Wenn der Kanzlerin bestimmte Fragen nicht passen, dann zieht sie ihre Mundwinkel runter. Sie verdreht die Augen und lächelt dann so entwaffnet und entwaffnend, dass der Fragesteller schon weiß, was passiert. Sie wird die Frage nicht beantworten, bevor er sie überhaupt zu Ende gestellt hat.
Zum Beispiel die beiden Fragen nach ihrem Verbleib im Amt, die zwei Journalisten an diesem Freitagvormittag im vollbesetzten großen Saal der Bundespressekonferenz an sie richten.
Einer will wissen, ob sie nicht zurücktreten müsse, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reiche nach der Bundestagswahl am 27. September. Schließlich sei doch das die Konstellation, für die sie kämpfe. Der ironische Unterton war kaum zu überhören. Ein anderer mutmaßt, dass dies ihr letzter Auftritt vor der Bundespressekonferenz sein könnte. Deshalb will der Reporter wissen, was ihr größter Fehler und größter Erfolg in den vergangenen vier Jahren gewesen sei.
Angela Merkel guckt, als hätte gerade jemand ernsthaft die Möglichkeit erwogen, Marsmännchen könnten nach der Wahl die Regierungsgeschäfte übernehmen. Sie nicht länger Kanzlerin? Das ist das Letzte, worüber sie hier sprechen will.
Mit zwei Anliegen ist sie hergekommen. Sie will über den anstehenden G20-Gipfel in Pittsburgh reden und sich ansonsten zu allgemeinen innenpolitischen Themen, also Wahlkampfthemen, äußern. Sie fängt mit Pittsburgh an, referiert sachlich über die dort zu beschließenden Konsequenzen aus der Finanzkrise. Das klingt alles so selbstverständlich, als gäbe es gar keine Wahl am übernächsten Wochenende.
Pittsburgh wird ihr viele positive Bilder bescheren. Der Event kommt wahlkampfmäßig zum richtigen Zeitpunkt.
Und am Sonntag geht es um eine Frage: Schwarz-Gelb oder wieder große Koalition. Mehr Optionen stehen nach Lage der Dinge nicht ernsthaft zur Debatte, weil alle anderen Parteien sich gegenseitig blockieren. In beiden Fällen bleibt Angela Merkel Kanzlerin. Das muss ein beruhigendes Gefühl sein.
Vielleicht deshalb wirkt sie so entspannt - obwohl vielen ihrer Parteifreunde an den Infoständen angesichts des stetig schmelzenden Umfragevorsprungs langsam mulmig wird. Als beherzte Kämpferin für ein schwarz-gelbes Projekt jedenfalls, als die CSU-Chef Horst Seehofer sie inzwischen gerne sähe, zeigt sich Merkel auch in diesen eineinhalb Stunden vor der Hauptstadtpresse nicht.
Klar, mit der FDP wäre es besser, sagt sie, weil mit ihr eine stringentere Wachstumspolitik inklusive Steuersenkung möglich sei. Aber dass mit der SPD nun gar nichts mehr möglich sei, sagt sie auch nicht. Dafür lobt die Regierungschefin zu sehr die erreichten Ziele der großen Koalition, im Mittelpunkt die Krisenbewältigung.
Stundenlang könne Angela Merkel über die Erfolge sprechen, sagt sie. Misserfolge? Hat es in ihrem Weltbild nicht gegeben.
Für Merkel bieten die Liberalen wohl einfach nur eine schöne Gelegenheit, endlich durchzuregieren - allerdings so, wie sie es will. Die Dame im weißen Jackett deklamiert jetzt schon mal ein klares "Nein" zum Bau neuer Atommeiler.
Jedenfalls macht sie der FDP ziemlich unverhohlen klar, wer was zu sagen haben wird in einer schwarz-gelben Koalition. Sie könne den Menschen versichern, dass die FDP mit ihrer Sozialpolitik nicht durchkommen werde, sagt Angela Merkel, die einstige neoliberale Generalreformerin.
