Angela Merkel:Das Ende der Flitterwochen

Kurz nach der Wahl waren die meisten Medien Angela Merkel noch wohlgesonnen. Jetzt ist die Schonfrist vorbei: Man attackiert, kritisiert und ätzt schonungslos. Die Kanzlerin setzt auf eine Sommer-Offensive.

Hans-Jürgen Jakobs

Es waren große Worte. Worte für eine bessere Zukunft: "Jetzt geht es los. Der Anstoß zur Fußball-Weltmeisterschaft steht unmittelbar bevor", sprach sie im obligatorischen, etwas engen roten Arbeitskostüm.

Angela Merkel bei der WM, dpa

Angela Merkel beim Spiel Deutschland gegen Argentinien. Die WM war das erste Thema ihrer wöchentlichen Videobotschaften ans Volk.

(Foto: Foto: dpa)

Offenbar war der nahende Hauch der Geschichte so stark, dass ein optimistisches Lächeln unterblieb. Das war, am 8. Juni, der erste (ernste) Auftritt der Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer wöchentlichen Video-Serie, die sich das Wahlvolk von der Bundeskanzlerin-Internetseite herunterladen kann.

Die Jetzt-geht-es-los-Ruckrede hat Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye (SPD) zwar als "steif und freudlos" kritisiert und gemeint, "das war ja so, als ob das Grauen einen Namen hat" - doch noch nie wurde ein Video-Podcast so oft abgerufen.

Die Frau in Rot hat auch in den Wochen danach in 2:50-Minuten-Soundbytes Themen wie Elterngeld, Gesundheitspolitik und Föderalismusreform erklärt. Dass eine wirklich runde Sache nur der Fußball ist, hat die Videoverkünderin aber schon lange begriffen - und deshalb ihre individuelle WM-Vorbereitung in Bild am Sonntag erklärt.

Keiner denkt mehr an "Acker"

Im Netz hat sie eine Fotoserie ("Die WM der Kanzlerin") aufgelegt, die sie noch mal im Kreis der Großen zeigt, auf den Tribünen in Berlin und Dortmund. Mit Franz Beckenbauer, dem "Kaiser", hat sich die Oberste der Republik, freudetrunken über den deutschen Sieg, sogar umarmt.

Wer dachte da noch an "Acker", wie Vorgänger Gerhard Schröder wegen seiner Fußballkünste genannt wurde, an jenen "Medienkanzler" also, der das WM-Turnier sicherlich mit einigen Spannschüssen für die Fotografen bereichert hätte? Die Metamorphose der unsportlichen Kanzlerin in einen Kicker-Fan war auch eine Art WM-Sensation.

"Angie" bangend, jubelnd, hüpfend, geradezu herausbrüllend aus der zugeknöpften Bekleidung, die zuweilen wie eine Zwangsjacke wirkte - das schien jenes Sympathiepotenzial zu sichern, das durch all die unpopulären Maßnahmen wie Erhöhung von Steuern und Krankenkassenbeiträgen gefährdet ist.

"Sie ist den Menschen sicherlich näher gekommen", sagt einer ihrer Berater. Und so geht es der Kanzlerin in den kommenden Sommerwochen darum, das Hoch-Gefühl der bunten Fifa-Tage hinüberzuretten in den dunklen Herbst, in dem nörgelnde Oppositionspolitiker, machtbewusste Parteifreunde, unzufriedene Bürger und eine hämischer werdende Presse ihr vermutlich zusetzen werden. Geplant ist eine Medienkampagne. Sie begann am Freitag mit einem großen Interview im Boulevardblatt Bild.

Friedhof für Däumlinge

Tatsächlich hat sich in den sechs Monaten seit Amtsantritt der Wind in den Medien gedreht. Die Blätter aus ihrem konservativen Lager - wie Bild ("Schlimmste Steuererhöhung aller Zeiten") - sowie traditionell eher linksliberale Zeitschriften, die nach Rot-Grün auf eine Wende hoffen, sind unzufrieden.

Die Flitterwochen dauerten im Fall Merkel vielleicht länger als gewöhnlich - doch nun, nach den außenpolitischen Präsenzerfolgen der Anfangszeit, nach den Handkuss-Bildern mit Jacques Chirac und den White-House-Lächeleien mit George W. Bush, wird der Ton scharf bis schneidend.

Der Berliner Stern-Bürochef Hans-Ulrich Jörges beispielsweise analysierte Mitte Juni, Merkels große Koalition sei für die Medien ein "glattes Minusgeschäft": Es werde "weder Politik noch Charme und Entertainment, ja nicht einmal mehr Brutalität" geboten. Die Kanzlerin habe "noch kein System der Medienarbeit gefunden" - bei einer MediaNight der CDU in der Berliner Parteizentrale seien die Journalisten unter sich geblieben.

