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Amy Coney Barrett:Im Eiltempo zum Supreme Court

Nur eine Woche nach dem Tod der liberalen Richter-Ikone Ruth Bader Ginsburg nominiert Donald Trump die konservative Abtreibungsgegnerin Amy Coney Barrett für das höchste US-Gericht. Statt Konsens sucht Trump Streit.

Von Thorsten Denkler, New York

Es soll jetzt vor allem schnell gehen. US-Präsident Donald Trump steht am Samstag hinter seinem Pult im Rosengarten des Weißen Hauses, um Amy Coney Barrett für den vakanten Platz im obersten Gericht der USA zu nominieren. Nur eine Woche nach dem Tod der liberalen Richter-Ikone Ruth Bader Ginsburg, noch bevor sie in dieser Woche beerdigt werden wird.

Und noch vor der Präsidentschaftswahl am 3. November wird voraussichtlich der US-Senat mit seiner republikanischen Mehrheit Barretts Nominierung zustimmen. Keine 40 Tage sind es bis dahin. Im Schnitt haben Nominierungsverfahren bisher 67 Tage gedauert. Am 12. Oktober sollen die Anhörungen beginnen.

Nennenswerte Opposition aus den eigenen Reihen ist nicht zu erwarten. Zumindest keine, die die Mehrheit im Senat gefährden könnte. Trump sagte am Samstag, "dies sollte eine unkomplizierte und schnelle Bestätigung werden". Mit nichts anderem ist zu rechnen.

Der Rosengarten ist vollbesetzt mit Ehrengästen. Sie sitzen eng beieinander, nur wenige tragen Maske. Obwohl das Coronavirus in den USA alles andere als unter Kontrolle ist. In der ersten Reihe hat auch die Familie von Barrett Platz genommen. Die 48-jährige Juristin ist Mutter von fünf leiblichen Kindern, eines davon mit Trisomie 21. Zwei weitere Kinder, die sie adoptierte, sind auf Haiti geboren. Ihr Mann Jesse Barrett ist ebenfalls Jurist.

Für die Republikaner erfüllt sich ein Traum

Trump versucht jeden Eindruck des Triumphes zu vermeiden. Auch wenn dies für ihn ein großer Triumphmoment ist: Die Republikaner stehen jetzt kurz davor, sich den Traum von einem konservativen Supreme Court zu erfüllen. Statt einer bisher oft wackeligen Mehrheit von fünf zu vier Stimmen dürften die Konservativen bald mit einer satten Mehrheit von sechs zu drei Stimmen über die Verfassung der USA wachen.

Denn Trump hatte die seltene Gelegenheit, nach den Richtern Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh zum dritten Mal in einer Amtszeit eine Person für einen Sitz am höchsten Gericht der USA zu nominieren. Und zwar auf Lebenszeit. Die neue Mehrheit wird die konservative Dominanz im Gericht womöglich auf Jahrzehnte zementieren. Mit ihren jetzt 48 Jahren kann Barrett unter Umständen noch 2060 Supreme-Court-Urteile fällen.

Es geht auch um die Zukunft des Rechts auf Abtreibung

Ein Graus für die Demokraten. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Barrets Nominierung das größte Vermächtnis der Trump-Präsidentschaft sein wird. Egal, ob er im November abgewählt wird oder weitere vier Jahre regieren kann.

Barrett sei eine Frau "von bemerkenswertem Intellekt und Charakter", erklärt Trump im Rosengarten. Sie sei "hervorragend qualifiziert für den Job". Vor allem aber ist sie eine glühende Katholikin mit festen Glaubensprinzipien. Trump macht klar, was er von ihr erwartet: Es gehe bei dieser Nominierung um die Zukunft des Rechtes auf Waffenbesitz in den USA, um Religionsfreiheit und die öffentliche Sicherheit.

Was er nicht erwähnt: Es geht auch um die Zukunft des Rechts auf Abtreibung. Und um die Gesundheitsreformen von Barack Obama (Affordable Care Act oder Obamacare). Diese sind immer noch in Kraft und haben 20 Millionen Amerikanern zum Teil erstmals in ihrem Leben eine Krankenversicherung beschert. Von der Trump-Regierung werden sie derzeit mit allen juristischen Mitteln vor Gericht bekämpft. In der Woche nach der Wahl wird sich der Supreme Court deshalb mit der Frage befassen, ob der Affordable Care Act verfassungswidrig ist.

Bei all diesen Themen hat Barrett bereits gezeigt, dass die Hoffnungen der Republikaner nicht unberechtigt sein dürften. In der Anhörung zu ihrer Ernennung als Richterin am Berufungsgericht 2017 sagte sie etwa zum Thema Abtreibungen, diese seien "immer unmoralisch". In den zwei Fällen, in denen sie als Bundesrichterin über Abtreibungsfragen zu entscheiden hatte, sprach sie sich für mehr Restriktionen aus. Manche ihrer Gegner bezeichnen sie auch deshalb als "katholische Extremistin".

Trump hätte auch versuchen können, eine Art überparteiliche Kandidatin zu finden. Bereit stand etwa Richterin Barbara Lagoa: Kubanische Wurzeln, ebenfalls katholisch-konservativ, aber nicht so sehr, dass nicht auch Demokraten für sie stimmen könnten. Trump aber will offenbar keinen Konsens. Er sucht Streit.

