Angela Merkel und die Krise:Anne, ich mach jetzt mal das Licht aus!

Angela Merkel kann nicht reden und ist nicht kamera-kompatibel. Das ist anders als bei Schröder. In der Krise hat sie damit ein Problem.

Kurt Kister

Der Sonntagabend lief einerseits gut für Angela Merkel und andererseits auch schlecht. Das Gute zuerst: Die Kanzlerin bekam von der ARD eine Stunde zur Selbstdarstellung geschenkt, die nur ein paar Minuten durch eine rührende Opel-Familie unterbrochen wurde. Die Familie war da, weil sonst die Will-Couch unbesetzt geblieben wäre, was nahezu einem Verstoß gegen den Rundfunk-Staatsvertrag gleichkommt. (Die Will-Couch ist für das Fernsehen so etwas wie der "Münchhausen-Test" im Spiegel für die Presse: Hat der Chef oder die Chefin mal erfunden, kann man deswegen nicht mehr abschaffen).

Merkel, Schröder, ddp

Angela Merkel und Gerhard Schröder (Archivbild aus dem Jahr 2005): So sonderbar das klingt, reden ist nicht Merkels Ding, und das Regieren durch Reden schon gar nicht.

(Foto: Foto: ddp)

Die ebenfalls mal im Sessel, mal auf der Couch anwesende Moderatorin Anne Will hatte sehr eng bedruckte Fragekarten in der Hand. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, ließ sie sich jederzeit von Merkel die Butter vom Brot nehmen. Weder war Will schlagfertig, noch nervte sie die Kanzlerin ernsthaft - höchstens mit ihren penetranten Fragebausteinen à la Plasberg ("Frau Bundeskanzlerin, vollenden Sie diesen Satz ..."). Je länger das Gespräch dauerte, desto häufiger machte Merkel, ganz unabhängig von Wills Fragen, was sie wollte.

Besonders schön war's am Schluss, als Will ankündigte, sie werde Merkel nun nicht mehr auslassen, bevor die nicht eine Wahlprognose für die Union abgegeben hätte. Die Kanzlerin tat dies mit der pädagogischen Souveränität einer Mutter ab, deren neunjährige Tochter ihr gerade verkündet hatte, sie gehe heute erst um Mitternacht ins Bett: "Ist schon recht, Anne, ich mach jetzt mal das Licht aus." Wäre Angela Merkel ein Mann, könnte man sagen, sie sei notgedrungen gegenüber der Interviewerin etwas paternalistisch aufgetreten. So gab die Kanzlerin nur die freundliche Macha im blasspfirsichfarbenen Jackett.

Von der Kulisse und der Befragung her hätte also diese Sendung durchwegs positiv für Angela Merkel ausgehen können. Ist sie aber nicht. Und darin liegt das Schlechte dieser Sendung für die Kanzlerin: Merkel erschien eine Stunde lang als die, die sie ist.

Das sogenannte One-on-one-Format funktioniert dann im Fernsehen, wenn Interviewer und mehr noch der Gast streitbereit, ironisch, gut vorbereitet, witzig, überzeugt und überzeugend sind. Angela Merkel war nichts von alledem, obwohl sie das eine oder das andere durchaus sein kann, wenn auch oft nur im kleinen Kreis. In Wirklichkeit aber eignet sie sich nicht für Will, Beckmann, Plasberg und Co.

So sonderbar das klingt: Reden ist nicht Merkels Ding, und das Regieren durch Reden schon gar nicht. Sie mag sich nicht festlegen und genauso spricht sie auch. Sie will lieber sieben Meinungen hören als einmal klar und deutlich - und noch dazu öffentlich - ihre eigene Meinung zu sagen. Schweigen hält sie, ganz nach Stimmung, für eine Tugend oder für ein Erziehungsmittel.

Sie ist zwar Demokratin durch und durch, aber sie könnte genauso gut eine Regierung in einem Land führen, in dem man nichts erklären muss und es kein Fernsehen gibt. Doch, sie ist durchaus eitel, denn uneitle Spitzenpolitiker existieren nicht. Die Befriedigung ihrer Eitelkeit allerdings erfährt sie in erster Linie durch die Privilegien und Insignien ihrer Position und weniger bis kaum durch TV-Auftritte oder Zeitungsinterviews. Und Journalisten zählen für sie eher zu jener breiten Kategorie von Leuten, die sich deutlich zu wichtig nehmen.

Bei den meisten ihrer Vorgänger im Kanzleramt war das anders. Sie alle waren Redner, jeder auf seine Weise. Gerhard Schröder etwa ließ sein Amt gerne von Frank-Walter Steinmeier verwalten und ging Reden halten: bei der Partei, im Bundestag, bei allen möglichen Organisationen und natürlich in Bild, BamS und Glotze. Es kommt nicht von ungefähr, dass zu Schröders Regierungszeiten, jener kurzen Ära der vielsprechenden Köpfe, die Talkshows wenn nicht zum Mittel, so doch zum Forum der Politik wurden. Das ist vorbei, auch wenn das vor allem die Talkmaster anders sehen.

Auch Helmut Kohl war ein Mann, der seine Politik redend vertrat und vertreten konnte. Es macht nichts, dass er sich dabei immer wieder verhedderte, denn was ihm die einen anhängten ("der dumme Pfälzer"), trug nur dazu bei, dass sich sein eigenes Lager enger um ihn scharte. Auf seine Art - polternd, provozierend, manchmal beleidigend - verschliss er jede Menge politische Gegner in der SPD, darunter so begabte Redner wie Oskar Lafontaine, aber auch Entengrütze-Rhetoriker wie Rudolf Scharping. Ja, Kohl konnte reden, und je länger er regierte, desto überheblicher wurde sein Umgang mit Leuten, die ihn fragten - egal, ob im Fernsehen oder am Kabinettstisch.

Solange die Dinge einigermaßen ruhig dahingehen, ist es kein Problem wenn man eine begrenzt kamera-kompatible, mäßig eloquente Kanzlerin hat. Das war so in den ersten zwei oder zweieinhalb Jahren der großen Koalition. Während sich allüberall die menschgewordenen Talkshows Lafontaine, Westerwelle oder Seehofer fetzten, regierten Merkel und Steinmeier, der ihr in manchem erstaunlich ähnlich ist, relativ erfolgreich vor sich hin. Dann aber kam die Krise.

In der Krise will die Mehrheit der Menschen eben doch Erklärungen - was man nicht nur am Sonntagabend in den Gesichtern der zunächst nur disparaten, dann desperaten Opelfamilie auf Wills Couch deutlich sah. Und besonders gut wäre es, wenn man den Eindruck hätte, die Kanzlerin könne nicht nur erklären, sondern hätte auch gleich noch einen Masterplan, zumindest aber starke Überzeugungen. War aber nicht. Kein Plan, keine Überzeugungen. Man hörte nichts, was man nicht schon vorher gehört hätte.

Aber das sagte Angela Merkel dann so, dass man es lieber nicht gehört hätte.

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