Andreas Voßkuhle:Oberster Richter des Lissabon-Vertrags

Der Bundesverfassungsrichter Andreas Voßkuhle hat seine Feuertaufe in Form des Prozesses gegen den Lissabon-Vertrag bestanden.

Helmut Kerscher

Seit gut einem Jahr ist der Überraschungskandidat Andreas Voßkuhle nun Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Es war ein gutes Jahr für ihn und für das Gericht, so viel lässt sich schon heute sagen. Der mit 45 Jahren jüngste (und nach Körpermaß der größte) Verfassungsrichter hat sich als Vorsitzender des als schwierig geltenden Zweiten Senat bewährt; und er hat inzwischen auch seine Feuertaufe in Form des Prozesses gegen den Lissabon-Vertrag der EU hinter sich.

Andreas Voßkuhle, dpa

Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle.

(Foto: Foto: dpa)

Nach Vorbereitung, Verhandlung und Beratung muss er an diesem Dienstag nur noch das mit Spannung erwartete Ergebnis unfallfrei verkünden. In dem Mammut-Verfahren kam Voßkuhle gewiss zugute, dass er nicht irgendein exzellenter Rechtswissenschaftler ist, der durch des Schicksals Mächte an die Spitze des Verfassungsgerichts gelangte.

Der Freiburger Staatsrechtler profilierte sich seit Jahren auch durch profunde Publikationen über das Bundesverfassungsgericht. So übernahm er gemeinsam mit seinem Kollegen Christian Bumke das "Casebook Verfassungsrecht", das nicht nur bei Studenten als Fundgrube für zentralen Entscheidungen geschätzt wird.

In einem der maßgeblichen Grundgesetz-Kommentare, dem "Mangoldt-Klein-Starck", stammen die Passagen zum Bundesverfassungsgericht von Voßkuhle. Wer sich darin aus gegebenem Anlass seine Erläuterungen zum Thema "Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof" anschaut, der erfährt einiges über das Argumentations-Repertoire des Vizepräsidenten.

Er bemängelt Unklarheiten im Maastricht-Urteil von 1993, also der bisherigen Leitentscheidung zum Verhältnis von Grundgesetz und EU-Recht sowie vom Bundesverfassungsgericht und dem EU-Gerichtshof. Voßkuhle fragt nach der konkreten Ausgestaltung des von Karlsruhe propagierten "Kooperationsverhältnisses" beider Gerichte. Und er will wissen, wann EU-Entscheidungen ohne Rechtsgrundlage, also "ausbrechender Rechtsakte" sind. Beim Schreiben dieses Kapitels konnte er nicht ahnen, dass er bald sehr intensiv an den Antworten mitarbeiten würde.

Es wird den Lissabon-Beratungen des Senats nicht geschadet haben, dass sie in Voßkuhle ein mit der Materie längst vertrauter Kollege zu leiten hatte - zudem einer, dem eine integrierende Kraft attestiert wird. Diese mit einem freundlich-entschiedenen Auftreten verbundene Fähigkeit wird der parteilose, von der SPD nominierte Vize demnächst als Präsident des Verfassungsgerichts beweisen müssen, wenn er im Februar die Nachfolge von Hans-Jürgen Papier antritt.

Bisher ist Voßkuhle in der Öffentlichkeit außer bei Verhandlungen und Verkündungen durch einige markante Äußerungen aufgefallen. So plädierte er für eine Absenkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre, für eine Stärkung des Grundgesetzes gegenüber dem Einfluss internationaler Organisationen und für eine weitere Föderalismusreform. In der Entscheidungspraxis erwies er sich als unabhängiger, pointiert rechtsstaatlich argumentierender Kopf. Der kunstsinnige Voßkuhle leitet das Institut für Staatswissenschaften und Rechtsphilosophie in Freiburg, wo seine Frau Vizepräsidentin des Landgerichts ist.

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