Süddeutsche Zeitung

Kanzlerin zu Coronakrise und Karriereende:"Jeder Tag zählt"

Angela Merkels politischer Abschied ist absehbar - das Ende der Pandemie nicht. Bei ihrer traditionellen Sommerpressekonferenz erzählt die Kanzlerin, wie das Coronavirus ihre Arbeit verändert.

Von Nico Fried, Berlin

Angela Merkel betritt den Saal der Bundespressekonferenz, geht zu ihrem Platz auf dem Podium und nimmt ihre schwarze Schutzmaske vom Gesicht. Sie kramt eine Plastiktüte hervor, die aussieht wie ein kleiner Gefrierbeutel, und lässt den Mund-Nasen-Schutz hineinfallen. Hygienisch einwandfrei wäre es wohl, den dafür vorgesehenen roten Rand der Tüte auch noch zu verschließen, um jegliche Kontamination der Maske zu vermeiden. Aber das ist der Kanzlerin offenkundig zu viel Fummelei, sie stopft das Päckchen einfach so in die linke Tasche.

Keine Zeit verplempern, im Kleinen als auch im Großen zieht sich das wie ein Leitmotiv durch diese Sommerpressekonferenz. Es passt sowieso zu Merkels pragmatischem Charakter - und es entspricht im 15. Dienstjahr und mit dem sicheren Ende der Kanzlerschaft vor Augen ihrem persönlichen Empfinden. "Natürlich weiß ich, dass das jetzt noch ein Jahr ist", sagt Merkel. Das bringe mit sich, "dass jeder Tag sehr zählt und man auch keinen verschwenden möchte". Was man jetzt noch erreichen wolle, zum Beispiel in der Digitalisierung oder bei der Energiewende, das müsse "sehr gut getaktet sein".

Es ist eine Pressekonferenz unter Corona-Bedingungen. Viele Stühle in der Bundespressekonferenz bleiben frei, nur 40 Journalisten wurden eingelassen, doch können alle anderen die Antworten im Livestream verfolgen und ihre Fragen digital stellen. Die Pandemie ist nicht das einzige, aber das bestimmende Thema der 90 Minuten. "Es bleibt dabei", sagt Merkel in einer minimalen Variation des Kernsatzes ihrer Fernsehansprache vom 18. März: "Es ist ernst, unverändert ernst, nehmen Sie es auch ernst."

Auf die Frage nach Fehlern in der Corona-Politik, sagt die Kanzlerin, sie finde, "dass wir bislang nach bestem Wissen und Gewissen entschieden haben". Wen sie mit "wir" genau meint, lässt sie offen. Jedenfalls habe dieses "Wir" gelernt, die Politik immer wieder der veränderten Lage anzupassen, und habe für die Bürger "einiges hinbekommen". Deshalb sei sie einstweilen mit dem Gang der Ereignisse "einigermaßen zufrieden".

Merkels politischer Abschied ist absehbar, das Ende der Pandemie nicht. Das mache auch den Unterschied zu anderen Krisen aus. In der Finanzkrise zum Beispiel habe man gewusst, wenn die Banken rekapitalisiert wären, könne man auch wieder zum normalen Wirtschaften zurückkehren. Aber mit Corona verhalte es sich anders: "Es wird nichts so wie früher, solange wir keinen Impfstoff und kein Medikament haben." Prognose der Kanzlerin, wann es so weit ist: keine.

Aufenthalte im Ausland? "Nicht immer die produktivste Zeit"

Die Pandemie hat auch Merkels Arbeiten verändert, Auslandsreisen zum Beispiel fallen aus. Ihrem Zeitgeiz kommt das sogar entgegen, Aufenthalte im Ausland seien ja "nicht immer die produktivste Zeit". Überaus positiv bewertet die Kanzlerin mittlerweile die Segnungen digitaler Besprechungstechnik: Videokonferenzen seien "eine vollkommen neue Entdeckung", so Merkel. Das gehe besser, "als ich mir das habe vorstellen können". Besprechungen mit zehn bis 15 Leuten seien "sehr intensiv und gar nicht mal schlechter, als wenn man eine längere Reise macht oder alle anderen anreisen lässt".

Die gesparte Zeit erlaube ihr gleichwohl nicht, "tagelang grundsätzlich nachzudenken, dicke Bücher zu lesen und irgendwie über die Welt von übermorgen nachzudenken". Viele der Themen, die sie stattdessen beschäftigen, kommen auch in der Pressekonferenz zur Sprache: das Verhältnis zu Russland zum Beispiel. Einerseits kommentiert Merkel die Beziehungen angesichts immer neuer Belastungen eher konsterniert, andererseits plädiert sie unverdrossen dafür, wegen vieler internationaler Fragen den Dialog mit Präsident Wladimir Putin zu erhalten.

Wie schnell Zeit vergehen kann, merkt man auch an den Fragen zu Merkels vielleicht berühmtestem Satz: "Wir schaffen das". Vor fünf Jahren sagte sie den, auch in einer Sommerpressekonferenz. Ihre Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik würde sie "im Wesentlichen" wieder so treffen, sagt Merkel. Man habe viel erreicht, aber natürlich gebe es auch noch Probleme. Erstaunlich emotionslos handelt die Kanzlerin diese Frage ab. Es wirkt, als betrachte sie auch den Blick zurück eher als Zeitverschwendung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5013929
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.08.2020/mkoh
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.