Angela Merkel bei den Potentaten Arabiens:Die Karawane aus dem Abendland

Viel Getriebe im Sand: Die Kanzlerin zieht als Handlungsreisende in Sachen Frieden durch Nahost. 1001 Pläne sind fehlgeschlagen, aber sie sucht einen Weg durch die Wüste.

Nico Fried

Seine königliche Hoheit, der Kronprinz Sultan Ibn Abdul-Asis von Saudi-Arabien, lehnt sehr bequem in einem goldenen Sessel. Die Füße ruhen auf einem gewaltigen weißen Teppich mit blauen Ornamenten, der durch die ganze riesige Empfangshalle des Palastes reicht. Marmorne Säulen, dicke Vorhänge aus rotem Brokat und über Seiner Hoheit ein mächtiger Lüster, fast so groß wie ein Heißluftballon, runden das opulente Bild ab.

Zu seiner Linken auf einem kleinen Tisch hat der Kronprinz zwei Telefone, zwei Klingelknöpfe, vermutlich um nach der Dienerschaft zu läuten, sowie eine mit Gold verzierte Ausgabe des Koran. Zu seiner Rechten sitzt Angela Merkel.

Die Kanzlerin trägt zur schwarzen Hose eine lange, violettfarbene Jacke, die mit asiatisch anmutenden Mustern durchwoben ist und die schon einmal gesehen zu haben man sich nicht wirklich erinnern kann. Ein Kopftuch aber, einen Schal oder gar einen Umhang trägt sie nicht. Maggie Thatcher verhüllte sich noch nach Landessitte, Amerikas Außenministerin Condoleezza Rice hat damit Schluss gemacht. Und so haben ohne ersichtliche Verwunderung die 29 Minister des saudischen Kabinetts soeben auch Angela Merkel begrüßt, ein jeder mit Händedruck, und von der Kanzlerin mit ihrem typischen hohen Augenaufschlag und einem kurzen Nicken bedacht.

Der Minister für Angelegenheiten des Pilgertums, neben dem man zufällig zu sitzen kommt, wird später behaupten, es habe für die Saudis keinerlei Bedeutung, dass es sich beim Bundeskanzler erstmals um eine Frau handele. In vollendeter diplomatischer Eleganz fügt er hinzu: ,,Es ist zuerst eine Entscheidung der Deutschen. Wenn sie das akzeptieren, tun wir es auch.''

Erst Frieden, dann Lamm

Angela Merkel in Saudi-Arabien. Eine so überbordende Freundlichkeit hätte sie wohl selbst nicht erwartet. Der Kronprinz schenkt dem Gast aus Deutschland während des offiziellen Abendessens immer wieder ein geradezu verdächtig charmantes Lächeln.

Und König Abdullah empfängt Merkel gleich mit einem Ausdruck des Bedauerns, dass sie so wenig Zeit habe und er sie nicht in die Wüste einladen könne, so wie damals Prinz Charles oder den früheren chinesischen Präsidenten Jiang Zemin, mit denen er dort draußen sogar ein in Kräuter eingelegtes Lamm gebacken hat, indem er es einfach im heißen Sand verbuddelte. Abdullah übrigens kommt sogleich in den Genuss des etwas spröden Merkelschen Charmes: Nun wolle man doch erst einmal versuchen, eine Friedenslösung im Nahen Osten hinzubekommen, antwortet ihm die Kanzlerin, und danach vielleicht mal ein Lamm zubereiten.

Ach ja, der Frieden. Fast hätte man's vergessen in all dem verschwenderischen Luxus des Kronprinzen-Palastes, in dem alles im Überfluss vorhanden ist, sieht man mal von Damentoiletten ab. Willkommen im nahöstlichen Chaos, im verworrenen politischen Knäuel aus Staaten, Völkern, Religionen und Interessen. Auch Angela Merkel ist nun angekommen im Reich von 1001 Friedensplänen, aus denen nichts geworden ist.

Die Kanzlerin ist neu in diesem Geschäft, jünger auch als die meisten ihrer Gesprächspartner. Sie reist mit der Zuversicht, die Novizen stets zu eigen ist, mit einer vorsichtigen, aber unüberhörbaren Hoffnung, dass es diesmal etwas werden könnte, nicht unbedingt wegen ihr, aber doch wegen der Umstände. Doch in Ägypten oder auch hier in Saudi-Arabien und später in Abu Dhabi trifft sie auf viele bedeutende und mächtige Männer, die über den Mühen des Nahost-Konfliktes sehr alt geworden sind.

Der saudische König zum Beispiel kann ihr davon ausführlich erzählen. 2002, als er noch Kronprinz war, wollte er seine arabischen Brüder darauf verpflichten, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Es hätte ein historischer Schritt werden können. Aber die Nachbarn zogen nicht recht mit, und so verlief sich die Initiative dort, wo der König heute so gerne seine Lämmer backt.

