Süddeutsche Zeitung

US-Raketenabwehr:Heikles Signal an Nordkorea

  • Die USA haben zum Test ihres Abwehrsystems GMD eine Interkontinentalrakete abgefangen.
  • Mit dem Probelauf reagieren die USA auf die Raketentests von Nordkorea.
  • Bislang war nur jeder zweite Versuch mit dem Abwehrsystem erfolgreich.
  • Manche Fachleute halten die Raketenabwehr grundsätzlich für problematisch.

Analyse von Christian Endt und Markus C. Schulte von Drach

Nicht nur das US-Militär hatte mit großer Spannung den Flug dieser Rakete über den Pazifik verfolgt, sondern auch Sicherheitsexperten in aller Welt. Die spannende Frage war: Würde der sogenannte Interceptor, abgefeuert von der US-Luftwaffenbasis Vandenberg in Kalifornien, erfolgreich eine Interkontinentalrakete abfangen, die in der Südsee Richtung Amerika gestartet war? Am frühen Dienstagabend (Ortszeit) teilt dann das US-Militär mit: Der Test sei erfolgreich verlaufen.

Getestet haben die USA ihr Raketenabwehrsystem GMD ("Ground-Based Midcourse Defense"). Der Vorgang gilt als direkte Reaktion auf Nordkoreas Fortschritte bei der Raketenentwicklung.

Zwar bestehen insgesamt erhebliche Zweifel, wie weit das Raketenprogramm des isolierten Landes tatsächlich fortgeschritten ist. Doch die Regierung in Pjöngjang hat in jüngster Zeit erfolgreich Mittelstreckenraketen getestet. Zudem halten Experten es für möglich, dass Nordkorea tatsächlich in der Lage sein könnte, die Flugkörper mit nuklearen Sprengköpfen zu bestücken. Sorgen bereitet auch, dass es dem Land 2016 gelungen ist, einen eigenen Satelliten in die Erdumlaufbahn zu bringen. Manche Experten betrachten den Start als möglichen Schritt hin zur Entwicklung einer Interkontinentalrakete - also einer Rakete, die auch die USA erreichen könnte. Das ist das erklärte Ziel des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un.

Der Einsatz von Raketenabwehrsystemen ist aus Sicht bedrohter Staaten nachvollziehbar. Sowohl die USA als auch Russland und China legen großen Wert darauf, im Falle eines Nuklearangriffs einen Zweitschlag ausführen zu können. Gerade diese Möglichkeit gilt als Schutz vor einem solchen Angriff.

Schon in den 1980er Jahren haben die USA versucht, einen umfassenden Abwehrschirm gegen Interkontinentalraketen aufzubauen. Im Rahmen der "Strategic Defense Initiative" (SDI) sollten dazu etwa Laser entwickelt werden. Fachleute befürchteten damals, dass die Sowjetunion einen nuklearen Erstschlag vornehmen könnte - um nicht den amerikanischen Atomraketen ausgeliefert zu sein, ohne sich entsprechend wehren zu können.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion war das Interesse an dem Abwehrschirm nicht mehr so groß - außerdem waren die Tests nicht sehr erfolgreich gewesen. Unter George W. Bush machten sich die USA erneut daran, ein Raketenabwehrsystem gegen Langstreckenraketen aufzubauen, um sich gegen mögliche Nuklearangriffe von "Schurkenstaaten" (Bush) wie dem Irak, Iran oder Nordkorea zu schützen, denen damals bereits Ambitionen auf Atomwaffen nachgesagt wurden.

36 Abfangraketen stehen bereit - aber funktionieren sie?

Eines der Ergebnisse ist die "Terminal High Altitude Area Defense" (THAAD), ein System, das im Weltall in einer Höhe von 150 Kilometern Kurz- und Mittelstreckenraketen abfangen soll. Dieses System haben die USA inzwischen in Südkorea stationiert. Ein zweites Programm, das 1999 begann, ist die "Ground-based Midcourse Defense" (GMD) zur Abwehr von Langstreckenraketen. 2004 erklärte die Regierung von Präsident George W. Bush das System offiziell für einsatzfähig. 36 Abfangraketen sind inzwischen in Kalifornien und Alaska stationiert.

Technisch ist der Abschuss einer Interkontinentalrakete eine große Herausforderung, selbst für die militärische Supermacht USA. Das zeigte eine Auswertung der bisherigen Tests. Dabei versuchten die Amerikaner jeweils, eine Rakete mit Pseudo-Sprengkopf abzufangen, die sie zuvor selbst gestartet hatten. Ein Unterfangen, das wesentlich einfacher ist als der Abschuss eines echten, feindlichen Flugkörpers im Gefechtsfall.

17 Tests haben die US-Streitkräfte mit dem GMD bereits unternommen, wie die Missile Defence Agency des Pentagon berichtet. Neun davon waren erfolgreich - eine Erfolgsquote von 53 Prozent. Die amerikanische Raketenabwehr ist also in etwa so zuverlässig wie ein Münzwurf. Außerdem wurde das System bisher meist mit Mittelstreckenraketen getestet oder mit Interkontinalraketen, die mit gedrosselter Geschwindigkeit unterwegs waren.

