Analyse zur Wahl in Österreich:"Es hat einen Trotz-Effekt gegeben"

Warum die Sozialdemokraten überraschend stärkste Kraft wurden und die Rechtspopulisten wieder auf dem Vormarsch sind - erklärt der österreichische Politologe Anton Pelinka.

Interview: Peter Lindner

Der Politikwissenschaftler Anton Pelinka, der lange an der Uni Innsbruck geforscht hat und seit kurzem Professor an der Central European University in Budapest ist, setzt sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit der politischen Situation in Österreich auseinander. Mit sueddeutsche.de sprach er über den Ausgang der Parlamentswahl - und wie das Ergebnis zu lesen ist.

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Politikwissenschaftler Anton Pelinka.

(Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Herr Professor Pelinka, das Wahlergebnis hat alle überrascht: Nicht die konservative ÖVP von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, sondern die Sozialdemokraten (SPÖ) sind - anders als in Umfragen vorhergesagt - stärkste Kraft im Parlament geworden. Die ÖVP verlor mehr als acht Prozentpunkte. Wie ist dieser massive Einbruch zu erklären?

Pelinka: Zunächst hat offenbar die ÖVP eine Misstimmung im Land unterschätzt, die auch mit sozialer Verunsicherung zusammenhängt. Dazu kam auch noch die Vorstellung, dass der Kanzlerbonus entscheidend sein würde. Denn Schüssel war zwar kein geliebter, aber ein respektierter Regierungschef. Das hat sich aber offenkundig ebenfalls nicht als so bestimmend herausgestellt.

Auch die Annahme, der Bawag-Skandal würde der Sozialdemokratie so schwer schaden, dass damit die ÖVP locker Nummer eins bleiben kann, erwies sich als Trugschluss.

Insgesamt bedeutet das: Die ÖVP hat nicht Themen gespielt, sondern sich auf Gefühle verlassen wollen. Und das ist daneben gegangen.

sueddeutsche.de: Die SPÖ hat es dagegen geschafft, ihr Wählerpotenzial zu mobilisieren. Was war ausschlaggebend für ihren Erfolg?

Pelinka: Es hat bei der Sozialdemokratie einen Trotz-Effekt gegeben. Die SPÖ, die in den Umfragen zuletzt stets hinter der ÖVP lag und wie der sichere Verlierer aussah, konnte offenbar gerade in den letzten Tagen Wähler mobilisieren und so Verluste verhindern. Und sie hat mit sozialpolitischen Themen Stimmen gesammelt, weil sie in der Frage des Kanzlers nicht wirklich punkten konnte.

sueddeutsche.de: Heißt das, Sie halten den SPÖ-Spitzenkandidaten Alfred Gusenbauer, der nun aller Voraussicht nach Kanzler wird, für einen schwachen Politiker?

Pelinka: Das wird man sehen. Die Wahl ist jetzt trotz seiner Popularitätsschwäche für ihn gut ausgangen. In ein paar Jahren kann das ganz anders aussehen. Schüssel war 1999 alles andere als ein erfolgreicher und starker Parteivorsitzender.

Das heißt, ein Kanzler Gusenbauer kann ganz andere Werte haben als ein Oppositionsführer Gusenbauer. Er ist jedenfalls ein erfahrener Politiker. Ich halte ihn, trotz seines Imageproblems, durchaus für befähigt, dass er die bestimmende Figur der österreichischen Politik der nächsten Jahre sein kann. Aber sicherlich hat die SPÖ am Sonntag nicht wegen Gusenbauer, sondern trotz Gusenbauer gewonnen.

sueddeutsche.de: Die rechtsgerichteten Parteien, die FPÖ und Jörg Haiders BZÖ, haben in der Summe etwa fünf Prozentpunkte dazugewonnen. War die aggressive Ausländerpolitik, auf die beide Lager im Wahlkampf gesetzt haben, der Hauptgrund für ihr gutes Abschneiden?

Pelinka: Ganz bestimmt hat die Ausländerthematik eine Rolle gespielt. Die FPÖ unter Strache hat es leichter gehabt als das BZÖ, weil sie nicht mehr wie vor eineinhalb Jahren - vor der Abspaltung des BZÖ von der FPÖ - die Regierungspolitik verteidigen musste.

Dadurch hat die Partei wieder an Oppositionsdynamik gewonnen, was Haider auch in den 90er Jahren genutzt hatte. Als Regierungspartei - von 2000 bis 2005 - konnte die FPÖ das nicht mehr nutzen. Deshalb ist sie auch so abgestürzt - ab 2000.

Die FPÖ hat durchaus ähnlich wie die Sozialdemokraten den sozialen Unmut genutzt. Freilich mit einer sehr aggressiven, ausländerfeindlichen, xenophoben Thematik. Das BZÖ hat sich davon eigentlich nicht wirklich unterschieden. BZÖ-Chef Westenthaler machte ja damit Wahlkampf, 300.000 Ausländer abschieben zu wollen.

"Es hat einen Trotz-Effekt gegeben"

sueddeutsche.de: Alles deutet jetzt auf eine große Koalition hin. Sehen sie noch andere Optionen?

Analyse zur Wahl in Österreich: Seine Zeit als Kanzler ist wohl vorbei: Wolfgang Schüssel von der ÖVP

Seine Zeit als Kanzler ist wohl vorbei: Wolfgang Schüssel von der ÖVP

(Foto: Foto: dpa)

Pelinka: Es gibt zwei wenig wahrscheinliche Alternativen: Zum einen eine Koalition der Konservativen von Kanzler Schüssel mit den beiden rechten Parteien. Das halte ich aber für sehr sehr unwahrscheinlich. Auch deshalb, weil das die ÖVP vermutlich nicht geschlossen mitmachen würde, wie auch die FPÖ unter ihrem Vorsitzenden Strache.

