Süddeutsche Zeitung

Angebliche Stasi-Vergangenheit:Justiz-Eklat um Anklage gegen Gysi

  • In einem Ermittlungsverfahren der Hamburger Staatsanwaltschaft gegen Gregor Gysi ist es innerhalb der Behörde zu einem Eklat gekommen.
  • Ein Dezernent weigerte sich, eine Anklage gegen Gysi zu fertigen, obwohl ihn der Generalstaatsanwalt dazu aufforderte. Stattdessen reichte er Beschwerde ein.
  • Bei den Ermittlungen geht es darum, ob eine eidesstaatliche Versicherung Gysis bezüglich seiner Stasi-Vergangenheit falsch war.

Von Georg Mascolo und Hans Leyendecker

Bei den Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft gegen den Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, wegen Verdachts einer "falschen Versicherung an Eides statt" ist es jetzt nach Recherchen von SZ, NDR und WDR zu einem in der deutschen Justizgeschichte einmaligen Eklat gekommen.

Der Generalstaatsanwalt hat den Dezernenten des Verfahrens angewiesen, eine Anklage zu fertigen. Der Dezernent lehnte das ab und legte, weil er die Weisung für rechtswidrig hält, beim Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) Beschwerde ein. Die Justizbehörde bestätigte, dass eine Beschwerde eines Beamten eingegangen sei, wollte sich aber zu Details nicht äußern.

Gysi versicherte, keine Mandanten an die Stasi verraten zu haben

Der Justizsenator muss nun entscheiden, inwieweit er sich in den Streit einmischen will oder muss und ob er die Anweisung des Generalstaatsanwalts für rechtswidrig hält oder nicht. Wie in anderen Fällen geht es um die Frage, ob ein für eine Anklage notwendiger "hinreichender Tatverdacht" besteht oder nicht. Der Generalstaatsanwalt sieht ihn offenbar, der Sachbearbeiter und auch seine Vorgesetzten in der Behörde sehen den Tatverdacht offenkundig nicht. Die Behörde für Justiz und Gleichstellung in der Hansestadt muss jetzt die Vorwürfe prüfen.

In dem Verfahren prüften die Ermittler, ob eine eidesstattliche Versicherung Gysis, dass er "zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Stasi berichtet" habe, falsch ist oder nicht. Dieser Satz stammt aus einer eidesstattlichen Versicherung, die Gysi im Jahr 2011 dem Hamburger Landgericht vorgelegt hatte, um sich gegen eine Dokumentation des NDR zu wehren, die unter dem Titel "Die Akte Gysi" in der ARD ausgestrahlt wurde.

Ein ehemaliger Münchner Richter hatte danach bei der Hamburger Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige eingereicht. Das Ermittlungsverfahren war im Januar 2013 eingeleitet worden.

Ermittlungen mit großem Aufwand betrieben

Seit 23 Jahren hat sich Gysi, in der Regel mit Erfolg, vor Zivilkammern gegen Vorwürfe von Medien gewehrt, er habe mit der Stasi kooperiert und Mandanten verraten oder ausspioniert.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren mit großem Aufwand betrieben. Sie bezog in ihre Ermittlungen nicht nur die in der TV-Dokumentation aufgeführten Fälle ein, sondern spannte den Bogen weiter. Bergeweise sichteten die Hamburger Ermittler Stasi-Akten, Dokumente des Bundestages und vernahmen auch Zeugen.

Widersprüchliche Einschätzungen über das Ermittlungsergebnis

Mehrmals soll das Verfahren kurz vor der Einstellung gestanden haben. Der Hamburger Generalstaatsanwalt Lutz von Selle soll gedrängt haben, die Ermittlungen fortzusetzen. Am Ende des Ermittlungsverfahrens, nach knapp zwei ein halb Jahren, gibt es widersprüchliche Einschätzungen über das Ermittlungsergebnis. Das gesamte Material der Staatsanwaltschaft stand auch der Generalstaatanwaltschaft zur Verfügung.

Beide Behörden arbeiten in einem Haus. Die eine Behörde meinte, eine Anklage sei fällig, die andere nicht.

Der Ausgang des Falles ist offen. Falls jetzt aber doch - von wem auch immer - eine Anklage gefertigt werden sollte, müsste zunächst das Landgericht Hamburg im Zwischenverfahren darüber entscheiden, ob diese Anklage zugelassen würde oder nicht.

Nach dem Gerichtsverfassungsgesetz könnte der Generalstaatsanwalt sich über die Weigerung des Dezernenten hinwegsetzen, indem er den Fall selbst übernimmt. Auch könnte er einen anderen Staatsanwalt mit der Bearbeitung beauftragen.

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Quelle:
SZ vom 21.5.2015/cmy
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