SZ: Haben Sie eine Erklärung, wie Guttenberg zu Beginn von abstrusen Vorwürfen sprechen kann, dann nur vorübergehend auf den Titel verzichten möchte und schließlich gravierende Fehler einräumt?
Schavan: Das ist passiert - und wird vermutlich auch von ihm im Nachhinein nicht als glücklich empfunden.
SZ: Guttenberg erklärt, er habe nicht bewusst Fehler gemacht. Kann man unbewusst eine Dissertation schreiben?
Schavan: Nein, aber man kann damit überfordert sein, auch als intelligenter Mensch. Ich habe beim Cusanuswerk viele Doktoranden begleitet und weiß um viele Tücken auf diesem Weg.
SZ: Die Regierung und die Union versuchen, den Wissenschaftler Guttenberg zu ignorieren und den Verteidigungsminister im Amt zu halten. Kann man Guttenberg in zwei Menschen aufteilen?
Schavan: Nein, das kann man nicht. Wir wissen aber auch, dass dies nicht der erste Fall ist, in dem jemand gute politische Arbeit leistet und zugleich in einem anderen Bereich seines Lebens Schuld auf sich genommen hat. Für einen Minister gilt das Gleiche wie für jeden Menschen: Er hat eine zweite Chance verdient, zumal doch alle wissen, dass er ein großes politisches Talent ist.
SZ: Der Eindruck ist, dass die Kanzlerin und die Union so sehr zwischen dem Plagiator und dem Minister trennen, weil sie sich angesichts seiner Beliebtheit in der Bevölkerung nicht trauen, ihm gegenüber eine klare Haltung des "So geht es nicht" auszusprechen. Können Sie verstehen, dass das Wissenschaftler wie den früheren DFG-Präsidenten Ernst-Ludwig Winnacker schmerzt?
Schavan: Herr Winnacker und andere Vertreter der Wissenschaft haben einen anderen Ton in die Debatte gebracht. Da spricht niemand vom Rücktritt des Ministers und doch wird in jeder Stellungnahme klar, dass die Wissenschaft sich eine Bagatellisierung des Vorgangs verbittet.
SZ: Guttenberg hat nicht an zwei, drei Stellen falsch zitiert. Er hat das in Dutzenden von Fällen getan und dabei das geistige Eigentum anderer zum eigenen Nutzen verwendet. Schämen Sie sich heimlich für Ihren Kabinettskollegen?
Schavan: Als jemand, der selbst vor 31 Jahren promoviert hat und in seinem Berufsleben viele Doktoranden begleiten durfte, schäme ich mich nicht nur heimlich. Und das wird Karl-Theodor zu Guttenberg nicht anders gehen.
SZ: Die Kanzlerin wirbt weltweit für den Schutz des geistigen Eigentums. Mehr noch: Sie hat zum Welttag des Schutzes geistigen Eigentums erklärt, der Diebstahl geistigen Eigentums sei keine Bagatelle und Raubkopien seien kein Kavaliersdelikt. Gilt das nicht mehr?
Schavan: Das gilt. Raubkopien sind kein Kavaliersdelikt. Der Schutz des geistigen Eigentums ist ein hohes Gut.
SZ: Befürchten Sie nicht, dass Sie künftig bei derlei Versuchen auf Guttenberg verwiesen und verspottet werden?
Schavan: Nein, das befürchte ich nicht. Das Wissenschaftssystem in Deutschland ist auch deshalb so anerkannt, weil wir seitens der Politik die Souveränität und Selbstkontrolle der Wissenschaft achten. Das ist auch jetzt so. Das deutsche Wissenschaftssystem ist so effizient wie kein zweites auf der Welt. Der Wohlstand in unserem Land hängt eng mit wissenschaftlichem Fortschritt zusammen. Deshalb muss Vertrauen, das verloren gegangen ist, wiederhergestellt werden.