Angela Merkel und die Finanzkrise:Die Krisenkanzlerin

Es ist ihre erste große Bewährungsprobe: In Zeiten von kollabierenden Märkten kämpft Angela Merkel um Vertrauen. Jetzt muss sie zeigen, dass sie mehr ist, als eine Schönwetter-Kanzlerin.

Nico Fried

Es war nur eine kurze Pressekonferenz am Donnerstagabend, aber Angela Merkel hat darin achtmal das Wort "natürlich" untergebracht. Natürlich habe sie mit dem polnischen Premierminister Donald Tusk über dies und das gesprochen, natürlich koordiniere man sich mit den europäischen Partnern in der Finanzkrise, natürlich dürfe sich der Staat jetzt nicht entziehen, natürlich dürfe man keine Maßnahme ausschließen.

Angela Merkel und die Finanzkrise: Ruhig bleiben aber nicht tatenlos - Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Bundestagsdebatte zur Finanzkrise am Dienstag.

Ruhig bleiben aber nicht tatenlos - Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Bundestagsdebatte zur Finanzkrise am Dienstag.

(Foto: Foto: Getty)

Dieses Wort aus dem Mund der Kanzlerin klingt eigentlich beruhigend. Es suggeriert Umsicht und Kontrolle. Nichts wird vergessen. Das Natürliche ist das Normale. Es ist, vermutlich sogar unbewusst, das in einen Begriff zusammengeschrumpfte Gegenprogramm zu dem, was sich draußen abspielt, auf den Finanzmärkten, wo nichts mehr natürlich ist, nicht mal unnatürlich, sondern nur noch abnormal.

Das beruhigende Wort steht für das, was Merkel seit zwei Wochen versucht: Vertrauen schaffen - bislang mit sehr begrenztem Erfolg, was freilich nicht nur für die Kanzlerin gilt, sondern für alle, die dasselbe versuchen. Die Krise der Kapitalmärkte ist für Angela Merkel nach drei Jahren Kanzlerschaft die größte Bewährungsprobe. Es ist die Krise, von der nicht nur ihre Kritiker immer gesagt haben, wenn sie eines Tages einträte, müsse sich zeigen, ob Merkel mehr sei als eine Schönwetter-Kanzlerin.

Jetzt ist es so weit. Die Börsen brechen ein, Banken müssen vor der Pleite gerettet werden, die Bürger haben Angst um ihr Erspartes, der Wirtschaft droht eine Rezession. Und? Wie macht sie's? Schwer zu sagen.

Merkel kannte bislang kleine, vergleichsweise läppische Krisen, zum Beispiel in der großen Koalition. Sie hatte schwierige internationale Konflikte mit zu bewältigen, zum Beispiel während des Libanon- oder des Georgien-Krieges. Die große Krise jetzt aber ist etwas völlig anderes: Sie folgt keinem klassischen Muster. Das, wogegen man ankämpft, ist virtuell. Merkel, der Finanzminister, ihre Kollegen im Ausland, die Zentralbanker, alle gegen - ja, gegen wen eigentlich?

Wie Merkels Handeln in der Krise wirklich zu beurteilen ist, wird man wohl erst nach der Krise wissen. So oder so. Dann wird sich zeigen, ob die Kanzlerin mit ihrer staatlichen Garantie für die Spareinlagen mehr Schaden angerichtet als Nutzen erzielt hat. Dann kann man einschätzen, ob Merkel zu lange der Vorstellung anhing, manche der Probleme auf nationalem Weg zu lösen. Dann lässt sich sagen, ob es besser gewesen wäre, die Bundesregierung hätte gleich einen Teil der Banken verstaatlicht, wie es die Briten gemacht haben.

Was man sagen kann: Sie macht viel. Die Tage sind lang, die Nächte auch. Natürlich. Unter der Woche telefonierte die Kanzlerin fast ununterbrochen, mit George W. Bush, mit Gordon Brown, mit Nicolas Sarkozy, mit Jose Manuel Barroso, mit Silvio Berlusconi, mit Jean-Claude Trichet und immer wieder mit Peer Steinbrück. Der Kontakt zum Finanzminister ist eng, zwischenzeitliches Murren aus der Unions-Fraktion am SPD-Mann wurde abgestellt.

Merkel verlässt sich auf ihren wirtschaftspolitischen Berater Jens Weidmann und auf Steinbrücks Staatssekretär Jörg Asmussen. Sie verhandelte mit, als es um die Rettung der Hypo Real Estate ging, leierte den Finanzbossen beim ersten Mal in einem nächtlichen Telefonat mit Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zusätzlich 1,5 Milliarden Euro aus dem Kreuz. Als "gusseisern" beschreibt sie ein Vertrauter und meint damit nicht nur ihre Kondition.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Merkel trotz der Misere in der Union und den unsicheren Erfolgsaussichten ihres Krisenmanagements strikt durchregiert.

