er könne es kaum erwarten, an die Macht zu kommen, um in Italien wieder für Ordnung zu sorgen. Auch seine Partner im rechten Wahlbündnis, Silvio Berlusconi von Forza Italia und Giorgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli d'Italia, verurteilten die Tat, schoben aber eine Erklärung nach, die wie eine halbe Rechtfertigung klang.

Zu "Besonnenheit" und "demokratischer Harmonie" rief dagegen Italiens Premierminister auf, der Sozialdemokrat Paolo Gentiloni. Und sein Kollege, Innenminister Marco Minniti, warnte die Rechte davor, den Rassenhass weiter anzuheizen. Zunächst fanden die Appelle jedoch wenig Gehör.

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