Angela Merkel:Der paradoxe Aufstieg der Kanzlerin

Angela Merkel geht mit Vorsprung in den Wahlkampf. Ihre Beliebtheit verdankt sie der Erleichterung, dass es mit ihr nicht so schlimm kam wie befürchtet.

N. Fried

Das war's! Der 16. Bundestag hat am Freitag zum 231. Mal getagt. Es war die letzte ordentliche Sitzung, nur zwei Sondersitzungen stehen noch aus. Mit dem Parlament als Ganzes ist auch die große Koalition ins Ziel gelangt. Sie hat damit die Legislaturperiode so gut wie überstanden, was die individuelle Finanzkrise einiger Wettfreunde verschlimmern dürfte, die daran nicht glauben wollten.

Angela Merkel, Getty Images

Angela Merkel geht als Kanzlerin mit einem gewaltigen Vorsprung in den Wahlkampf.

(Foto: Foto: Getty Images)

Die schwarz-rote Regierung hat sich am Anfang zusammengerauft und eine Zeitlang nur noch gerauft; am Ende wurde sie von den äußeren Umständen zusammengehalten. Daraus ist dem Land einstweilen kein Schaden entstanden, auch wenn man die endgültige Bilanz vor allem ihrer Krisenbekämpfung erst ziehen kann, wenn es diese Koalition möglicherweise nicht mehr gibt.

War's das? Angela Merkel geht als Kanzlerin mit einem gewaltigen Vorsprung in den Wahlkampf. Ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier erinnert derzeit gerne daran, dass im Juli vor vier Jahren die Umfragen ähnlich standen, bevor die SPD zur Aufholjagd startete. Aber er verschweigt, dass dies die einzige Parallele zu 2005 ist.

Mehr als nur ein Funken Wahrheit

Die SPD stellte damals den Kanzler, einen Kämpfer, der sich nicht vom Hof jagen lassen wollte. Und die Union hatte eine Kandidatin, die nicht nur den Wählern ziemlich fremd war, sondern sogar ihren eigenen Gefolgsleuten. Jetzt will ein Sozialdemokrat Kanzler werden, der in der Rolle des Kandidaten immer noch nicht angekommen ist. Und Merkel verteidigt ihr Amt mit einem Bonus, wie ihn früher nur Außenminister hatten.

Merkels persönliche Werte sind eines der erstaunlichsten Ergebnisse dieser Regierungszeit. In der Fernseh-Elefantenrunde am Wahlabend 2005 tönte Gerhard Schröder, die Wähler hätten sich in der Kandidatenfrage für ihn und gegen Merkel entschieden. So viel Unsinn der Bald-Alt-Kanzler an jenem Abend redete - in dieser Aussage steckte doch mehr als nur ein Funken Wahrheit. Mittlerweile aber haben sich die Deutschen an diese ungewöhnliche Kanzlerin gewöhnt. Es ist ihr gelungen, aus der weit verbreiteten Skepsis gegen sich einen Vorteil zu machen: Weil viele ihr so wenig zutrauten, konnte Angela Merkel die Erwartungen leicht übertreffen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, worauf Merkels Beliebtheit aufbaut.

Popularität paradox

Außenpolitisch zum Beispiel hatte die Kanzlerin bei Amtsantritt nur ihr missglücktes Auftreten in der Irak-Krise vorzuweisen. Ausgerechnet in der Außenpolitik kam sie dann jedenfalls medial groß raus. Merkel hat diesen Erfolg zu etwa gleichen Teilen ihrer Arbeit, guter Inszenierung, aber auch der Erleichterung zu verdanken, dass es mit ihr nicht so schlimm kam, wie man befürchtet hatte.

Unbeholfenheit als Stilmittel

Als Innenpolitikerin kam ihr auf andere Weise dasselbe Phänomen zugute: Merkel profitiert heute davon, dass sie ihre radikal-reformerischen Vorstellungen vom Leipziger CDU-Parteitag nicht umsetzen durfte, weil die SPD sie als Koalitionspartner daran hinderte.

Merkels großes Glück im Jahre 2005 war die Tatsache, dass ihr die schwarz-gelbe Koalition nicht gelang, weshalb sie jetzt auch nur pflichtschuldig, aber leidenschaftslos behauptet, dieses Bündnis mit den Liberalen erneut anzustreben. Die Kanzlerin war gezwungen, sich in der Mitte zu positionieren, die sie nun als ihre politische Heimat bezeichnet. Wieder kam alles nicht so schlimm, wie es zu vermuten war. Popularität paradox.