Amy Coney Barrett gilt als Star-Juristin in konservativen Zirkeln. Und stand schon länger auf Trumps Liste. Als es 2018 darum ging, eine Nachfolge für den zurückgetretenen Richter Anthony Kennedy zu finden, war sie in der engeren Auswahl. Trump entschied sich damals für Kavanaugh. Angeblich habe er sich Barrett für den Fall aufbewahrt, dass Ginsburgs Platz frei wird.

Barrett wuchs in Metairie, Louisiana, auf, einem Vorort von New Orleans. Ihr Vater war Anwalt einer Öl-Firma, ihre Mutter Hausfrau. Barrett besuchte die katholische St. Mary's Dominican High School für Mädchen, schloss später am Rhodes College in Tennessee mit Auszeichnung ab, um dann an der Notre Dame Law School in South Bend, Indiana, zu studieren.

Von 1998 bis 1999 arbeitete sie dem Anfang 2016 verstorbenen Obersten Richter Antonin Scalia zu, einer konservativen Legende. Danach ging sie als Anwältin nach Washington und nahm 2002 eine Professur für Verfassungsrecht an ihrer alten Uni an.

Scalia fühlt sie sich noch immer verbunden, wie sie am Samstag deutlich machte. Barrett bezeichnet sich wie Scalia als "Originalist" und "Textualist". Das sind juristische Anschauungen, nach denen die Verfassung der USA und alle Gesetze im Grunde wortwörtlich anzuwenden seien. Progressive Richter versuchen, die Verfassung und Gesetze im Lichte der Zeit zu interpretieren.

Die Linke sieht Barrett als das weibliche Abbild von Scalia, der leidenschaftlich gegen Mehrheits-Entscheidungen des Supreme Courts opponiert hat, die Abtreibungen erleichtert oder die Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft gestärkt haben.

Trump hatte Barrett im Mai 2017 für das Bundesberufungsgericht in Chicago nominiert. Der US-Senat, der diese Berufung bestätigen musste, stimmte damals mit 55 zu 43 Stimmen für sie. Eine relativ knappe Mehrheit für so eine Position. Die Demokraten zweifelten fast durch die Bank an ihrer Qualifikation.

Im Mittelpunkt ihrer Anhörung vor dem Senat 2017 stand ihr tiefer römisch-katholischer Glaube. Demokratische Senatoren hinterfragten, ob sie unabhängig von ihren religiösen Überzeugungen urteilen könne. Die demokratische Senatorin Dianne Feinstein brachte Zweifel an: "Das Dogma lebt laut in Ihnen", warf sie Barrett vor. Selbst religiöse Konservative fragten sich, ob Barrett ihren Glauben und die alltägliche Richtertätigkeit nicht zu sehr vermische.

Die Annahme wird gestützt von einem Artikel, den Barrett 1998 zusammen mit einem Kollegen verfasste und von dem sie sich bisher nicht distanziert hat. Darin argumentierte sie, dass "katholische Richter (wenn sie der Lehre ihrer Kirche treu bleiben) moralisch von der Durchsetzung der Todesstrafe ausgeschlossen" seien, sie müssten sich als befangen zurückziehen. Wer die Todesstrafe verhänge, der gehe eine "Kooperation mit dem Bösen" ein.

Wenn das ihr Maßstab sei, fürchten Demokraten, dann gelte der womöglich auch für Fragen des Abtreibungsrechtes oder des Schutzes der LGBTQ-Rechte. Unter Konservativen hingegen wird die Todesstrafe als Instrument der Rechtsprechung so gut wie nicht in Frage gestellt. Barretts Text hat deshalb auch dort für Irritationen gesorgt.

Barrett versuchte am Samstag Zweifel an ihrer juristischen Professionalität auszuräumen. "Richter sind keine Gesetzgeber. Sie müssen entschlossen sein, ihre politischen Ansichten hintanzustellen", sagte sie. Sie werde am Supreme Court nicht ihren "eigenen Kreisen" dienen. Sondern dem amerikanischen Volk. Anders als Trump zollte sie Ginsburg ihren Respekt, mit der sie in praktisch allen gesellschaftspolitischen Fragen über Kreuz liegen dürfte. Ginsburg habe die "gläserne Decke" für Frauen in der Juristerei nicht "nur zerbrochen, sondern sie zerschmettert", sagte Barrett.

Barretts Berufung könnte Trump noch in einer anderen Frage helfen. Im Falle einer Wahlniederlage am 3. November werde das Ergebnis auf jeden Fall vor dem Supreme Court landen, erklärte Trump vor einigen Tagen. Er werde einen Präsidenten Joe Biden erst dann akzeptieren, wenn dieser vom Supreme Court bestätigt werde, sagte Trump.

Als Obama übrigens im März 2016 Richter Merrick Garland als Nachfolger für den kurz zuvor verstorbenen Scalia nominierte, da haben die Republikaner im Senat ihm nicht mal ein Anhörungsverfahren zugebilligt. Ein derart wichtiger Job dürfe nicht in einem Wahljahr vergeben werden, hieß es. Barrett sah das damals genauso. Sie erklärte, wenn eine Neubesetzung die Mehrheitsverhältnisse dramatisch verändere, sei es angebracht, die Entscheidung dem neu gewählten Präsidenten zu überlassen. Das wird sie heute anders sehen.

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