Angela Merkel:Wie sie wurde, was sie ist

Seit zehn Jahren ist sie die erste Frau an der Spitze einer Volkspartei, und seit viereinhalb Jahren regiert sie als erste Kanzlerin Deutschland. Angela Merkels besondere Karriere in Bildern.

Stefan Braun

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Angela Merkel, CDU

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Der Artikel

Angela Merkels Aufstieg hat mehrere Startpunkte. Aber eine Nacht war - sozusagen nervenpolitisch - alles entscheidend: Es war die Nacht vom 21. auf den 22. Dezember 1999. Eine Nacht, in der Merkel schlecht, andere würden sagen überhaupt nicht geschlafen hat.

Eine Nacht, die mit der Veröffentlichung eines Artikels der damaligen CDU-Generalsekretärin endete, in dem sie die Partei aufforderte, sich vom Übervater Helmut Kohl zu emanzipieren. Eine Bombe war das, und in Erwartung des großen Knalls fand Merkel keinen Schlaf.

Sie hatte schon länger über einen solchen Schritt nachgedacht, aber erst nachdem Kohl am 16. Dezember via Fernsehen erklärt hatte, er werde seine unbekannten Spender ganz sicher nicht nennen, war für sie klar, dass die Partei zum Überleben eine Trennung von Kohl brauchte.

Die Folgen waren zunächst verheerend, die damals noch sehr kleine Beraterrunde um Merkel musste tagelang kämpfen, um im Zorn der Kohlianer in der Partei nicht zu ertrinken. Das Weihnachtsfest im gleichen Jahr war vom politischen Überlebenskampf gezeichnet. Zumal Merkel ihren eigenen Parteichef Wolfgang Schäuble vor der Veröffentlichung des Briefes nicht eingeweiht hatte.

Erst Anfang Januar, als Kohl-Enkel Roland Koch die Vergehen der Hessen-CDU (illegale Parteispenden waren als jüdische Vermächtnisse ausgegeben worden) einräumen musste, konnte Merkel ein erstes Mal durchatmen. Seither wird ihr öffentlicher Appell in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht mehr mit Vorsicht und Schrecken beschrieben.

Wann immer man mit Merkel und ihren Weggefährten spricht, gilt der damalige Akt der Emanzipation als stärkster Beleg dafür, dass auch die oft zögerliche Merkel bereit sei, ihre Karriere zu riskieren, wenn es darauf ankommt. Viel Ehre für einen einzigen Artikel.

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Der Beifall

Eigentlich ist in dem Moment alles gelaufen. Es ist der Moment, in dem der Beifall über die Zukunft der CDU und damit auch über die Zukunft Angela Merkels entscheidet. Mehrere hundert Leute haben sich im großen Saal eines Stuttgarter Vereinsheims versammelt, es ist die letzte von fünf CDU-Regionalkonferenzen im März 2000.

Und weil die Leute der jungen Noch-Generalsekretärin zujubeln, ist das Votum der Basis gefallen. Sie soll es machen, die junge Frau mit dem Topfhaarschnitt. Die aus dem Osten. Die, die den harschen Artikel über Helmut Kohl verfasst hat. Und die, die an diesem 18. März 2000 mit dem Beifall so überhaupt nicht zurecht kommt.

Kaum hebt der Applaus an, taucht Merkel ab in ihre Papiere. Gerade eben noch hat sie über Erneuerung, Mut und Zuversicht geredet; jetzt, so scheint es, würde sie am liebsten unter dem Tisch wegtauchen. Beifall - das ist ihre Sache nicht. Sie wirkt schüchtern im Moment des Triumphs und deshalb durchaus ein bisschen sympathisch.

Vielleicht ahnt sie zum ersten Mal, wie viel Verantwortung auf sie zukommt.

Allerdings hat sie ihre Scheu seither Schritt für Schritt verloren. Heute kennt Angela Merkel derlei Probleme kaum noch. Allenfalls die eigenen CDU-Parteitage sind noch immer nicht wirklich ihr Revier, sie sind noch immer keine Heimspiele für sie. Aber mit Publikum umgehen, sich auch mal bejubeln lassen, das ist ihr ansonsten nicht mehr fremd, sondern zur Gewohnheit und Routine geworden.

