Angela Merkel:Klassentreffen in der Uckermark

German Chancellor Angela Merkel receives honorary citizenship from her home town Templin

Ehrenbürgerwürde mit Torte: Angela Merkel wird von Templins Bürgermeister Detlef Tabbert (ganz links) geehrt.

(Foto: Axel Schmidt/Reuters)

Merkels Heimatstadt Templin macht die Kanzlerin zur Ehrenbürgerin. Es kommen Weggefährten aus der Schulzeit, aber auch ungebetene Gäste.

Von Jens Schneider, Templin

Es ist keine leichte Aufgabe, die Bodo Ihrke an diesem Abend in Templin aufgetragen bekommen hat. Seit gut fünfzig Jahren schon kennt er Angela Merkel. Sie haben zwölf Jahre lang hier zusammen die Schule besucht, und nun steht er auf der Bühne des Multikulturellen Centrums und hält die Laudatio auf die "sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin", die an diesem Abend die Ehrenbürgerwürde der Stadt Templin erhält. Er spricht von ihren Verdiensten als Politikerin, von ihrem guten Ruf im Ausland, von ihrem Einsatz für Geflüchtete. "Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer klaren Haltung, auch die Not und Unterdrückung anderer Menschen zu sehen und ihnen unsere klare Unterstützung zuzusagen", sagt Ihrke, ein Sozialdemokrat, der lange Jahre Landrat im Kreis Barnim in der Nachbarschaft war. Seine Rede klingt würdig und angemessen, aber besonders wird sie erst, als Ihrke diese Rolle verlässt und, endlich, vor all den Schulkameraden von früher, auch den betagten Lehrern seine Rolle verlässt und seine frühere Schulgefährtin und Freundin anspricht: "Liebe Angela!"

Nun erzählt er, wie die heutige Kanzlerin damals in ihrer Schulzeit oft vorweg gegangen sei, und wie er sich jetzt daran erinnern musste, wie es war, als er sie dann in der Umbruchzeit 1989 im Fernsehen sah. "Typisch Angela" habe er da gedacht: "Sie rennt schon vorweg, und wir sitzen noch auf der Couch." Ihn habe das auch selbst dazu gebracht, sich politisch zu engagieren. Es ist ein familiärer Moment, so viele alte Bekannte treffen sich hier.

Auch für die Kanzlerin scheint es ein besonderer Abend zu sein. Das ist ihrer Stimme anzumerken, als sie nun in ihrer Dankesrede sagt, sie sei "auf eine ganz bestimmte Weise ein wenig aufgeregt". Merkel erzählt nun von ihrer besonderen Verbindung zur Uckermark, zu Templin. Sie sei ja erleichtert, dass der alte Schulfreund Bodo sie am Ende nicht nur als Kanzlerin angesprochen habe. Sie erinnert an ihre Schulzeit, die eine Jugend in einem ganz anderen politischen System war, das die heutige Jugend nur noch aus Schulbüchern kennt. Und dann spricht sie davon, dass oft vergessen werde, dass das eine das politische System war, das andere das private Leben. Und dieses Leben "war viel mehr", sagt sie, "eine sehr, sehr schöne Kindheit". Freundinnen aus dieser Zeit sind da, der einstige Mathelehrer und ihre Russischlehrerin. Die Bundeskanzlerin spricht ihre Lehrerin in alter Verbundenheit kurz auf Russisch an. Das Wichtigste ließe sich in einem Satz zusammen fassen, sagt sie schließlich: "Templin und die Uckermark sind meine persönliche Heimat und werden es auch immer bleiben."

Merkel wurde zwar 1954 in Hamburg geboren und ihren Wahlkreis als CDU-Bundestagsabgeordnete hat sie hoch im Norden in Vorpommern, geprägt wurde sie aber in der weiten, dünn besiedelten Uckermark. Hierhin zog die Familie, als Merkel drei Jahre alt war. Ihr 2011 verstorbener Vater Horst Kasner war Pfarrer, er leitete am Stadtrand ein Seminar der evangelischen Kirche. Ihre 90-jährige Mutter Herlind Kasner wohnt bis heute in Templin, sie ist an diesem Abend auch da. Sie ist Lehrerin für Latein und Englisch, durfte aber zu DDR-Zeiten nicht unterrichten. Seit der Wiedervereinigung gibt sie Englischkurse an der Volkshochschule in Templin, ein eingeschworener Haufen komme seit dieser Zeit immer weiter zu ihrem Kurs, erzählt sie in einem kurzen Gespräch vor dem Festakt.

Es hat einige Zeit gedauert, bis die Stadt Templin und Angela Merkel für diesen Abend zueinanderfanden. Schon im letzten Sommer hatte die Stadtverordnetenversammlung von Templin entschieden, dass die Kanzlerin zur Ehrenbürgerin ernannt werden soll. Dabei gab es auch Kritiker: Manche fanden, die Kanzlerin habe doch nicht viel für die Stadt getan - und auch nicht für den Osten. Im Internet empörten sich einige. Es ging um Merkels Flüchtlingspolitik. Unter dem Titel "Nicht meine Ehrenbürgerin - nicht meine Kanzlerin" demonstrierten einige Dutzend Menschen draußen vor den Türen.

Die Mehrheit im Stadtrat war aber am Ende deutlich. 20 der 29 Stadtverordneten stimmten für die Ehrung. Vor rund 120 Ehrengästen überreichte Bürgermeister Detlef Tabbert, er gehört der Linkspartei an, der Kanzlerin am Freitagabend die Urkunde. Auch ein früherer Lehrer Merkels war unter den Gästen, der 79-jährige Hans-Ulrich Beeskow, er leitete zu DDR-Zeiten den Klub für "Junge Mathematiker" im Kreis. "So ein begabtes Mädchen" sei ihm nie wieder begegnet, hat er einmal über sie gesagt.

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