Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, der Erzbischof von Canterbury, tritt nach großem öffentlichen Druck wegen seiner Rolle in einem Missbrauchsskandal zurück. Das teilte Justin Welby in einer Erklärung mit. Ihm wird vorgeworfen, dass er den jahrzehntelangen Missbrauch von mehr als 100 Jungen und jungen Männern durch einen Anwalt der Kirche nicht öffentlich gemacht hat. Ranghohe Kirchenvertreter hatten deshalb Welbys Rücktritt gefordert.
Ein vor wenigen Tagen veröffentlichter unabhängiger Untersuchungsbericht zu den Geschehnissen seit den 1970er-Jahren kam zu dem Schluss, dass Welby den Missbrauchsfall hätte melden können und müssen, als er 2013 kurz nach seiner Amtsübernahme die Details erfuhr. Der mutmaßliche Täter starb 2018 und stand nie vor Gericht.
Laut dem Untersuchungsbericht lud der Kirchenanwalt Jungen, die er in christlichen Sommerlagern kennengelernt hatte, in sein Haus ein und peitschte sie aus. Allein acht Jungen sollen insgesamt 14 000 Stockhiebe erhalten haben. Es gab demnach Dutzende weitere Opfer. Die Vorwürfe wurden erst 2013 der Polizei gemeldet, der Fall 2017 durch eine TV-Dokumentation bekannt.
Welby räumte nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts persönliche Versäumnisse ein, lehnte einen Rücktritt aber zunächst ab. Nun beugt er sich dem öffentlichen Druck. „Es ist völlig klar, dass ich die persönliche und institutionelle Verantwortung für die lange und erneut traumatisierende Zeit zwischen 2013 und 2024 übernehmen muss“, teilte Welby nun zu seinem Rücktritt mit. „Ich hoffe, diese Entscheidung macht deutlich, wie ernst die Church of England die Notwendigkeit einer Veränderung und unser tiefes Engagement für eine sicherere Kirche nimmt“, so Welby. „Ich trete von meinem Amt zurück, in tiefer Trauer mit allen Opfern und Überlebenden von Missbrauch.“
Aufgabe des Oberhaupts der anglikanischen Kirche ist unter anderem die Krönung des britischen Monarchen. Außerdem sitzt er in der zweiten Parlamentskammer, dem House of Lords.