Die FDP setzt mit ihrem Wahlprogramm unter anderem auf eine Lockerung des Kündigungsschutzes und eine breite Privatisierung der Sozialkassen. In allen bisherigen Koalitionen mit der FDP sei "deutlich geworden, wer der große Partner ist", erklärt Merkel - und sie werde dafür sorgen, "dass wir den Weg der Mitte fortsetzen wollen".
Also Merkel als Köchin und FDP-Chef Guido Westerwelle als Kellner? Merkel: "Ich werde auch als Koch auftreten, ansonsten trete ich schon als Merkel auf." Vor allem letzteres darf Westerwelle durchaus als Drohung aufnehmen.
Die SPD kommt da auch nicht schlechter weg. Im Gegenteil: "Das war eine stabile große Koalition", sagt die 55-Jährige noch einmal. Am kommenden Montag schon werde sie sich mit SPD-Finanzminister Peer Steinbrück wieder gemeinsam vor die Presse stellen, um den G20-Gipfel mit der Öffentlichkeit zu besprechen. Dass der heute nicht da ist, sei übrigens ihrer akuten "Mischanwesenheit" zu verdanken. Sie sei auf Einladung der Bundespressekonferenz hier und wolle den Journalisten neben Wahlkampfthemen auch ein paar handfeste Fakten zu Pittsburgh mit auf den Weg geben.
"Mischanwesenheit" - auch so eine schöne Merkel-Wortschöpfung. Sie beschreibt ziemlich gut ihr Verhältnis zur FDP. Mit den Liberalen säße sie nicht nur als CDU-Vorsitzende im Boot, sondern auch als gefühlt erste sozialdemokratische Kanzlerin.
Die Ehre mit Merkel einen gemeinsam Termin zu haben, ist Guido Westerwelle in diesem Wahlkampf nicht zu Teil geworden. Merkel vermied es bisher, sich mit dem FDP-Chef gemeinsam zu präsentieren. Dahinter könnte Strategie stecken: Bloß nicht jene unentschlossenen Wähler verschrecken, die zwischen SPD und CDU wanken, aber Westerwelle partout nicht in der Regierung sehen wollen.
Um die eigene konservative Klientel zu beruhigen, stellt die Ober-Konservative wenigstens eine "Zerrissenheit" der SPD in der Fragefest, wie es weiter geht mit einem Linksbündnis. Das soll reichen um den Eindruck zu erwecken, die SPD werde sich womöglich innerhalb der nächsten vier Jahre in ein rot-rot-grünes Bündnis flüchten, wenn es zunächst doch nur für eine große Koalition reicht.
Das reicht der konservativen Klientel zwar nicht als Abgrenzungsstrategie zur SPD, was an zahlreichen Wortmeldungen des wirtschaftsliberalen Flügels der Union in den vergangenen Tagen abzulesen ist. Aber Merkel kann sicher sein, dass auch ihre innerparteilichen Kritiker zur Wahl gehen werden. Schon allein, um die von ihr nicht völlig ungeliebte große Koalition zu verhindern.
Eine Journalistin fragt, ob ihr etwas gefehlt habe in den vergangenen vier Jahren als Kanzlerin - privat, politisch, wie auch immer. Angela Merkel hätte jetzt sagen können, dass die SPD sie oft nicht hat machen lassen, wie sie wollte, dass es deshalb gut für das Land gewesen wäre, mit der FDP zu regieren. Stattdessen sagt sie, dass mal "ne Stunde länger schlafen" kein Fehler wäre.
Und dass ja fast jeder auf der Straße sie erkennt. Die Folge: Fast jeder will ihr helfen, wenn sie beim Einkaufen mal ratlos vor einem Regal stehe. Das sei nett, könne aber auch anstrengend sein. "Willste ´ne Büchse Artischocken kaufen, kommt sofort die Frage: 'Was? Sie kaufen Artischocken aus der Büchse?'", erzählt die Kanzlerin über ihre Leiden des Alltags.
Artischocken sind also ihr Gemüse. Nicht unwahrscheinlich, dass sie solche Dinge tatsächlich mehr umtreiben, als die Frage, mit wem sie nach dem 27. September am Kabinettstisch sitzen wird. Hauptsache, sie sitzt in der Mitte.