Analyse:Weniger Stimmen, mehr Wahlmänner

Trump gewinnt die wichtigen Swing States. Dies gelingt ihm, weil er vor allem die Älteren und die Menschen auf dem Land mobilisiert. Die meisten Schwarzen und Latinos entscheiden sich zwar für Clinton, doch an Obamas Popularität reicht sie nicht heran.

Von Reymer Klüver

So wie Ohio wählt, so wählt die Nation. Die alte Regel amerikanischer Präsidentschaftswahl-Arithmetik hat sich einmal mehr als richtig erwiesen. Ohio hat Donald Trump gewählt, und zwar mit satter Mehrheit: 52 Prozent der Stimmen errang Trump, Hillary Clinton kam nur auf 43,5 Prozent. Und er hat nicht nur Ohio gewonnen, sondern auch andere der sogenannten swing states, deren Mehrheit in den vergangenen Wahlen mal demokratisch, mal republikanisch ausgefallen war. Trump hat ebenfalls Florida und North Carolina geholt, Bundesstaaten, die Barack Obama für die Demokraten erobert hatte - und sogar Wisconsin und Pennsylvania, Bundesstaaten, von denen Demokraten annahmen, dass dort die Wähler eine sichere Bank seien - für ihre Partei.

In den USA wird der Präsident nicht direkt vom Volk, sondern von Wahlleuten gewählt, die die einzelnen Bundesstaaten gemäß ihrem Bevölkerungsanteil in eine Wahlleute-Versammlung schicken, das sogenannte electoral college. Eigentlich ist es also so, dass bei der Präsidentschaftwahl nicht der Präsident, sondern die Zusammensetzung des Wahlleute-Gremiums bestimmt wird. Zudem ist es in allen Bundesstaaten (bis auf Maine und Nebraska) so, dass der Gewinner alle Wahlleute-Stimmen erhält. So kann es angehen, dass Clinton mit 59,7 Millionen zwar insgesamt mehr Stimmen als Trump (59,5 Millionen) bekommen, aber dennoch die Wahl verloren hat, weil sie in wichtigen Bundesstaaten hinter dem Republikaner lag.

Noch immer sind 70 Prozent der registrierten US-Wähler weiß

Warum konnte Trump dort so viel besser abschneiden als prognostiziert? Und weshalb blieb Clinton so weit hinter den Erwartungen zurück, auch wenn sie einige swing states durchaus gewinnen konnte, Nevada etwa oder Colorado? Einfach gesagt: Trump hat weit besser die Wählergruppe mobilisiert, die traditionell für seine Partei stimmt - die weiße Bevölkerungsmehrheit Amerikas und dabei besonders die Männer. Noch immer sind 70 Prozent der registrierten Wähler der USA weiß. Clinton aber hat trotz enormer finanzieller Vorteile (sie hatte deutlich mehr Wahlkampfspenden gesammelt) und trotz eines größeren und eindeutig professionelleren Helferapparats am Ende die demokratische Wählerkoalition nicht so mobilisieren können, die ihrem Vorgänger Obama zweimal zum Sieg verholfen hat: die Frauen, die Jungen, die urbanen Minderheiten.

Es dürfte sich, wenn am Ende alle Zahlen analysiert sind, ein Bild ergeben, das so ähnlich schon im Sommer beim Brexit-Entscheid in Großbritannien zu sehen war: die Alten und die Menschen auf dem Land haben die Wahl entschieden, nicht die Jungen und die Städter. Die urbanen Wahlkreise gingen an Clinton, ländliche Vororte indes an Trump. Die Jungen stimmten, grob gesagt, für Clinton, die über 45-Jährigen für Trump. So war das schon bei der Wahl 2012. Aber damals konnte Obama einen deutlich höheren Anteil der Jungen für sich gewinnen - ein Kunststück, das diesmal Trump bei den Älteren gelang.