Zuletzt bei ihrer Reise in die Türkei hat sie es nachgerade genossen, in der Menge der Schüler einer deutschen Schule ein Bad zu nehmen. Hier ein Schwatz, dort ein Schwatz, viel Händeschütteln und noch mehr fröhliche Fotos - in Sachen Public Relations hat sich Merkel zum Profi gewandelt.

Dass sie in dieser Zeit irgendwann Kanzlerin geworden ist, hat ihr dabei freilich geholfen.

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Der Herrenkrug

Es ist der erste Tag nach dem Verzicht. Und schon muss eine Frau, die wochenlang im Mittelpunkt aller Nachrichten stand, erleben, wie sich die Aufmerksamkeit der Medien weiterbewegt.

Seit einem Tag heißt der Kanzlerkandidat der Union Edmund Stoiber - und Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende, verlässt fast unbemerkt den Ort, an dem das verkündet wurde. Der Ort heißt Herrenkrug, es ist ein Hotel in Magdeburg. Der Name wird im politischen Gedächtnis bleiben.

Am ersten der beiden Tage im Herrenkrug hatte Merkel ihrer CDU-Spitze berichtet, dass sie morgens in Wolfratshausen mit Stoiber gefrühstückt habe und nun alles geklärt sei. Geklärt war damit vor allem, dass die Herren Merz, Koch, Schönbohm und Co. auf den geplanten Putsch verzichten konnten. Viele Herren aus dem sogenannten Andenpakt alter Freunde aus der Jungen Union glaubten, für Merkel sei der Anfang vom Ende gekommen.

Der Verlauf der Geschichte beweist, dass diese Einschätzung falsch war. Merkels Verzicht wurde ein Schritt, der sie auf längere Sicht stärkte. Das allerdings nur, weil sie zuvor sehr glaubhaft ihren Anspruch auf eine Kandidatur formuliert hatte. Erst als sie ernst genommen wurde, konnte ihr aus dem Verzicht ein Vorteil erwachsen. Während des folgenden Wahlkampfs konnte man ihr keine Illoyalitäten nachweisen.

Entsprechend stark war sie, als sie nach der Wahl neben dem Partei- auch den Fraktionsvorsitz für sich reklamierte. In der neueren Parteiengeschichte gibt es wenige Beispiele für einen Verzicht, aus dem ein Zuwachs an Macht wurde. Und auch Merkel war sich zunächst keineswegs sicher, dass sich ihr Schritt für sie auszahlen würde. Als sie an jenem 12. Januar 2002 nach Berlin zurückfuhr, fühlte sie genauso wie ihre Mitstreiter vor allem eines: den Schmerz der Niederlage.

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Der Parteitag

Es ist ein Tag fast wie im Rausch. Vor allem für die CDU, aber auch für Angela Merkel. Zum ersten Mal nach den jahrelangen verheerenden Beben und Nachbeben des Parteispendenskandals, die an den Nerven zehrten, haben die mehr als tausend Parteitagsdelegierten das Gefühl, es beginne etwas ganz Neues.

Weit verbreitet ist an diesem 1. Dezember 2003 in der riesigen Halle der Leipziger Messe die Hoffnung, man starte in eine neue Zeitrechnung. Die gesamte Partei hat sich aufgemacht, das Land zu reformieren. Von nun an soll nicht mehr an Schräubchen gedreht werden, jetzt geht es um die großen Zukunftsentwürfe.

Während Bundeskanzler Gerhard Schröder (unter tätiger Mithilfe der Union) die Hartz-Gesetze durch Bundestag und Bundesrat treibt, will die CDU ihren Gegner im Reformeifer überbieten. Sie will das Gesundheitssystem mit einer Kopfpauschale neu ausrichten und dazu die Steuerpolitik fundamental umbauen.

So einschneidend die Ideen sein würden, so heftig ist an diesem Tag der Applaus. Zum ersten Mal entsteht der Eindruck, dass die damals reformfreudige Merkel und ihre damals reformfreudige Partei vielleicht doch irgendwann richtig zusammengehören könnten.

Dass es einige Mahner gab wie Norbert Blüm oder Heiner Geißler - an diesem Tag mag da kaum einer hinhören. Blüm wird ausgebuht, als er versucht, mit Argumenten dagegenzuhalten. Doch auch diesem Rausch folgt später der Kater.

Schon wenige Wochen danach ist klar, dass die CSU nicht bereit ist, den Schwenk so mitzumachen. Monatelanger Streit folgt, und dabei muss Merkel schmerzhaft lernen, wie eng CDU und CSU zusammengebunden sind, wollen sie Erfolg haben. Zwei Jahre später folgt das Fastdebakel bei der Bundestagswahl 2005. Die Wurzel dafür war der Rausch von Leipzig.

