Kanzlerin bei Günther Jauch:Merkels einsamer Kampf gegen die Euro-Skeptiker

Angela Merkel erklärt nicht genug, lässt die Menschen in der Euro-Krise alleine, sagen ihre Kritiker. In der Woche der Abstimmung über den erweiterten Rettungsschirm versucht sie bei Günther Jauch, Versäumtes nachzuholen. Deutsches Geld sei in den Milliardenbürgschaften für strauchelnde Euroländer richtig angelegt, lautet ihre Botschaft an das Millionenpublikum - beruhigend klingt sie dabei aber nicht.

Thorsten Denkler, Berlin

Günther Jauch, neuer Chef-Talker der ARD, dachte sich wohl, dass er dem Besuch der Kanzlerin in seiner Sendung etwas von seinem staatstragenden Charakter nehmen muss. Und so witzelt er in seiner Einleitung, dass zwar die Kaiserin Sissi und die Kanzlerin Merkel im Grunde nichts gemein hätten. Aber so wie von den "Schicksalsjahren der Kaiserin" gesprochen werde, so könne doch angesichts der dramatischen Euro-Krise durchaus von den "Schicksalstagen der Kanzlerin" gesprochen werden.

Guenther Jauch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel

Günther Jauch hatte die Kanzlerin zu Gast: Angela Merkel versuchte zu erklären, warum der Euro gerettet werden muss.

(Foto: dapd)

Wenn das lustig gewesen sein sollte, dann hat Angela Merkel jedenfalls nicht gelacht. Als ihr Gesicht wenig später eingeblendet wird, sitzt sie mit derart versteinerter Miene da, als wünschte sie sich für Jauch wegen Majestätsbeleidigung die Todesstrafe zurück.

Dabei hat Jauch es gar nicht böse gemeint. Nur vertan hat er sich etwas. Denn erst mal ist dies nur so eine Art Schicksalssendung der Kanzlerin. Hier wird die Frage geklärt werden, ob sie überhaupt noch in der Lage ist, ihre Politik konsistent zu vermitteln.

Im Amt war Merkel überhaupt erst zweimal zu Gast in einer Talkshow. Es war wohl wieder an der Zeit. Höchste Zeit, würden ihre Kritiker sagen. Merkel erkläre zu wenig, heißt es. Die Leute wüssten nicht mehr, woran sie sind bei ihr. Oder, wie auch der von Jauch zitierte ehemalige Bundespräsident Roman Herzog sagt: "Frau Merkel beginnt jetzt zu erklären - zwei Jahre zu spät."

Das gilt manchen als gewichtiger Grund dafür, warum die Union nicht von der Schwäche der FDP profitiert, weshalb eine Mehrheit der Deutschen Merkels Euro-Rettung ablehnt und warum die Regierung ein nie dagewesen schlechtes Image hat.

Also stellt sie sich Jauchs Fragen. Der gibt sich alle Mühe, nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, er gehöre zum Merkel-Fanklub. Die Regierung mache nicht den geschlossensten Eindruck, stichelt er, mit einer "desaströsen FDP", einer CSU, die als "Quertreiber" tauge und einer scheinbar wackeligen eigenen Mehrheit, wenn am kommenden Donnerstag im Bundestag über den erweiterten Euro-Rettungsschirm EFSF entschieden werde. Frage: Kann Deutschland, kann Merkel die Euro-Krise meistern?

Spannender als ihre Antwort ("Ganz allein kann Deutschland das nicht schaffen") ist, wie sie jedes Mal fast unmerklich mit dem Kopf nickt, als Jauch von "desaströser FDP" spricht und von quertreibenden Christsozialen. Dass sie einer heillos zerstrittenen Regierung vorsteht, scheint also auch Merkel nicht entgangen zu sein. Viel sagen muss sie da gar nicht mehr. Aber es geht hier vor allem um den Euro und weshalb deutsche Steuerzahler Hunderte Milliarden davon bereitstellen sollen, um Griechenland aus der Patsche zu helfen.

Beruhigend. Auf den ersten Blick.

Sie erklärt das nicht zum ersten Mal. Wohl deshalb klingt es so routiniert, wenn sie sagt, dass es nicht darum gehe, Griechenland zu helfen, sondern den Euro stabil zu halten. Und dass Griechenland strenge Auflagen erfüllen muss, um Geld zu bekommen. Und dass es nicht gut wäre, jetzt irgendeinen harten Schnitt zu machen, ohne dass die Folgen klar wären. Griechenland raus aus dem Euro etwa. "Was wir lernen müssen, ist, dass wir nur Schritte gehen, die wir wirklich kontrollieren können", sagt die Kanzlerin. Das klingt sehr einleuchtend, beruhigend irgendwie. Auf den ersten Blick.

Aber da gibt es eine Zuschauerfrage, die Jauch vorliest. Ein Joachim Koch will wissen, wo das Geld herkommen soll, falls die milliardenschweren Bürgschaften fällig werden sollten. Mit seinen Worten: "Woher sollen die Mittel genommen werden, wenn Deutschland Zahlungen für die übernommenen Bürgschaften leisten muss?" Eine berechtigte Frage. Deutschland haftet mit mindestens 211 Milliarden Euro für Kredite, die im Rahmen der EFSF an Griechenland vergeben werden.