Auch der "Spiegel" spottet

Jener Jörges war vor der Wahl noch ins Gelingen des Regierungswechsels verliebt gewesen - jetzt giftet der Stern in seiner neuesten Ausgabe gegen Merkel, "die gescheiterte Reformerin" und "Angela Minimum". Gezeigt wurde die CDU-Chefin wie früher mit hängenden Mundwinkeln - dabei hatte man sich so an fröhliche Angie-Bilder gewöhnt.

Auch im Spiegel ist die Schonzeit vorbei. Am Montag analysierte das Nachrichtenmagazin "Dr. Merkels Gesundheitsrezept" und schrieb übers Bulletin: "Operation gelungen, Patient pleite". Nach der Bruchlandung mit dem Gesundheitskompromiss Anfang dieser Woche, von Amts wegen als "Durchbruch" annonciert, reagierte der Spiegel prompt in der Online-Ausgabe: "Merkels Selbstverrat".

Sie sei "mit Siebenmeilenstiefeln auf die Machtzentrale losgestürmt" und habe, "kaum angekommen, das Schrittmaß deutlich reduziert". Wanderfreunds Fazit: "Wenn sie nicht beizeiten das Tempo wieder steigert, wird sie es nur bis zum Friedhof für Däumlinge schaffen."

Angela Merkel selbst spürt die wachsenden Widerstände. Sie sei "viel Gegenwind gewohnt", sagte sie jetzt auf einer Pressekonferenz, da werde man "nicht unsensibler". Oder wollte sie vielleicht "nicht sensibler" sagen?

Auch in den Parteien ihrer Koalition baut sich Ärger auf. So beschwerte sich SPD-Fraktionschef Peter Struck über gebrochene Versprechen bei der Finanzierung der Gesundheitsreform.

In der eigenen Union zeigen die Ministerpräsidenten Roland Koch (Hessen) und Christian Wulff (Niedersachsen) Grenzen auf - beide gelten als mögliche Ersatzkandidaten für den Regierungsjob und sind über alte Verbindungen ("Anden-Pakt") gut vernetzt. Merkel, die Aufsteigerin aus dem Osten, kann dagegen auf keine ausgeprägte Hausmacht zählen.

Sie arbeitet gern mit einem "Girls Camp". Dazu gehören ihre Bürochefin Beate Baumann, die Staatsministerinnen Hildegard Müller und Maria Böhmer sowie ihre einstige Pressesprecherin Eva Christiansen, die nach der Geburt ihres Kindes jetzt in Köln lebt und telefonisch Rat gibt.

In dem "Frauenhaus" (Cicero) hat sich Regierungssprecher Ulrich Wilhelm Anerkennung erworben, ein Presse-Profi, der in den besseren - viele sagen in den besten - Zeiten des bayerischen Landeschefs Edmund Stoiber (CSU) sein Sprecher war. Merkel, grundsätzlich misstrauisch, hat hier Einsicht in Kompetenz.

Wilhelm legt in diesen Tagen die Strategie für die Sommer-Offensive fest, die die Kanzlerin in viele Interviews, natürlich auch mit den TV-Sendern, führen wird. Das Ziel: nachträglich die in schwierigen Sitzungen erzielte Gesundheitslösung den Bürgern persönlich erklären. Ohne bessere Schlagzeilen nutzen auch gute Beziehungen zu Mediengrößen wie Liz Mohn, Friede Springer oder Sabine Christiansen nichts.

Mitten auf der Baustelle

Den Auftakt machte jetzt das Gespräch mit Bild ("Frau Bundeskanzlerin, warum müssen wir immer zahlen, zahlen, zahlen?"). Auf der Dachterrasse des Kanzleramts neigte Merkel jedoch zu Defensivverhalten auf Allgemeinplätzen.

Lockerer wurde sie abends beim Bild-Sommerfest, wo sie mit Größen wie Filmproduzent Arthur Cohn feierte. Am markantesten im Interview war noch der Spruch: "Wir stehen jetzt mitten auf einer Baustelle für ein neues Haus." Wer das Fundament gieße, könne sich nicht in jeder Minute vorstellen, wie gemütlich das fertige Heim am Ende werde. "Wer sie unterschätzt, hat schon verloren", sagte CSU-Politiker Horst Seehofer einmal über Baumeisterin Merkel.

Einmal noch soll die WM helfen. Am Sonntag im Finale wird mit einem goldenen Ball von Adidas gespielt, und ein Exemplar des Produkts übergab der Vorstandschef nun der Kanzlerin. Der sei "ein Botschafter Deutschlands in der Welt", lobte sie den Wunderball, und dachte vielleicht an dessen Namen: "Teamgeist".

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