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Der Wortbruch

Franz Müntefering wollte ihr glauben - und fühlt sich seither betrogen. Der sozialdemokratische Vizekanzler der großen Koalition hatte Angela Merkel früh gewarnt. Wenn sie den nordrhein-westfälischen CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers nicht stoppe in seinem Drang, die Hartz-Gesetze aufzuweichen, dann werde sich die SPD, die für die Agenda 2010 einen hohen Preis bezahlt hatte, dies nicht gefallen lassen.

Müntefering setzte auf die Loyalität Merkels, so wie er ihr als Arbeitsminister Loyalität bewiesen hatte, als er die Rente mit 67 ohne Rücksicht auf Verluste in seiner Partei durchgesetzt hatte. Merkel beschwichtigte ihren Vizekanzler, Rüttgers werde keine Probleme machen. Doch Rüttgers machte immer mehr Probleme - und die CDU-Vorsitzende tat nichts dagegen.

So wurde der Dresdner CDU-Parteitag im November 2006 der Ort, an dem sich Merkel entschloss, an sich und sonst an niemanden zu denken. Der Parteitag beschloss, Rüttgers' Forderung nachzugeben und das Arbeitslosengeld länger auszuzahlen. Die darüber zerstrittenen Parteivizes erhielten miserable Wahlergebnisse; nur Merkel wurde mit großer Mehrheit im Amt bestätigt.

Innerparteilich war das clever, aber in der großen Koalition war der Bruch nicht mehr zu kitten. Nicht nur Franz Müntefering hielt der Kanzlerin von da an vor, erst an die Partei und dann an das Land zu denken. Taktik vor Tatkraft, kein Mut, auch mit den eigenen Leuten zu kämpfen: Kein Schröder eben, wie Müntefering es bisweilen kurz zusammenfasste.

Die SPD revanchierte sich mit der Mindestlohn-Kampagne, die Gemeinsamkeit der großen Koalition war dahin, genauso wie das gute Verhältnis zwischen Müntefering und Merkel. Als der Vizekanzler aus privaten Gründen zurücktrat, war es ein kühler Abschied.

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Das Kaffekränzchen

Das hatte man nicht mehr für möglich gehalten. Sicher, das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Helmut Kohl ist über die Jahre ein wenig besser geworden. Ziemlich kühl aber ist es trotz aller Friedensversuche geblieben. Nüchtern kalkulierend, könnte man bei der Physikerin Merkel auch sagen.

Doch dann kommt der 10. August 2009. Merkel steht zu dieser Zeit vor einem schwierigen Wahlkampf. Die Umfragen sagen voraus, dass der CDU alles andere als ein großer Triumph ins Haus steht. Und fast alle Wahlforscher erklären ausführlich, dass Merkel zwar beliebt, aber manch eingefleischter Unionist eher verärgert sei über den flexiblen Kurs der Kanzlerin beim Regieren und über den noch flexibleren Kurs der CDU-Vorsitzenden beim Werben um Wähler.

Merkel reagiert. Sie fährt nach Oggersheim, sie besucht den Alten. Und sie tut das publikumswirksam. Weil Merkel ist, wie sie heute ist, wird das Treffen auf Kohls Terrasse medial schön festgehalten.

Einen Tag später erscheint ein Foto der beiden, und dazu die Geschichte von den Tomaten und vom Mozzarella, die beide genossen hätten. Die Kanzlerin ist alpenurlaubsbraungebrannt, der Altkanzler gibt dazu eine wohlwollend-stille Kulisse.

Es geht darum, auch die Konservativen in ihrer Partei bis zur Wahl einzubinden. Mit dem Besuch schließt sich so ein Kreis - vom FAZ-Artikel zum Kaffeekränzchen. Will die CDU regieren, muss sie offenbar bis heute die Merkelianer und Kohlianer zusammenführen.

Das Ergebnis freilich fällt gemischt aus. Am Wahlabend bekommt Merkel das schwarz-gelbe Bündnis, mit dem Kohl sechzehn Jahre regiert hat. Ihre eigene Partei aber trägt dazu wenig bei - sie fällt zum zweiten Mal hintereinander unter den schlechtesten Wert, den die CDU unter Kohl je erzielt hat.

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