Nun also werkelt die deutsche Kanzlerin mit in jener Region, wo die Interessen so verworren sind wie Spaghetti im brodelnden Kochtopf. Ausgerechnet ein Krieg, der Feldzug Israels gegen die libanesische Hisbollah im vergangenen Sommer, scheint in Berlin wie ein Erweckungserlebnis gewirkt zu haben.

Weil die Amerikaner nicht konnten, mussten die Europäer ran und bastelten mit einigem Ach und Krach, aber unter maßgeblicher Mithilfe der Deutschen, den Kern einer UN-Mission zur Befriedung des Libanon zusammen. Jetzt möchten Merkel und ihr Außenminister noch mehr Verantwortung übernehmen. Der bangen Frage, ob man sich vielleicht überhebe, wird die Erwartung der anderen entgegengehalten. Alles keine Frage des Wollens also, sondern des Müssens.

Nach und nach hat Merkel viele Menschen kennengelernt, die wichtig sind im Nahen Osten. Den Chef der palästinensischen Autonomiebehörde, den jordanischen König und den ägyptischen Präsidenten. Mit Israels Premierminister Ehud Olmert schlug sie sich in Berlin eine halbe Nacht um die Ohren und am nächsten Morgen gleich nochmal ein paar Stunden, worauf der Ministerpräsident aus dem Schwärmen kaum noch herauskam. Und hört nicht auch der amerikanische Präsident auf die Kanzlerin - und sei es nur, weil er kaum noch andere Freunde hat?

Regen und schräge Töne

Merkels Reise hat am Samstag begonnen. Und ganz am Anfang steht ein Zufall, wie er als Ausdruck der neuen Bedeutung Deutschlands schöner nicht hätte inszeniert werden können: Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist eben aus Washington vom Versuch zurückgekehrt, das seit Monaten dahinsiechende Nahost-Quartett zu reanimieren. Ergebnis: Der Patient atmet wieder, immerhin. Kanzlerin und Minister besprechen sich telefonisch von Auto zu Auto, Steinmeier auf dem Weg vom Flughafen, Merkel auf der Fahrt zum Flughafen.

Noch so ein Zufall: Einen Tag nach der Abstimmung über die Gesundheitsreform im Bundestag hebt Merkel gen Arabien ab. Vier Tage wird sie im Ausland unterwegs sein, so lange wie noch nie zuvor als Bundeskanzlerin, einen siebentägigen Urlaub nicht mitgerechnet. Bedarf es weiterer Symbolik, um zu erkennen, worum sie sich in den nächsten Monaten unter der Flagge der Präsidentschaft in der Europäischen Union besonders kümmern möchte?

Viel ist schon geschrieben worden über die erstaunlichen Erfolge der Kanzlerin auf roten Teppichen. Nicht immer aber bereitet dieser Gang nur Vergnügen. In Ägypten, so weiß der deutsche Botschafter bei Merkels Ankunft zu berichten, regnet es statistisch gesehen nur an zwölf Tagen im Jahr - Merkel hat einen davon erwischt.

Unter den schwarzen Kanzlerschuhen matscht das Wasser aus dem vormals mutmaßlich flauschigen Läufer, der Himmel ist grau verhangen, und die Militärkapelle spielt die Nationalhymne, deren Titel auf den Notenblättern ,,Deutschland über alles von J. Haydn'' lautet. Elegante rote Jacken mit goldenen Bordüren sowie weiße Gamaschen tragen die Musiker, doch ihr Spiel klingt so schräg wie ein Beamter des ägyptischen Protokolls mittlerweile den Schirm über die Kanzlerin hält.

Merkel ist zum ersten Mal in Ägypten. Auch hier trifft sie einen der Dinosaurier im Nahen Osten. Als Hosni Mubarak 1981 Präsident wurde, hieß der Bundeskanzler noch Helmut Schmidt. Seither müht sich Ägypten um den Frieden im Nahen Osten, mal mehr, mal weniger, seither wartet die Welt auf eine mutige Tat irgendeines Politikers aus der Region, so etwas wie die Reise von Mubaraks Vorgänger Anwar el-Sadat nach Jerusalem 1979, für die er zwei Jahre später freilich mit seinem Leben bezahlen musste.

Dreimal hat Mubarak die Kanzlerin schon in Berlin getroffen, jetzt in Kairo. Der Präsident hatte also schon ausreichend Zeit, der Deutschen von seinen Erfahrungen zu erzählen. Vom alten Präsidenten Hafis al-Assad in Syrien zum Beispiel, der einmal drauf und dran war, über seinen Schatten zu springen und Frieden mit Israel zu schließen. Von den Verhandlungen in Camp David, als US-Präsident Bill Clinton in den letzten Tagen seiner Amtszeit den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern erzwingen wollte, indem er sie in seinem Wochenendhaus regelrecht einschloss. Kurz davor waren Ehud Barak und Jassir Arafat damals - aber eben nur kurz davor, wie manche andere so manches andere Mal auch.