Die Anpassungsfähigkeit der Politikerin Merkel hilft ihr auch in der öffentlichen Wahrnehmung als Person. So hat die Kanzlerin ihren Ruf als schlechte Rednerin in vier Regierungsjahren nicht mindern können. Auch hier sind die Erwartungen so gering, dass sie mit drei Pointen, von denen sie eineinhalb nur mit Mühe über die Rampe bringt, schon eine für ihre Verhältnisse unterhaltsame Rede hält.

Also hat sie die Unbeholfenheit als Stilmittel entdeckt: Merkel macht inzwischen Scherze darüber, dass über ihre Scherze niemand lacht. Die Sympathie, die sie dadurch gewinnt, ist nur auf den ersten Blick unpolitisch: Sympathie ist eine Vorstufe des Vertrauens. Und Vertrauen ist für viele Wähler eine entscheidende Kategorie.

Merkels Popularität ist aber auch Ausdruck einer gescheiterten SPD-Strategie. Als die große Koalition entstand, glaubten Gerhard Schröder und Franz Müntefering, sie könnten Merkel so eng einkreisen, dass ihr politisch am Ende keine Luft mehr bliebe. Die SPD diktierte die Bedingungen für den Koalitionsvertrag, machte sich mit acht Ministern am Kabinettstisch breit und hielt Merkel für eine Kanzlerin von sozialdemokratischen Gnaden.

Jetzt plötzlich kämpft die SPD darum, dass ihr Anteil an der gemeinsamen Regierung überhaupt wahrgenommen wird. Wie Galeerensklaven versuchen sich die Sozialdemokraten von den Rudern zu befreien, mit denen sie vier Jahre lang das Schiff vorangetrieben haben.

Die Galeerensklaven von der SPD

Der Kanzlerkandidat steht stellvertretend für dieses Ringen um Anerkennung. Steinmeier nimmt für sich in Anspruch, das große Konjunkturpaket entworfen, Regeln für die Finanzmärkte vorgeschlagen und einen Investor für Opel gefunden zu haben. Er will damit sagen, dass er die Arbeit geleistet hat, die andere hätten leisten müssen - der Wirtschaftsminister zum Beispiel oder der Kanzleramtsminister.

Was Steinmeier hingegen nicht beantwortet, ist die Frage, warum man eine Regierungschefin abwählen sollte, die einen so fleißigen Vizekanzler hat. Das überzeugende Argument, was er besser könnte als Merkel, hat Steinmeier bisher noch nicht gefunden.

Nur einmal, auf dem SPD-Parteitag, erweckte Steinmeier bisher den Eindruck, dass er den Kampf annehmen will. Seither sind drei kampflose Wochen vergangen. Keine drei Monate vor der Wahl geht die SPD großzügig mit ihrer Zeit um. Der Kandidat selbst hat zuletzt bedauert, dass die Sozialdemokraten den Schwung des Parteitages nicht mitgenommen hätten. Das zu bewirken wäre aber seine Aufgabe.

Sinn für die Realität

Fast über die ganze Dauer der großen Koalition hinweg hat die SPD der Kanzlerin immer wieder vorgeworfen, sie führe nicht. Jetzt fällt dieser Vorwurf auf einen Kandidaten zurück, der angeblich das Land führen will, sich aber schon in der eigenen Partei mit dieser Aufgabe schwer tut.

Merkels größtes Risiko bis zum 27. September besteht - abgesehen von Horst Seehofer - darin, dass sie und die Union der Versuchung erliegen, den Vorsprung nur über die Zeit retten zu wollen. Die jüngste Diskussion um die Steuerpolitik hat deutlich gemacht, dass Merkel schon jetzt das Ungefähre für ungefährlich hält. Deshalb bietet sie auch in ihrem Wahlprogramm keine konkrete Politik, sondern behauptet das nur.

Die Bevölkerung aber beweist Sinn für die Realität: Die Bürger halten mehrheitlich trotz des Dementis der Kanzlerin Steuererhöhungen für wahrscheinlicher als die von ihr versprochenen Steuersenkungen. Man könnte das als Signal werten, dass Popularität eine Menge wert ist, aber Politik nicht ersetzen kann. Und dass darin eine Chance für den Kandidaten Steinmeier steckt - nicht die letzte, sondern die allerletzte.

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