Prinzip Autoscooter

Bei einem tatsächlichen feindlichen Angriff wäre natürlich alles noch viel schwieriger. "Das größte Problem ist die Zeit", sagt Robert Schmucker, emeritierter Professor für Raketentechnik an der Technischen Universität München. Denn bevor ein Gegenangriff gestartet werden kann, muss die abwehrende Armee den feindlichen Angriff erst einmal erkennen. Die Vorbereitungen zum Start einer Rakete würden wohl zuerst auf Satellitenbildern zu erkennen sein, dann könnten die Amerikaner ihre Radar-Geräte ausrichten und von ihren Stützpunkten in Südkorea Aufklärungsflugzeuge losschicken.

Sobald die Rakete startet, muss ihre Flugbahn mittels Radar ermittelt werden. "Wenn der Treibstoff verbrannt ist, steht die Richtung fest", sagt Schmucker. Bis zu diesem Brennschluss vergehen mehrere Minuten. Im Falle eines Flugs über den Pazifik blieben dann noch gut zwanzig Minuten für die Abwehr, sagt Schmucker. Eine Interkontinentalrakete bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Sekunde.

Sobald sie die ungefähre Flugbahn ermittelt haben, können die Amerikaner ihre Abwehrrakete losschicken. Der genaue Kurs kann danach noch korrigiert werden. Zum Schluss ortet die Abwehrrakete den feindlichen Flugkörper selbst und ändert die Richtung automatisch. Die Abwehrrakete funktioniert nach dem Prinzip Autoscooter: Sie trägt keine Waffen, sondern rammt den entgegenkommenden Flugkörper mit möglichst hoher Geschwindigkeit. Diese Kollision würde im Weltall erfolgen, also mehrere hundert Kilometer über dem Pazifischen Ozean.

Neben der technischen Herausforderung sind die Raketenabwehrsysteme ein sicherheitsstrategisches Problem. "Die USA sagen explizit, dass die Systeme vor Raketen aus Iran oder Nordkorea schützen sollen und nicht gegen Russland oder China eingesetzt werden", sagt Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. "Für diese Länder stellt aber unter anderem das Radar der Abwehrsysteme ein großes Problem dar."

So können die Amerikaner von Südkorea aus mit dem seit Kurzem dort stationierten THAAD China bis weit ins Landesinnere überwachen. Die USA sind nun in der Lage, chinesische Raketenstarts frühzeitig festzustellen. Das erhöht die Abfangwahrscheinlichkeit erheblich.

"Es geht bei der Kritik aber nicht nur um ein bestimmtes System, sondern um den Verbund von Systemen, von denen sich etwa die Russen eingekreist fühlen", so Meier. Zu GMD und THAAD kommen auch noch die Aegis-Raketenabwehrsysteme, die auf Kriegsschiffen der USA, aber zum Beispiel auch der Japaner installiert sind. Ein solches System hat die Nato auch schon in Rumänien stationiert, ein weiteres soll in Polen aufgestellt werden.

"Sowohl China als auch Russland sehen sich deshalb in ihrer Zweitschlagsfähigkeit bedroht", sagt Meier. Auf die Versicherung der USA, die Maßnahmen würden sich nicht gegen sie richten, wollen sich beide Länder nicht verlassen. Und zu entsprechenden rechtsverbindlichen Zusagen waren die USA bislang nie bereit.

Neuer Rüstungswettlauf

Russland arbeitet bereits an der Entwicklung neuer Interkontinentalraketen, die etwa die USA dank größerer Reichweite über den Südpol ansteuern können - und so die Radaranlagen der amerikanischen Abwehrsysteme umgehen. Ein weiteres Ziel sind individuell steuerbare Sprengköpfe. Und China, das lange Zeit auf atomare Mehrfachsprengköpfe verzichtete, arbeitet nun an deren Entwicklung. Denn je mehr Sprengköpfe sich von der Trägerrakete lösen, desto schwieriger wird es für die Abwehr, alle Ziele zu zerstören.

Es hat demnach bereits ein neuer Rüstungswettlauf zwischen den Atommächten begonnen. Und auch Nordkorea kennt die Schwächen der Abwehrsysteme. Das Land hat bereits Tests mit vier Raketen zugleich unternommen. "Das ist ein klares Signal in Richtung USA: Wir können eure Abwehrsysteme überwinden", sagt Meier.

Er hält den strategischen Wert der Raketenabwehrsysteme grundsätzlich für zweifelhaft, denn sie könnten nicht garantieren, dass keine Raketen durchkommen. "Ich bin skeptisch, ob man sich in Krisensituationen darauf verlassen wird, dass sie schützen", sagt Meier. In den USA aber werden die Systeme trotz aller Probleme und Bedenken nicht in Frage gestellt.

Sorge bereitet Meier die Vorstellung, dass die USA ihre Raketenabwehr auch schon bei zukünftigen Tests der Nordkoreaner einsetzen könnten. In Militärkreisen in den USA werden solche Szenarien bereits diskutiert. "Das wäre brandgefährlich, denn wir müssen damit rechnen, dass Kim Jong-un auf eine solche Aktion mit einer weiteren Eskalation reagieren würde."

Raketentechniker Schmucker sieht die Amerikaner dagegen auf dem richtigen Weg. "Nordkorea hat nur eine Chance", sagt er. Die Gelegenheit zu einem zweiten Angriff wird das Regime in Pjöngjang nicht bekommen. Also müsste beim ersten Angriff alles klappen, um das US-Militär so weit wie möglich zu schwächen. "Auch wenn die Raketenabwehr nicht zuverlässig funktioniert: Der Angreifer kann sich nicht darauf verlassen, dass es nicht geht."

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