Eine zweite Variante käme theoretisch in Betracht, wenn das BZÖ nach der noch nicht vollzogenen Auszählung der Wahlkarten doch noch aus dem Parlament fliegen würde. Dann gibt es vermutlich eine knappe rot-grüne Mehrheit. Dass das BZÖ rausfällt, ist derzeit aber eher unwahrscheinlich.

sueddeutsche.de: Also wird es zu einer großen Koalition kommen.

Pelinka: Das ist eine sehr sehr wahrscheinliche Variante. Und zwar: unter einem sozialdemokratischen Kanzler Gusenbauer.

sueddeutsche.de: Bereits in den späten 80er und in den 90er Jahren gab es in Österreich eine große Koalition. Unter anderem war die Politik dieses Bündnisses auch dafür verantwortlich, dass die Rechtspopulisten so stark werden konnten: 1999 erreichte Haiders FPÖ 27 Prozent. Glauben Sie, dass eine große Koalition den Rechtspopulisten erneut weiteren Auftrieb verschaffen könnte?

Pelinka: Das ist durchaus möglich, und darauf scheint ja auch vor allem die FPÖ und ihr Parteichef Strache zu setzen.

Eine große Koalition kann aber nur gutgehen, wenn es ein Thema gibt, das die beiden großen Parteien wirklich eint. Das war in den späten 80er und in den frühen 90er Jahren in Österreich der EU-Beitritt. Als der geschafft war, ist nicht nur die FPÖ mehr und mehr aufgestiegen. Sondern: Es hat auch in der Koalition nichts mehr Gemeinsames gegeben, so dass der Eindruck der Lähmung entstanden ist. Das heißt: Eine große Koalition braucht eine gemeinsame Agenda, die man sehr gut nach außen vertreten kann.

sueddeutsche.de: Gibt es diese gemeinsamen Themen im Moment?

Pelinka: Nein, ich sehe sie nicht.

sueddeutsche.de: Heißt das, Sie rechnen mit dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen oder dem baldigen Zerbrechen des Bündnisses, falls es zustande kommt?

Pelinka: Ich sehe keine großen Anfangsschwierigkeiten. Wenn vor allem für die Sozialdemokraten die grüne Option nicht eintritt, haben beide Großparteien keine Alternative.

Die Regierungsverhandlungen können trotzdem sehr mühsam und langwierig sein. Ich sehe auch kein rasches Zerbröckeln der Koalition. Aber längerfristig, nach zwei bis drei Jahren, könnte die Wahrnehmung sein: Schrecklich, es geht nichts weiter in diesem Land.

sueddeutsche.de: Sollte es tatsächlich so kommen: Wäre dies der Nährboden für ein weiteres Erstarken der Rechten?

Pelinka: Ganz bestimmt. Vor allem die wieder erstarkte FPÖ würde wohl versuchen, wie in den 90er Jahren und nun im Wahlkapmf - also auch mit einer aggressiven Ausländerpolitik - zu punkten. Es ist anzunehmen, dass diese Strategie - aus meiner Sicht leider - funktioniert.

sueddeutsche.de: Halten sie auch eine Wiedervereinigung des rechten Lagers, also einen Zusammenschluss von FPÖ und BZÖ, für möglich? Schließlich könnten die Rechtspopulisten dann noch schlagkräftiger auftreten.

Pelinka: Der Streit zwischen dem Führungspersonal beider Parteien ist nicht nur ein taktischer Konflikt. Hier herrscht vielmehr eine tiefe persönliche Feindschaft. Im Moment sehe ich deshalb keine Chancen für eine Wiedervereinigung.

sueddeutsche.de: Der Wahlkampf war - nicht nur im rechten Lager - von einer sehr aggressiven Tonlage geprägt. Auch Sozialdemokraten und Konservative lieferten sich schwere verbale Gefechte. Beispielsweise bezeichnete ein SPÖ-Politiker die ÖVP als "bösartige Krebszelle". Glauben sie, dass dieser Wahlkampf die politische Kultur in Österreich verändert hat - und künftig auf ähnlichem Niveau wie im Wahlkampf gestritten wird?

Pelinka: Ich bin, was die beiden Großparteien betrifft, nicht sehr pessimistisch. Da hat es auch in der Vergangenheit immer wieder böse Worte - und auch dumme Bemerkungen - gegeben. Das kann man als politischer Profi aber wegstecken.

sueddeutsche.de: Der bisherige Regierungschef Schüssel hat für die Konservativen die Verantwortung für die Schlappe übernommen, einen Rücktritt aber abgelehnt. Können Sie sich vorstellen, dass er in einer großen Koalition zum Beispiel als Vizekanzler Verantwortung übernimmt?

Pelinka: Ich sehe ihn noch eine gewisse Zeit als Obmann der ÖVP, als jemand, der Regierungsverhandlungen führt. Aber nicht als Vizekanzler einer Regierung Gusenbauer.

sueddeutsche.de: Für die SPÖ und Gusenbauer war der Wahlsonntag ein guter Tag. War es auch ein guter Tag für Österreich?

Pelinka: Es ist gut, dass diese Koalition - ÖVP mit BZÖ - mit ihrem unprofessionellen Auftreten weg ist. Sonst bin ich sehr vorsichtig.

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