Beeindruckt haben solche Berichte die Kanzlerin schon, nicht aber verdrossen gemacht. Selbstbewusst, aber nicht überheblich nähert sie sich der Region. Bemerkenswert uneitel verhehlt sie nicht, dass sie mit ihren Kenntnissen noch ziemlich am Anfang steht, dass sie bei jedem Gespräch dazulernt. Merkel und der Nahe Osten, das wirkt manchmal, als spiele die Kanzlerin Memory: Karte für Karte deckt sie auf, merkt sich, was darauf zu sehen ist, und erinnert sich, wenn wieder eine passende Karte kommt. So hat sie ihr Wissen mittlerweile zu einem beachtlichen Häuflein aufgestapelt.

Pressekonferenz mit Merkel und Mubarak in Kairo. Immer wieder haben die unzähligen ägyptischen Beamten die Mikrofone getestet. Den Sprechzettel des Präsidenten haben sie akkurat im rechten Winkel zur Tischkante ausgerichtet, die kleinen Lampen ein ums andere Mal noch um einen Tick verstellt, auf dass der Präsident und die Kanzlerin auch im besten Licht lesen können. Und dann passiert doch etwas: Die Übersetzung fällt aus. Viermal beginnt Mubarak mit seinem Text, doch die Kanzlerin versteht ihn nicht. Nur Zurufe bekommt sie zu hören, Kanal 1 möge sie wählen. Die Kanzlerin zuckt mit den Achseln: ,,Auf Kanal 1 kommt nüscht.'' Dann endlich, nach einem furchterregenden Knistern in den Kopfhörern, das klingt, als sei am Mikrofon jemand gesundheitlich zu Schaden gekommen, funktioniert es doch.

So kann Merkel hören, wie Mubarak den Nahost-Konflikt ,,sehr kompliziert'' nennt und sagt: ,,Erwarten sie nicht, dass so eine Frage in einem Monat oder einem Jahr gelöst werden kann.'' Der Präsident wiederum kann hören, wie Merkel sagt, es komme nun darauf an, die Kräfte zu bündeln. Alle müssten auf ein Ziel hinarbeiten, Israel und die Palästinenser, das Nahost-Quartett und natürlich die Nachbarstaaten. So oder ähnlich wird es die Kanzlerin im Laufe der Reise immer wieder sagen. Wie die Metallspäne auf einem Magneten soll sich alles auf einen Punkt ausrichten.

Eine goldene Gunst

Aber wird ihr vorsichtiger Optimismus nicht von der Wirklichkeit ad absurdum geführt? Im israelisch-palästinensischen Konflikt sind aus zwei Parteien inzwischen drei geworden, weil sich Fatah und Hamas bis aufs Blut bekriegen. Die Regierung des israelischen Ministerpräsidenten wird von Affären geschüttelt, die den Spielraum des Premiers nicht gerade vergrößern. Im Libanon kämpft Merkels fast zum Freund gewordener Kollege Fuad Siniora ums politische Überleben. Und an jeder Ecke im Nahen Osten hat Iran die Finger im Spiel, von den Ängsten, die das Land mit seinem Atomprogramm schürt, ganz zu schweigen.

Aber natürlich kann man die Teile auch ganz anders zusammenlegen. Gerade wegen der iranischen Bedrohung könnte es doch sein, dass die arabischen Staaten zusammenrücken und wenigstens den Frieden mit Israel suchen. Gerade weil Olmert und Palästinenserpräsident Machmud Abbas geschwächt sind, könnten sie den Mut zur Flucht nach vorne fassen. Gerade weil der amerikanische Präsident George W. Bush wie einst Clinton vor der Frage nach seinem Bild in den Geschichtsbüchern steht, könnte er gewillt sein, sich im Nahen Osten endlich zu engagieren. So in etwa sieht das Merkel, wenn man sie denn richtig versteht.

Ägyptens Präsident zieht mit. Und der saudische König setzt in den nächsten Tagen als Schirmherr von Versöhnungsgesprächen der Palästinenser im heiligen Mekka sogar sein Ansehen aufs Spiel. Die meisten ihrer Gesprächspartner sehen in diesem Jahr eine Chance, den Friedensprozess wieder anzuschieben. Und Merkel will einfach keinen Grund sehen, nicht daran zu glauben. Wieder einmal kann sie die Naturwissenschaftlerin in sich nicht verbergen. Gleichgewichte müssten beachtet werden, sagt sie, Prozesse müssten ineinandergreifen, gerade so, als komme es nur darauf an, am richtigen Rädchen zu drehen.

Der König von Saudi-Arabien immerhin erweist ihr am Ende des Gesprächs seine Gunst auf bemerkenswerte Weise. Aus einer großen Kiste hieven seine Diener eine prächtige Skulptur als Geschenk für die Kanzlerin: Eine Herde goldener Kamele labt sich an einem Brunnen, dessen Wasser aus Kristallen besteht. Eines also wird man Merkel nicht vorwerfen können: dass sie mit leeren Händen nach Hause kommt.

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