Die Wahl offenbart zudem einmal mehr, wie tief Amerika weiterhin entlang der Rassenfrage gespalten ist. Acht Jahre, nachdem das Land erstmals einen schwarzen Mann ins Weiße Haus gewählt hatte, stimmte es nun für einen Kandidaten, der dem schwarzen Präsidenten offen und mit erkennbar rassistischen Untertönen die Berechtigung abgesprochen hatte, überhaupt als Präsident zu dienen. Amerika stimmte entlang der Rassengrenzen ab. 58 Prozent aller Weißen votierten für Trump - 53 Prozent der weißen Frauen und 63 Prozent der weißen Männer, fast zwei Drittel also. Selbst bei weißen jungen Männern in ihren Zwanzigern hat Trump eine Mehrheit. Insgesamt fällt diese Altersgruppe allerdings an Clinton, weil der Anteil der Minderheiten deutlich höher liegt. Auch unter gebildeten Weißen, also mit College-Abschluss, kommt Trump mit 49 zu 45 Prozent auf mehr Stimmen als Clinton. Weiße ohne College-Abschluss entschieden sich sogar zu 67 Prozent für den Wahlsieger.

Die Schwarzen stimmten zwar in überwältigendem Maße für Clinton - zu 88 Prozent. Aber das war ein geringerer Anteil als der, den Obama 2012 mit 93 Prozent erzielt hatte. Und gerade in umkämpften swing states wie North Carolina oder Ohio, beides Bundesstaaten, die Obama zumindest einmal gewinnen konnte, gelang es Clinton nicht, die Schwarzen zu mobilisieren. Ihre Wahlbeteiligung lag deutlich niedriger.

Auch bei den Latinos schnitt sie viel besser ab als Trump, das bestätigen die Wahlnachfragen. In Nevada beispielsweise kam sie auf einen Stimmenanteil von 84 Prozent, Trump nur auf magere 12 Prozent. In Florida stimmten 67 Prozent der Latinos für Clinton, für Trump lediglich 31. Aber trotzdem erreichte Trump bei der Wählergruppe, deren Angehörige er pauschal als "Verbrecher" oder "Vergewaltiger" verunglimpft hatte, einen höheren Stimmenanteil als der republikanische Kandidat 2012, Mitt Romney. Prozentanteile, die Clinton in Florida am Ende fehlten.

Um ein Bild zu erhalten, was Amerika politisch und gesellschaftlich teilt, lohnt der Blick in diesen Bundesstaat - ebenfalls ein swing state. Ihn hatte Obama zwei Mal gewonnen, wenn auch das letzte Mal nur mit einem Prozent Vorsprung. Amerikas Wahlanalysten sehen Florida als eine Art Mikrokosmos, in dem sich beobachten lässt, was im ganzen Land passiert ist.

Hillary Clinton hat im urbanen Südosten des Bundesstaates, also im Großraum Miami, gewonnen, nicht nur das: Sie hat abgeräumt - eine halbe Million Stimmen mehr als Donald Trump hat sie eingefahren. Ein Rekord für den Bereich. In Miami liegt der Anteil von Minderheiten und Höhergebildeten über dem Durchschnitt des Bundesstaates. Aber das reichte nicht.

"Wie Florida wählt, so wählt die Nation" - der Ex-Senator lag richtig, aber nicht in seinem Sinn

Im Rest des Landes, vom Panhandle im Westen die Golfküste hinunter, bis hinüber nach Jacksonville am Atlantik, hat Trump gewonnen, und zwar deutlich. Dort wohnen überdurchschnittlich viele Weiße, im sogenannten I-4-Korridor entlang der Autobahn zwischen Orlando und Tampa vor allem Militärangehörige und Angestellte der Vergnügungsparks in Orlando in sogenannten ex-urbs, den Siedlungen voller Sackgassen, in denen sich ein Vororthaus mit Doppelgarage ans nächste reiht. An der Golfküste leben zudem überdurchschnittlich viele snow birds, Pensionäre aus dem Mittleren Westen. Florida hat statistisch gesehen eine der ältesten Bevölkerungen der Vereinigten Staaten. Und je älter die Wähler, desto eher haben sie Trump ihre Stimme gegeben.

Die Wahlbeteiligung in diesen Bezirken, an der Golfküste und im I-4-Korridor, übertraf noch deutlich die der Minderheiten im Miami. Sie dürfte bei 80 Prozent gelegen haben - weitaus höher etwa als bei der Wahl 2012. Trump hat so mit vergleichsweise geringem Werbeaufwand und einer kleinen Helfermannschaft geschafft, was Romney mit einer generalstabsplanmäßig angelegten Wahlkampagne vergeblich versucht hatte.

"So wie Florida wählt, so wählt die Nation", prophezeite der frühere (demokratische) Senator des Bundesstaates, Bill Nelson, vor ein paar Tagen. Auch er sollte recht behalten - nur wohl nicht in dem Sinne, wie er es erhofft hatte.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: