Angela Merkel:Die Anführerin der freien Welt - und ihr Programm

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Tritt sie wieder an? Um 19 Uhr will sich Angela Merkel erklären. (Foto: REUTERS)
  • Internationale Politiker und Medien rühmen Kanzlerin Merkel als Verteidigerin westlicher Werte.
  • Die CDU-Chefin will erneut als Kanzlerin und als Parteichefin kandidieren.
  • In einem Entwurf des Leitantrages für den Bundesparteitag stellt sich die CDU gegen die AfD.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Am Sonntagabend wird es offiziell. Für 19 Uhr hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Pressestatement angekündigt, ohne ein spezielles Thema zu nennen. Sie wird dann aber erklären, dass sie zur Bundestagswahl 2017 wieder antritt, sich also für eine vierte Amtszeit bewirbt.

Nach der Wahl von Donald Trump ins Weiße Haus ist das keine Frage mehr, die Deutschland alleine berührt oder auch nur Europa. Merkel ist zur vielleicht wichtigsten Führungspersönlichkeit der freien, liberalen Welt geworden. Timothy Garton, Kommentator der britischen Tageszeitung Guardian, schrieb kürzlich, der Begriff "Anführer der freien Welt" sei eigentlich dem Präsidenten der Vereinigten Staaten vorbehalten. Er sei nach Trumps Erfolg hingegen "versucht zu sagen, dass der Anführer der freien Welt Angela Merkel ist".

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Die New York Times beginnt eine Analyse über Merkels Rolle im Trump-Zeitalter mit den Sätzen: "Und dann war es nur noch eine. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel wurde nach der Wahl von Donald Trump zur letzten, mächtigen Verteidigerin Europas und der transatlantischen Allianz."

In den Niederlanden schreibt das eher konservative NRC Handelsblad: "Mehr Trump heißt mehr Merkel." Und in einem weiteren Text: "Deutschland und Merkel entwickeln sich zu den Fahnenträgern der westlichen Werte." Selbst die linke taz aus Deutschland erkennt, Merkel werde "plötzlich zur wichtigsten Staatschefin der freien, demokratischen und liberal aufgestellten Welt".

Ein deutsches Bollwerk gegen all das, wofür Trump steht

Merkel wird diese Rolle nicht mögen. Sie wird damit auf ein Podest gehoben, auf dem sie nicht stehe möchte. Merkel glaubt an Zusammenarbeit, an Kompromisse, an Dialog. Nicht an das Modell eines einsamen Anführers, der die Geschicke der Welt lenkt.

In diese Rolle hat sie sich allerdings auch selbst gebracht. Am Tag nach der US-Wahl stellte sie sich vor die Presse und diktierte dem gewählten Präsidenten Trump Bedingungen für eine gute Zusammenarbeit. Deutschland und Amerika seien durch Werte wie Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen verbunden. "Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an."

Merkels Sätze gingen um die Welt. Im liberalen Teil der USA muss es geklungen haben, als baue Merkel gerade mit schwerem Gerät ein Bollwerk gegen den Hass, gegen Frauen- und Fremdenfeindlichkeit; gegen all das, wofür Trump steht. Kein anderer europäischer Staatschef hat den Anspruch so deutlich formuliert, nicht bereit zu sein, elementare Grundwerte im Kampf gegen den Populismus von rechts zu opfern.

Das zeigt sich auch in dem Entwurf eines Leitantrages für den CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember in Essen. Bevor sich Merkel an diesem Sonntag erklärt, kommt in Berlin im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale, der Bundesvorstand zu einer zweitägigen Klausur zusammen. Dort soll über den Entwurf beraten werden. Der Antrag wird wohl die Grundlage für das Wahlprogramm der CDU sein. Und damit der Generalplan dafür, wie die CDU unter Merkel die Wähler der rechtspopulistischen bis -extremen AfD für sich gewinnen will.

Der bisher unveröffentlichte Entwurf, der SZ.de vorliegt, verspricht, auf vermeintlich "einfache" Lösungen zu verzichten. "Populismus, Abschottung nach außen, Protektionismus und die Spaltung der eigenen Gesellschaft sind keine Antworten auf die drängenden Probleme von Gegenwart und Zukunft." Die Versprechen einfacher Lösungen "gefährden den inneren und äußeren Frieden". Die CDU sei eine Wertepartei. Sie stehen für eine "freie, offene, solidarische und pluralistische Gesellschaft".

