Rücktritt von Andrea Nahles:Die Regierungskoalition ist wohl am Ende

EX-SPD-Chefin Andrea Nahles

Andrea Nahles hätte die Autorität und das Mandat besessen, die große Koalition fortzusetzen. Das ist nun passé.

(Foto: REUTERS)

Die Noch-Vorsitzende entschied aus dem Moment heraus, die Wahl des SPD-Fraktionsvorstands vorzuziehen - und überrumpelte damit ihre Partei. Jetzt geht es nicht nur um Nahles' Nachfolge, sondern ums Grundsätzliche.

Kommentar von Detlef Esslinger

Andrea Nahles war die Falsche an der Spitze der SPD, aber wer wäre dort schon der oder die Richtige? Seit der Wiedervereinigung haben sich 13 Männer sowie diese eine Frau an der Führung der Partei versucht. Einer, Franz Müntefering, erklärte einst vor seiner Wahl, beim SPD-Vorsitz handele es sich um das schönste Amt der Welt, "neben dem Papst". Der Vergleich ist längst nur noch bitter ironisch zu verstehen. SPD-Vorsitz ist eher so etwas wie Rodeo. Über kurz oder lang wird man abgeworfen. Andrea Nahles hielt sich 13 Monate, wer das für kurz hält, hat einerseits recht; andererseits: Es waren zwei Monate länger als Schulz.

Ähnlich wie beim Rodeo ist die Frage, wann man, in all dem Stress, die eine falsche Bewegung macht, welche einen sodann schleunigst aus dem Sattel hebt. Andrea Nahles passierte es am vergangenen Montag, dem Tag nach der Europa- und Bremenwahl. Sie war das Gemurre um sie leid, und sie wollte jenen vermeintlichen Besserkönnern etwas entgegensetzen, die sie aus ihrem zweiten Amt, dem der Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, katapultieren wollten. Doch indem sie im ZDF ihre Partei und die Öffentlichkeit mit dem Entschluss überraschte, die reguläre Neuwahl des Fraktionsvorstands auf diese Woche vorzuziehen, beging sie einen der größten Fehler, der Politiker unterlaufen kann: Sie bedachte eine Sache nicht vom Ende her, sondern entschied aus dem Moment heraus.

Die Partei fühlte sich überrumpelt; Einigkeit hatte ja darin bestanden, nach dem Wahldebakel bitte bitte den Reflexen zu widerstehen und Personaldebatten zu vermeiden.

Nun war diese Debatte da, weshalb über Nahles nicht mehr nur gemurrt, sondern offen geschimpft wurde, und egal, wie die Abstimmung in der Fraktion ausgegangen wäre: Geklärt und befriedet hätte sie nichts. Aber Nahles hätte zumindest vorerst noch die Autorität und das Mandat besessen, die große Koalition fortzusetzen. Jetzt aber wird es in der Partei nicht nur um die Nachfolge, sondern unvermeidlich auch ums Grundsätzliche gehen. Seit Jahren wird Deutschland von einer sozialdemokratischen Regierung unter dem Vorsitz einer christdemokratischen Kanzlerin geführt, aber weil die Sozialdemokraten so erkennbar im Unreinen mit sich sind, so unsolidarisch nach innen und so schlecht gelaunt nach außen - deshalb nutzen ihnen all ihre Erfolge nichts, sondern tragen zur Pulverisierung sogar noch bei. Die Koalition, die früher "große" genannt wurde, ist am Ende. Die Sozialdemokraten haben gerade die Frau kleingekriegt, die das Bündnis vor ihrer Wahl mit größter Mühe bei ihnen durchgesetzt hat. Welchen Anlass, sich darin weiter abzuplagen, sollten sie nun noch haben? Um das Rodeo-Bild wieder aufzugreifen: Der oder die Nachfolgerin von Nahles, der die Koalition weiterführen will, braucht gar nicht erst in den Sattel zu steigen.

Vielleicht ist das aber auch alles gar nicht so schlecht. Das Bündnis zwischen Union und SPD ist ebenso am Ende, wie es zwischen 1980 und 1982 das Bündnis zwischen SPD und FDP war. Ein gemeinsames Projekt ist kaum mehr zu erkennen, die Protagonisten schleppen sich nur noch durch. Wer wünscht sich ernsthaft, dass das noch zwei Jahre so weitergeht? An der Harvard-Universität mag man es wahrscheinlich kaum für möglich halten, dass die heilige Merkel demnächst wohl abtreten muss wegen einer Frau, die kein Ehren- oder sonstiger Doktor dort kennt. Aber manchmal ist das nun mal so: Eine Andrea in Germany hat die Nerven verloren, und schon bricht zusammen, was ohnehin nicht mehr lange getragen hätte.

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FILE PHOTO: German Social Democratic Party (SPD) leader Andrea Nahles delivers a speech during an election campaign rally in Heuchelheim

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Die SPD-Chefin hat ihren Rücktritt als Partei- und Fraktionschefin angekündigt. Sie wolle damit die Möglichkeit eröffnen, dass in beiden Funktionen in geordneter Weise die Nachfolge geregelt werden könne.

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