Die Antwort darauf ist eigentlich klar: Deutschland müsste sich massiv verschulden oder in nie dagewesenem Umfang Ausgaben kürzen - vor allem wohl Sozialleistungen.

Es geht um die Sache

Merkel aber scheint diese Antwort ihren Bürgern nicht zumuten zu wollen. Stattdessen erklärt sie lapidar, Bürgschaften seien ja etwas anderes als reale Mittel. Damit ließe sich Zeit kaufen, damit Griechenland seine Finanzen in Ordnung bringen könne. Außerdem rechne sie "im Grundsatz erst mal nicht damit", dass diese Bürgschaften eines Tages fällig werden. Da steckt aber wohl mehr Hoffnung als Wissen in dem Satz.

Jauch hält sich eine blau-goldene Broschüre vor die Nase, ein Euro-Ratgeber aus dem Jahr 1998. Er zitiert drei Sätze, die Merkel in Erklärungsnot bringen sollen. Werden sie auch - nur nicht sofort.

Jauch liest: "Der Vertrag schließt aus, dass wir für die Schulden eines Mitgliedslandes der Europäischen Union oder einem EU-Partner haften. Wir müssen nicht für die Schulden anderer EU-Partner aufkommen. Derartige Befürchtungen sind gegenstandslos." Zitat Ende. Jauch: "Und darauf habe ich mich immer verlassen. War das ein Fehler?"

Polit-Novize Jauch legt damit seinen Finger tief in die Wunde. Merkel versucht darauf den Beides-ist-richtig-Spagat. Nein, das sei kein Fehler. Aber es sei damals eben nicht bedacht worden: "Wenn ein Land in Schwierigkeiten gerät, dass dann alle anderen Länder Schwierigkeiten haben." Dafür müssten jetzt eben neue Regeln her. "Wir helfen nicht, weil ein Land zu viele Schulden hat. Wir helfen, damit unsere gemeinsame Währung stabil ist."

Alles ganz einfach also? Nö. Merkel verheddert sich. "Griechenland hafte für seine Schulden nach wie vor alleine", sagt sie. Da ist Jauch zu Stelle: "Aber haften heißt doch, das können die selber irgendwann zurückzahlen?" Merkel: "Ja" Jauch: "Das können die aber nicht."

Dann: Stille.

Merkels linke Hand zerschneidet die Studioluft, als würde sie immer noch lautstark ihre Politik verteidigen. Nur aus ihrem Mund kommt nichts. Nach einer gefühlten Unendlichkeit bringt Merkel ein schwaches "Also, das mag Ihre Ansicht jetzt sein" heraus. Jauch hakt nach: "Ich bin ja nicht ganz alleine."

Schaffen die das oder schaffen die das nicht?

Merkels "Äh" wird von langanhaltendem Beifall übertönt. Immerhin verschafft ihr der Applaus die Zeit, sich eine gute Antwort zu überlegen. Und so erklärt sie, dass es für sie nur eine Instanz gebe, die diese Frage wirklich beurteilen könne. Und das sei die Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank, die gemeinsam über die Auszahlung neuer Kredittranchen an Griechenland entscheide. "Die müssen für uns sagen, schaffen die das oder schaffen die das nicht", sagt Merkel.

Das klingt jetzt alles überhaupt nicht mehr kraftvoll und beruhigend, sondern so zögernd und zaudernd, wie sie sich zuletzt oft gezeigt hat. Kein Wunder, dass da manche Abgeordnete nicht mitgehen wollen. Noch ist nicht sicher, ob Merkel am Donnerstag bei der Abstimmung über den erweiterten Euro-Rettungsschirm EFSF die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit zusammenbringt.

Warum stellt sie dann nicht die Vertrauensfrage, will Jauch wissen.

"Nein, nein, es geht ja um die Entscheidung in der Sache", antwortet Merkel. "Wir sind bei einem ganz normalen Gesetz. Da braucht die Regierung eine Mehrheit. Ich möchte eine eigene Mehrheit und bin zuversichtlich, dass ich sie bekomme."

Entscheidung in der Sache, ganz normales Gesetz. So einfach wird das dann wohl doch nicht. Geht die Abstimmung schief, gerät die Koalition unweigerlich in ernste Gefahr. Aus den vermeintlichen Schicksalstagen, könnten dann schnell die Schicksalsstunden einer Kanzlerin werden.

Nachtrag: Ein Publikumserfolg war das einstündige Interview mit der Kanzlerin bei Günther Jauch nicht. Knapp 4,3 Millionen Menschen blieben nach dem Tatort dran oder schalteten extra um 21:45 Uhr ein. Eine Woche zuvor waren es noch 4,6 Millionen Zuschauer, Jauchs ARD-Premiere am 11. September verfolgten sogar 5,1 Millionen..

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