Süddeutsche Zeitung

Angela Merkel und die Atomdebatte:CDU vor dem GAU

Die CDU hat sich bei den Laufzeiten für Atomkraftwerke verheddert und wird dabei als Verliererin enden. Schuld daran sind viele in der Partei - auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihre Truppe von Profilneurotikern nicht unter Kontrolle hat.

Stefan Braun

Man kann nicht sagen, dass Hermann Gröhe das politische Geschäft nicht verstünde. Im Gegenteil, der CDU-Generalsekretär gehört zu den Klügeren in der Branche. Außerdem weiß er genau, wie gefährlich es ist, in heiklen Fragen verwirrende Signale auszusenden. Umso gravierender ist es, dass ausgerechnet ihm jetzt genau das passiert ist: Als Gröhe am Montag zu den Zielen der CDU bei der Verlängerung der AKW-Laufzeiten Stellung nehmen wollte, verfranzte er sich dramatisch.

Erst war er neben der geplanten Brennelementesteuer für einen zweiten Beitrag der Kraftwerksbetreiber. Kurz darauf korrigierte er sich mit den Worten, die CDU wolle keinen zweiten Beitrag, sondern Investitionen der Unternehmen zur Förderung von Solartechnik und Windkraft. Auf ein entschlossenes Ja folgte ein vorsichtiges Jein, das wie ein Nein klingen sollte. Das nennt man Chaos.

Dieses Chaos ist das Produkt einer Debatte, in der sich die gesamte CDU durch widersprüchliche Ziele und innere Konflikte schon seit Monaten verheddert. Egal, was Ende September als Energiekonzept der Koalition präsentiert wird, die CDU wird wie eine Verliererin aussehen. Zu harsch sind die gegenseitigen Anfeindungen, zu sehr geht es um Sieg oder Niederlage. Nach der Vorstellung des Energiekonzepts wird allenfalls eine kleine Minderheit weiter glauben, dass die CDU mit der Atomkraft vertrauensvoll umgeht. Politisch kann so aus dem Chaos ein GAU werden. Im Herbst dräut nichts Gutes für die Partei Angela Merkels.

Die Wurzeln dafür legte die CDU-Spitze im Wahlkampf 2009. Damals machte sie sich auf, für längere Laufzeiten einzutreten. Und nicht wenige in der Partei waren wie elektrisiert, weil sie sich endlich wieder zu Hause fühlten. Es gab plötzlich etwas Profilbildendes in sehr profilarmen Zeiten. Wenigstens bei einem Thema stand man wieder in einer echten und traditionellen Frontstellung zum politischen Gegner, wo doch Merkels Wahlkampf ansonsten von Konfliktscheu geprägt war. Sicher, längere Laufzeiten wurden wirtschaftlich (geringere Stromkosten) und umweltpolitisch (weniger CO2-Ausstoß) begründet. Die emotionale Bedeutung der Atomkraft ist für viele Christdemokraten aber viel wichtiger gewesen. Sie hatten ein Thema, für das sie seit Jahrzehnten eintreten.

Viele Schuldige

Daraus ist am Ende kein Vorteil, sondern ein großer Nachteil erwachsen. Denn die Spitzen der Partei haben aus dem Verlauf des Wahlkampfs sehr unterschiedliche Lehren gezogen. Die einen erklären bis heute, sie hätten sich im Wahlkampf nicht prügeln lassen, um gerade einmal ein paar Jahre Verlängerung zu erhalten. Die anderen haben erlebt, dass kein anderes Thema im Wahlkampf so gefährlich gewesen ist wie die Atomkraft. Sie wären deshalb froh, wenn es bei einigen Jahren Verlängerung bliebe und das Thema dann endgültig verschwände. Daraus kann aber nichts mehr werden. Die CDU hat es nicht geschafft, den Konflikt ohne gegenseitige Verletzungen zu lösen.

Schuld an der schlechten Situation der Christdemokraten sind alle - und das macht die Lage nicht besser. Umweltminister Norbert Röttgen ist schuld, weil er sein Ressort auch zur eigenen Profilbildung früh auf die Atomkraft und kurze Laufzeiten fokussierte. Schuld daran sind seine internen Gegner wie Wirtschaftsexperte Michael Fuchs oder der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus, die ihn zu ihrer eigenen Profilbildung frontal attackierten, statt gelassen für deutlich längere Laufzeiten zu werben. Und schuld daran ist Angela Merkel, die es nicht geschafft hat, die Truppe ihrer Profilneurotiker in die Schranken zu weisen.

In der Vergangenheit ist es der CDU-Chefin mehrfach gelungen, ihre Partei durch zurückhaltende Moderation leise und ziemlich konfliktfrei auf modernere Wege zu führen. Der Konflikt um die Atomkraft dagegen ist ihr aus dem Ruder gelaufen.

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Quelle:
SZ vom 25.08.2010/jab
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