Die Krisenkanzlerin

"Die macht das o.k.", sagt aber auch ein Sozialdemokrat, der schon anders über Merkel gesprochen hat. Die große Koalition rückt zusammen, abgesehen von der CSU, die sich sortieren muss, bei der Erbschaftssteuer aufbegehrt und mit Michael Glos einen Wirtschaftsminister stellt, der im schlechtesten Sinne des Wortes die Ruhe selbst ist. Union und SPD freuen sich darüber, dass viele meinen, es sei ein Glücksfall, in dieser Krise von einer großen Koalition regiert zu werden - eine allerdings unbewiesene These, wenn man bedenkt, dass die rot-grüne Regierung mit hauchdünner Mehrheit sogar zweimal die Kraft hatte, deutsche Soldaten in einen Krieg zu schicken.

Hypo Real Estate, AP

Wird Merkel den Wählern erklären können, dass es notwendig war, 26,5 Milliarden Euro aus Steuergeld zur Verfügung stellt, um die Fehler von Bankern zu korrigieren?

(Foto: Foto: AP)

Der frühere Vizekanzler Franz Müntefering hat kürzlich beklagt, Merkel sei vor einem Jahr in einem innenpolitischen Streit CDU-Parteivorsitzende geblieben, wo sie Kanzlerin hätte sein müssen. Egal, ob diese Analyse stimmt, dürfte sich Merkel das jetzt auf keinen Fall erlauben. Und das kann zum Problem werden für eine Politikerin, die in weniger als einem Jahr wiedergewählt werden will. Denn was vielleicht richtig ist, um die Krise zu bekämpfen, kann dennoch ihrem Ansehen schaden. Was aber populär ist, könnte in der Sache falsch sein.

Es mag zum Beispiel gute Gründe gegeben haben, die Hypo Real Estate zu retten - aber glauben auch ausreichend Wähler, dass es nötig ist, 26,5 Milliarden Euro an Steuergeldern in eine Bürgschaft zu stecken, um Missmanagement von Bankern zu kurieren? Umgekehrt verweigerte sich Merkel ruckzuck französischen Gedankenspielen für einen europäischen Rettungsfonds. Dahinter stand auch die Überlegung, dass in Deutschland nicht zu rechtfertigen wäre, wenn die Bundesregierung 75 Milliarden Euro in einen Topf gäbe, faktisch aber kaum mitentscheiden könnte, wer das Geld bekommt. Innenpolitisch ist das nachvollziehbar. Aber war es auch richtig?

Die Kanzlerin Merkel jedenfalls ist der CDU-Vorsitzenden Merkel derzeit eine große Hilfe. Wahlniederlagen in Serie, Rufe nach mehr Profil in der Unions-Fraktion, in Berlin und Brandenburg zwei Landesverbände in katastrophalem Zustand, in Hessen ein dritter vor dem Machtverlust, schwache Umfragewerte im Bund, die Schwesterpartei CSU: siehe oben - die CDU-Chefin erlebt seit Wochen eine Situation wie Kurt Beck in der SPD fast drei Jahre lang. Doch die Aufmerksamkeit für die Kanzlerin als Managerin der Finanzkrise überlagert alles.

Der Ruf nach dem Staat macht Merkel sogar noch mächtiger. Die Regierung handelt, das Parlament, dessen ureigenes Recht die Etathoheit ist, folgt in seiner großen Mehrheit. Die Kanzlerin und ihr Finanzminister bürgen mit Milliarden für eine Bank, der Haushaltsausschuss und die Fraktionen nicken das ab. Merkel und Steinbrück garantieren für die Spareinlagen der Bürger, auch die FDP findet das gut. Zum ersten Mal darf die Kanzlerin, was sie einst versprochen hat: durchregieren. Nix mehr Politik der kleinen Schritte.

Die Staatsgarantie für die Sparer war der bisherige Höhepunkt. Mit einer materiell überaus diffusen Ankündigung intendierte die Kanzlerin eine konkrete politische Wirkung. Mit ihrem Eine-Billion-Euro-Versprechen wollte Merkel mit der Absicherung eines Zustands zugleich genau diesen Zustand verhindern. Doch was als Beruhigungspille gedacht war, ist zu einem Knochen geworden, an dem sich die Experten in den Talkshows die Zähne ausbeißen: Was wäre, wenn ...?

Natürlich ist dieser Fall trotz allem noch sehr unwahrscheinlich. Aber das Wort natürlich verdeckt in diesen Tagen auch eine große Ungewissheit.

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