Süddeutsche Zeitung

Angela Merkel:Merkel tritt wieder an - weniger aus Lust denn aus Pflicht

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Sie setzt im Personellen fort, was sie im Politischen angerichtet hat: Es gibt keine Alternative in der CDU.

Kommentar von Heribert Prantl

Bei Bismarck war es so: Anfangs hatten ihn die Zeitgenossen unterschätzt. Später machten sie das wett, indem sie ihn überschätzten. Bei allem, was er dann tat, unterstellte man ihm überlegenes, strategisches Raffinement. So schreibt es sein höchst kritischer Biograf Edward Crankshaw über Bismarcks 19 Regierungsjahre an der Spitze des Deutschen Reichs. Wenn man die Kommentare und Bewertungen zu Angela Merkels bisherigen elf Regierungsjahren an der Spitze der Bundesregierung verfolgt, kann man den Eindruck haben: 130 Jahre später ergeht es den Zeitgenossen ähnlich mit der erst schwarz-roten, dann schwarz-gelben und dann wieder schwarz-roten Kanzlerin.

Barack Obama, der scheidende US-Präsident, hat sie jüngst gar zu seiner Erbin ausgerufen - zur Verteidigerin des freien Westens, der Aufklärung und ihrer Grundwerte. Mit der Last eines solchen Erbes kann man eigentlich nur scheitern. Wird Merkel überschätzt? Es ist ihr jedenfalls viel aufgebürdet. Eigentlich nicht von Obama, sondern von den Zeitläufen.

Das politische Testament des US-Präsidenten kann ohnehin keine Erbfolge regeln; Erbfolge in Führerschaft gibt es nicht. Das Obama-Testament war ein Ausdruck besonderer, im Lauf der Jahre gewachsener Wertschätzung. Sie hat sich aus ursprünglich gegenseitiger Unterschätzung ergeben. Angela Merkel ist Staatsfrau in einer Zeit, in der die Zukunft voller Fragezeichen steht. Keiner weiß, aber viele ahnen, was vom neuen US-Präsidenten zu erwarten ist. Weltweit sind die Furien des Nationalismus wieder entfesselt. Europa und die USA scheinen zu torkeln. Merkel tritt wieder an - weniger aus Lust denn aus Pflicht.

Merkel wäre vor sich und ihrem Pflichtgefühl davon gelaufen, hätte sie in dieser Situation nicht ihre Bereitschaft zur vierten Kanzlerschaft angekündigt. Sie verkörpert Regierungswissen, Regierungserfahrung, Seriosität und Solidität. Das leugnen auch ihre politischen Gegner nicht. Nach allem, was man hört, stand diese Entscheidung nicht so felsenfest fest, wie man allgemein glaubte. Merkel erlebte und erlebt die Attacken von Horst Seehofer und der CSU gegen ihre Flüchtlingspolitik und ihre Person als zermürbend. Sie fragte sich selbstkritisch, was ihre Partei von ihr noch wollen und kriegen kann.

Merkel hat in den vergangen Jahren immer wieder davon geredet, dass es zu den schwierigsten Entscheidungen gehört, den richtigen Zeitpunkt für das Aufhören zu finden. Die Kanzler der Bundesrepublik haben diesen Zeitpunkt bisher selten gefunden. Schon der erste, Konrad Adenauer, fand ihn nicht. Und Helmut Kohl, unter dessen Kanzlerschaft Angela Merkel ihre ersten politischen Schritte getan hat, fand ihn auch nicht. Bei Angela Merkel wäre, wären die Zeiten normaler , nach drei Legislaturperiode die richtige Zeit für das "Danke, das war's" gewesen. Aber die Zeiten sind nicht normal. "Was aber ist deine Pflicht?", fragte Goethe. "Die Forderung des Tages".

Man kann es auch ohne alles zeitgeschichtliche Pathos sagen, ohne die Obama'schen Avancen. Dann bleibt dieses: Ihre Partei, die CDU, hatte und hat keine andere Kandidatin und keinen anderen Kandidaten, den sie mit der Aussicht auf Erfolg hätte aufstellen können. Merkel ist, wie es aussieht, in ihrer Partei derzeit durch niemand zu ersetzen. Es ist dies eine Situation, die im Personellen das fortsetzt, was Merkel im Politischen angerichtet hat: Es gibt keine Alternative. Das war ihre Argumentation für ihre Politik bei der Euro-Rettung. Überzeugt hat sie damit bekanntlich nicht.

Früher hieß es über die Kanzlerin: Wer sie unterschätzt, hat schon verloren. Womöglich ist es jetzt so, dass verliert, wer sie überschätzt, wer zu viel von ihr erwartet, wer ihr zu viel auflädt. Das zumindest wird die Hoffnung der SPD sein im nun beginnenden Wahlkampf.

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