Ganz ausdrücklich bekennt sich die CDU zur "Achtung der Würde jedes einzelnen Menschen" und zu den daraus folgenden Grund- und Menschenrechten. Sie bejaht den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, bekennt sich zur sozialen Marktwirtschaft, zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union, zum transatlantischen Bündnis, zur Nato und zum Existenzrecht Israels.

In normalen Zeiten wäre das überflüssig zu betonen. Aber mit Trump sind die normalen Zeiten erst mal vorbei. Viele Menschen erwarten mit seinem Wahlsieg auch eine Stärkung des europäischen Rechtspopulismus. Die AfD springt auf den Zug auf. Das CDU-Papier ist an diesen Stellen deshalb auch ein Anti-AfD-Papier. Ein Papier, mit dem die CDU - geführt von Merkel - die freie und liberale Welt verteidigt.

Gelockt werden sollen die Wähler der AfD allerdings mit anderen Dingen: Neue "finanzielle Spielräume" sollen etwa zu je einem Drittel verwendet werden für...

  • ... Entlastung mittlerer und unterer Einkommen. Insbesondere für Familien. Kinder sollen sich mehr als bisher positiv in der Steuererklärung auswirken.
  • ... Ausbau der Infrastruktur.
  • ... "Erfüllung der außen- und sicherheitspolitischen Aufgaben". Heißt wohl: Mehr Geld für die Bundeswehr.

Die ersten beiden Punkte sollen jene ansprechen, die sich abgehängt fühlen im Land. Einen kleinen Haken hat das allerdings: Die CDU sagt nicht, wie groß diese "neuen finanziellen Spielräume" sind.

Der Entwurf greift sogar einen Begriff auf, den auch die neue Rechte gerne verwendet: Den der "Identität". Er wird allerdings in den Zusammenhang von "Zusammenhalt und Identität" gesetzt, wie ein Kapitel überschrieben ist. Menschen mit Migrationshintergrund werden mit eingebunden. Aber sie sollten sich klarmachen, dass Sie Teil einer "Schicksalsgemeinschaft" sind, heißt es in dem Papier.

Muslime sind "willkommen und geschützt"

AfD-Wählern wird weniger schmecken, was in dem Entwurf zur Frage des Islam steht: "Die Ausübung des muslimischen Glaubens ist in Deutschland selbstverständlich, willkommen und geschützt." Allerdings werde der "Missbrauch des Islam für Hass, Gewalt, Terrorismus" mit allen friedlichen Muslimen gemeinsam abgelehnt. Ein grundsätzliches Burka- oder Hidschab-Verbot soll es nicht geben. Vollverschleierung vor Gericht und Behörden aber müsse "ebenso verboten werden wie die Eheschließung mit Minderjährigen".

Die AfD hingegen lehnt den Islam grundsätzlich ab. "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", heißt es im Grundsatzprogramm der AfD.

In der Flüchtlingspolitik weicht die CDU nicht von ihrer bisherigen Linie ab. Die sei "erfolgreich" gewesen. Die Zahl der nach Deutschland Flüchtenden sei stark reduziert worden, aus vielerlei Gründen. Eine Obergrenze wird nicht erwähnt. Die CDU wolle sich jetzt stattdessen "verstärkt der Beschleunigung von Verfahren und der Rückführung abgelehnter Asylbewerber" zuwenden.

Merkel setzt mit dem Entwurf darauf, dass Standhaftigkeit belohnt wird. Dass sie so bessere Chancen im Wahlkampf hat als mit einer Kehrtwende. Bleibt noch die Frage, ob sie selbst diese Standhaftigkeit hat. Oder ob sie am Sonntag bei ihrem Auftritt den Platz für einen anderen Kanzlerkandidaten freimacht. Letzteres ist unwahrscheinlich und wäre sehr überraschend. Nach einer Umfrage für das Magazin Stern wünschen sich 59 Prozent der Deutschen, dass Merkel wieder antritt. Und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte am Samstag auf einer Parteiveranstaltung in Leipzig: "Wir erwarten, dass Merkel am Sonntag das sagt, was jeder weiß: Dass sie die CDU in den nächsten Wahlkampf führt." Da kann sie doch eigentlich nicht Nein sagen, oder?

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