Der Beifall
Eigentlich ist in dem Moment alles gelaufen. Es ist der Moment, in dem der Beifall über die Zukunft der CDU und damit auch über die Zukunft Angela Merkels entscheidet. Mehrere hundert Leute haben sich im großen Saal eines Stuttgarter Vereinsheims versammelt, es ist die letzte von fünf CDU-Regionalkonferenzen im März 2000.
Und weil die Leute der jungen Noch-Generalsekretärin zujubeln, ist das Votum der Basis gefallen. Sie soll es machen, die junge Frau mit dem Topfhaarschnitt. Die aus dem Osten. Die, die den harschen Artikel über Helmut Kohl verfasst hat. Und die, die an diesem 18. März 2000 mit dem Beifall so überhaupt nicht zurecht kommt.
Kaum hebt der Applaus an, taucht Merkel ab in ihre Papiere. Gerade eben noch hat sie über Erneuerung, Mut und Zuversicht geredet; jetzt, so scheint es, würde sie am liebsten unter dem Tisch wegtauchen. Beifall - das ist ihre Sache nicht. Sie wirkt schüchtern im Moment des Triumphs und deshalb durchaus ein bisschen sympathisch.
Vielleicht ahnt sie zum ersten Mal, wie viel Verantwortung auf sie zukommt.
Allerdings hat sie ihre Scheu seither Schritt für Schritt verloren. Heute kennt Angela Merkel derlei Probleme kaum noch. Allenfalls die eigenen CDU-Parteitage sind noch immer nicht wirklich ihr Revier, sie sind noch immer keine Heimspiele für sie. Aber mit Publikum umgehen, sich auch mal bejubeln lassen, das ist ihr ansonsten nicht mehr fremd, sondern zur Gewohnheit und Routine geworden.
Zuletzt bei ihrer Reise in die Türkei hat sie es nachgerade genossen, in der Menge der Schüler einer deutschen Schule ein Bad zu nehmen. Hier ein Schwatz, dort ein Schwatz, viel Händeschütteln und noch mehr fröhliche Fotos - in Sachen Public Relations hat sich Merkel zum Profi gewandelt.
Dass sie in dieser Zeit irgendwann Kanzlerin geworden ist, hat ihr dabei freilich geholfen.
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